News | Partizipation / Bürgerrechte - Migration / Flucht - Koalition ohne Fortschritt - Einbürgerung Keine Zeitenwende in der Migrationspolitik

Gökay Akbulut über den Stand der Gesetzesvorhaben der Ampel beim Thema Einwanderung

Rede von Gökay Akbulut im Bundestag Fachkräfteeinwanderungsgesetz, 28.4.2023
«Wir lehnen die ökonomisierte Sichtweise auf Migration ab.» Bundestagsrede von Gökay Akbulut zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz, 28.4.2023, Quelle: Youtube

Nach anderthalb Jahren der Ampel-Regierung ist bei vielen Migrantenorganisationen Ernüchterung eingetreten. Der fortschrittliche «Paradigmenwechsel» im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik, auf den viele Betroffene und Aktive aus der Migrationsarbeit gehofft hatten, ist weitgehend ausgeblieben.

Von den angekündigten Gesetzesvorhaben wurde bislang nur das «Chancen-Aufenthaltsrecht» beschlossen, das seit Ende 2022 in Kraft ist. Es soll Geduldeten, die zum Stichtag 31.10.2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, ermöglichen, die Voraussetzungen für eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu erfüllen. Hierzu müssen sie innerhalb von 18 Monaten unter anderem nachweisen, dass sie über Deutsch-Kenntnisse verfügen und ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit bestreiten können.

Gökay Akbulut ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie ist Sprecherin der Fraktion DIE LINKE für die Themen Migration, Familie und bürgerschaftliches Engagement.

Dieses an sich begrüßenswerte Gesetz hat allerdings den großen Haken, dass sein Anwendungsbereich auf Grund des Stichtags von vornherein begrenzt ist. So werden selbst nach Berechnungen der Bundesregierung von ungefähr 137.000 Geduldeten mit mehr als fünfjährigem Aufenthalt nur 34.000 Personen den Übergang in ein dauerhaftes Bleiberecht schaffen. Eine stichtagsunabhängige Regelung, wie es etwa Pro Asyl in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf gefordert hatte, wollte die Regierungskoalition aber nicht. Damit ist leider absehbar, dass das «Chancen-Aufenthaltsrecht», wie schon vergangene Altfall- und Bleiberechtsregelungen, das Problem der Kettenduldungen nicht dauerhaft lösen wird.

Zugleich wurde bei diesem Gesetzesvorhaben versäumt, den generellen Verzicht auf den Deutsch-Sprachnachweis beim Ehegattennachzug umzusetzen, den die Linksfraktion – in Anlehnung an eine entsprechende Ankündigung im Koalitionsvertrag – im Bundestag beantragt hatte.

So wurde im Rahmen des Chancen-Aufenthaltsrechts die Bedingung, beim Ehegattennachzug deutsche Sprachnachkenntnisse nachweisen zu müssen, leider nur beim Zuzug zu Fachkräften abgeschafft. Die Forderung von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem Verband binationaler Familien und Partnerschaften und dem DGB, dieses Erfordernis endlich komplett zu streichen, blieb ungehört. Damit wird aber eine Praxis, die kaum mit dem Menschenrecht auf Familienleben vereinbar ist, im Wesentlichen beibehalten.

Für zahlreiche Ehepartner ist der Sprachnachweis auf Grund finanzieller oder persönlicher Umstände eine sehr große Hürde. Viele Betroffene haben keine Sprachschule in ihrer Nähe oder können sich einen solchen Unterricht nicht leisten. Durch parlamentarischen Anfragen der Linken konnte in Erfahrung gebracht werden, dass jährlich mehr als 10.000 Ehegattennachzüge an diesem Spracherfordernis scheitern. Dabei lässt sich Deutsch in Deutschland viel leichter und schneller erlernen als im Ausland.

Zudem ist die Rechtslage mit ihren zahlreichen Ausnahmeregelungen zutiefst diskriminierend: Wer Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union (außer Deutschland) ist, benötigt keinen Sprachweis. Auch nachziehende Ehepartner von Staatsangehörigen einiger ausgesuchter Länder – darunter Australien, Israel, Japan, Kanada, das Vereinigte Königreich und die USA – sind von dem Spracherfordernis befreit. Für viele Menschen, die jahrelang von ihren Ehepartnern getrennt leben müssen, ist diese Ungleichbehandlung überhaupt nicht nachvollziehbar.

