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In Erinnerung an Sybille Stamm (1945 - 2023)

Sybille Stamm, 2019
Sybille Stamm, 2019 Foto: Falk Weiss

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung musste in diesem Jahr von einer Reihe von Mitgliedern Abschied nehmen. Hans Modrow starb im Februar 2023, Klaus Höpcke im Oktober. Völlig überraschend kam der Tod von Heinz Hillebrand im April. Und nun ist, gleichfalls ganz unerwartet, Sybille Stamm am 14. Dezember verstorben. Sybille und Heinz haben viele Jahre lang, von 2014 bis 2019, gemeinsam im Vorstand der RLS gearbeitet. 

An Sybilles lange Gewerkschaftsarbeit und ihr breites politisches Engagement wird an anderen Stellen sehr zu Recht erinnert. Hier soll es im Weiteren um ihr Engagement in der Rosa-Luxemburg-Stiftung gehen.

Sybille Stamm kam über ihre Arbeit in der RLS Baden-Württemberg und die Partei Die Linke zur Stiftung auf Bundesebene. So war sie etwa beim Treffen der RLS-Landesstiftungen 2010 in Stuttgart als Vertreterin der Landespartei dabei, ebenso wie damals auch Bernd Riexinger, der später Parteivorsitzender der Linken wurde und heute Vorstandsmitglied der RLS ist. Wenig später wurde sie Mitglied der «Bundesstiftung», in deren fachliche Debatten sie sich schon vorher einbrachte, insbesondere zu Fragen der Gewerkschaftsarbeit und Arbeitswelt. So war Sybille, zusammen mit Sabine Reiner, Rainer Rilling und einigen anderen Kolleg*innen, an den Überlegungen für die Anforderungen an die erste RLS-Stelle für Gewerkschafsthemen beteiligt, die seitdem Fanny Zeise ausübt, mit der Sybille oft zusammengearbeitet hat. Sybille sah es dabei als ihre Aufgabe an, klassische Gewerkschaftsaufgaben und über diese hinausreichende lebensweltliche Herausforderungen zu verbinden, etwa durch Anstöße für eine erneuerte Arbeitszeitdebatte. Leider hatten wir keine Gelegenheit mehr, mit ihr darüber zu sprechen, wie wir als RLS an die große Streikwelle für die Einführung der 35-Stunden-Woche im Frühjahr und Sommer 1984 erinnern wollen. Dafür kämpften damals die beiden Gewerkschaften, in denen Sybille gearbeitet hat, die IG Metall und die IG Druck und Papier (später IG Medien und jetzt Teil von ver.di), wobei Baden-Württemberg wieder einmal ein Schwerpunkt der Streikbewegung war. Klassische Gewerkschaftsarbeit und ein erweitertes Verständnis von Arbeitszeit und Lebenszeit gehörten für Sybille zusammen; ihr Feminismus trug diese Verbindung wesentlich.

Die Feministische Herbstakademie mit Heidi Scharf und mit anderen Kolleginnen war ein weiteres Projekt, das Sybille in ihrer Arbeit für die Rosa-Luxemburg-Stiftung besonders unterstützt hat. Dies gilt in noch stärkerem Maße für das von Frigga und Wolfgang Haug herausgegebene «Historisch-Kritische Wörterbuch des Marxismus» (HKWM). Es sowohl weiter finanziell zu fördern als auch rechtlich und personell auf eine stabile, zukunftsfeste Basis zu stellen, war ein Anliegen, das Sybille Stamm sowohl im RLS-Vorstand als auch darüber hinaus, etwa durch die intensive Beratung mit fachkundigen Jurist*innen, vorantrieb. Ihre vielfältigen Kontakte kamen ihr, genauer gesagt: durch sie, der Stiftung bei vielen Gelegenheiten zu Gute, so etwa, als sie Peter Conradi, den früheren Präsidenten der Bundesarchitektenkammer und langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten, für die Mitwirkung in der Jury für den RLS-Neubau gewann.           

Aktiv hat Sybille Stamm von Anfang an auch die bisher fünf großen Tagungen «Gewerkschaftliche Erneuerung» begleitet und unterstützt, die 2013 in, natürlich, Stuttgart begannen und in Hannover, Frankfurt am Main, Braunschweig und in diesem Jahr Bochum fortgeführt wurden. Sie gehören nicht nur zu den größten Tagungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung überhaupt, sondern sind auch zentrale Orte für eine linksgewerkschaftliche Vernetzung geworden. 

Und auch eine andere, eher ungewöhnliche und dabei gleichfalls erfolgreiche Tagung hat Sybille Stamm mitgestaltet, die federführend von ihrem langjährigen RLS-Vorstandskollegen und gewerkschaftlichen Wegbegleiter über fünf Jahrzehnte hinweg, Peeter Raane, sowie von Florian Wilde organisiert wurde: Eine Tagung zum «Tarifeinheitsgesetz» in Erfurt 2015.

Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow, der bis 2014 auch Mitglied des RLS-Vorstandes gewesen war, nahm daran teil, ebenso wie der GdL-Vorsitzende Claus Weselsky, Vertreter*innen der EVG und anderer Gewerkschafen, und sogar der Hauptgeschäftsführer des BDA. Auch Richter*innen des in Erfurt beheimateten Bundesarbeitsgerichtes waren im Publikum zu finden.

Claus Weselsky trug auch dazu bei, dass Sybille Stamm eine der ungewöhnlichsten Fahrtkostenabrechnungen in der RLS einreichte. Ein GdL-Streik hatte auch die Berliner S-Bahn lahmgelegt, Taxen waren entsprechend kaum zu bekommen, und so nahm Sybille, um rechtzeitig zu einer Vorstandssitzung einzutreffen, kurzerhand eine Fahrradrikscha.