Im Bereich des Einbürgerungsrechts existiert seit Januar ein Referentenentwurf, auf den die Unionsparteien, aber auch der Koalitionspartner FDP, mit großen Protest reagiert haben. Ein «Verramschen der deutschen Staatsbürgerschaft» befürchten etwa die Unions-Politiker Thorsten Frei (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU), und nicht wenige fühlen sich zurückversetzt in das Jahr 1999, als der hessische CDU-Mann Roland Koch eine Hetzkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft initiierte.

Der Entwurf enthält einige längst überfällige Reformen: So soll durch die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit das sogenannte Optionsmodell aufgegeben werden, das bislang ein großes Problem für volljährig werdende Personen darstellt, die in Deutschland als Kinder von Eltern mit ausländischer Staatsangehörigkeit geboren sind. Die von dieser Regelung Betroffenen müssen bis zur Vollendung des 23. Lebensjahrs eine Erklärung abgegeben, welche Staatsangehörigkeit sie behalten wollen. Geben sie keine Erklärung ab oder entscheiden sie sich für die ausländische Staatsbürgerschaft, verlieren sie die deutsche. Im Entwurf soll nun für Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt ausreichend sein, dass der maßgebliche Elternteil mit ausländischer Staatsangehörigkeit fünf anstatt bislang acht Jahre in Deutschland lebte.

Zu begrüßen ist auch, dass für Angehörige der sogenannten «Gastarbeitergeneration» besondere Erleichterungen vorgesehen sind. Sie sollen das erforderliche Sprachniveau mit mündlichen Kenntnissen nachweisen können; einen Einbürgerungstest müssen sie nicht mehr machen. Diese Regelung soll künftig allgemein für Personen gelten, die das 67. Lebensjahr vollendet haben.

Die für die Einbürgerung notwendige Aufenthaltsdauer in Deutschland wird generell auf fünf Jahre gesenkt, was auch den Forderungen der Linken entspricht, bei «besonderen Integrationsleitungen» sogar auf drei.

Bedauerlicherweise wir das Kriterium «Sicherung des Lebensunterhaltes» beibehalten, womit Personen, die Bürgergeld beziehen, weiterhin von der deutschen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen bleiben. Dies jedoch ist kein akzeptabler Umstand, denn die finanziellen Möglichkeiten eines Einbürgerungsbewerbers sollten kein maßgebliches Kriterium bei der Einbürgerung sein.

Beim Thema Bundespartizipationsgesetz (BuPartG), wie auch bei der versprochenen Novelle des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), kommt die Bundesregierung überhaupt nicht in die Gänge. Beim Bundespartizipationsgesetz scheint bislang nicht einmal die Ressortzuständigkeit geklärt zu sein.

Das zentrale Ziel eines solchen Partizipationsgesetzes, wie es DIE LINKE sich vorstellt, wäre es, gleiche Teilhabemöglichkeiten sicherzustellen und zugleich die Repräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte in der Bundesverwaltung so zu erhöhen, dass sie ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht.

Hierzu fordert die Linke höhere Einstellungsquoten, sachgerechte Bewerbungsverfahren und einen Partizipationsrat, der die Bundesregierung in Fragen von diskriminierungsfreier Teilhabe unterstützt. Um Einstellungsquoten einführen sowie geeignete Schulungen und Fortbildungen anbieten zu können, muss zudem eine verlässliche Datenbasis gewonnen werden, indem Merkmale zum Migrationshintergrund bei den Beschäftigten und Bewerbern der Verwaltung auf freiwilliger Basis erhoben werden.

Auch beim AGG besteht eine ähnliche Ausgangslage wie beim BuPartG: es tut sich bislang nichts. Hier verweist die Bundesregierung auf Nachfrage der LINKEN lediglich darauf, «dass zur Stärkung der Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes bereits im ersten Halbjahr 2022 das AGG geändert wurde und somit die Wahl einer Unabhängigen Beauftragten für Antidiskriminierung durch den Deutschen Bundestag ermöglicht wurde.» Tatsächlich erfolgte im Juli 2022 die Wahl von Ferda Ataman, die auch DIE LINKE unterstützte.

Es besteht allerdings dringend weiterer Reformbedarf: etwa die Einbeziehung des öffentlichen Dienstes in den Schutzbereich des AGG oder die Abschaffung des Ausnahmetatbestandes bei mietrechtlichen Sachverhalten, dass nämlich bei Vergabe von Wohnungen Diskriminierung erlaubt ist, wenn sie der «Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen» dient.

Im Rahmen der jüngsten Wahlrechtsreform forderte die Linke die Einführung des Ausländerwahlrechts auf Bundesebene: Allen in Deutschland rechtmäßig lebenden Menschen mit mindestens fünfjährigem Aufenthalt sollte unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit ein Wahlrecht auf Bundesebene gewährt werden, so der Antrag.

Dies würde zu einer besseren Berücksichtigung ihrer Interessen in der Politik, zu einer verstärkten Beteiligung an gesellschaftspolitischen Debatten und insgesamt einer verbesserten Partizipation und Teilhabe führen. Denn immer größer wird die Zahl der in Deutschland lebenden ausländischen Staatsangehörigen, die nicht an Wahlen auf der Bundesebene teilnehmen können. Ende 2022 waren es nach Angaben des Statistischen Bundesamts schon mehr als 13 Millionen Menschen, die im Schnitt seit über 14 Jahren lang in Deutschland leben, aber von politischen Entscheidungen ausgeschlossen sind.

Aktuell wird die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes diskutiert, wovon es seit Anfang Januar auch einen Referentenentwurf gibt. Ein Aspekt erscheint dabei durchaus begrüßenswert: Die Erwerbseinwanderung wird nicht mehr grundsätzlich davon abhängig gemacht, dass die Gleichwertigkeit eines ausländischen Berufsabschlusses mit einem deutschen Referenzberuf festgestellt wird.

Diese bislang bestehende Erfordernis ist zeit- und kostenaufwendig, vielfach auch unnötig. Nunmehr sollen Personen mit einem Hochschulabschluss oder einer zweijährigen Berufsausbildung aus dem Herkunftsland die Möglichkeit einer Einwanderung erhalten, wenn sie über eine zweijährige einschlägige Berufserfahrung verfügen und eine Arbeitsplatzzusage mit einem bestimmten Mindestgehalt haben bzw. ihr Arbeitgeber tarifgebunden ist.

Neu ist auch, dass ein Punktesystem eingeführt wird, das den Aufenthalt zur Arbeitsplatzsuche ermöglichen soll. Anders, als es die große mediale Aufmerksamkeit vermuten lässt, bildet das Punktesystem also nur eine Einwanderungsmöglichkeit neben anderen. Dabei sollen an Hand der Kriterien Alter, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung und Deutschlandbezug Punkte vergeben werden, die bei Erreichen einer Mindestpunktzahl dann zu einem Aufenthaltstitel berechtigen.

Zugleich soll die sogenannte Westbalkan-Regelung, die Menschen aus den Ländern des westlichen Balkans auch ohne formal anerkannte Qualifikationen eine Arbeitsaufnahme in Deutschland ermöglicht, entfristet und ausgeweitet werden. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, denn Einwanderung nach Deutschland darf kein Privileg von Personen sein, die in ihren Herkunftsländern Zugang zu Hochschulbildung oder Berufsausbildung hatten.

Wichtig ist bei der Reform der Erwerbseinwanderung, stets menschenrechtliche Aspekte im Blick zu behalten. Die Interessen der Eingewanderten müssen im Vordergrund stehen, nicht die der Wirtschaft. Dieser Aspekt kommt bei der Diskussion um die Reform der Fachkräfteeinwanderung leider viel zu kurz. Notwendig ist zudem, dass eine erleichterte Erwerbsmigration einhergeht mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, um Lohndumping zu verhindern, die Tarifbindung zu stärken und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu beseitigen.