An kaum jemandem wird es vorbeigegangen sein: Im Januar dieses Jahres wurde ein Geheimtreffen von AfD- und CDU-Mitgliedern mit reichen Geschäftsleuten bekannt, bei der die Deportation von Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte geplant wurde. Daraufhin gab es einen großen Aufschrei in der Gesellschaft, der nun zur Bildung einer breiten Bewegung geführt hat: Jedes Wochenende gehen Millionen Zehntausende gegen Rechts auf die Straße, bei Demonstrationen, die von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteuren, NGOs und Verbänden organisiert werden. Veranstaltungen der AfD werden blockiert und in den Medien wird zunehmend über ein Verbot der AfD diskutiert.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach mit Martha Kleedörfer, Vorsitzender des Bezirksverbandes Die Linke Berlin Mitte, über die aktuellen Entwicklungen in Deutschland und eine feministische Perspektive darauf.
RLS: Wie schätzt du die politischen Vorstöße von rechts und den Protesten dagegen ein?
Martha Kleedörfer: Es ist total schön zu sehen, dass sich eine große Bewegung gegen Rassismus und Faschismus formiert — viele von uns hatten schon beinahe aufgegeben und sich angesichts des krassen Rechtsrucks in die politische Privatheit zurückgezogen. Aber – die durch das Geheimtreffen jetzt nochmal aufgedeckte Tatsache, dass die AfD Menschen deportieren will und an den Grenzen auf Ausländer schießen lassen möchte, ist nichts Neues. Das eigentlich Schockierende ist vermutlich, dass die faschistische Politik der AfD einfach vollkommen unverblümt stattfindet: Die AfD möchte im Herbst bei den Landtagswahlen «33 plus x Prozent holen» (Björn Höcke, Spitzenkandidat der AfD in Thüringen), was als offenkundiger Vergleich zu Hitlers Machtübernahme 1933 gewertet werden kann, sie möchte Nazi-Deutschland zurück.
Gleichzeitig wird das AfD-Wahlprogramm bereits teilweise von der weitläufig als «progressiv» betitelten Ampel-Regierung umgesetzt: Deutschland schiebt selbst nach Afghanistan und Iran ab, vergangenen November wurde von Bund und Ländern die Einführung einer «Bezahlkarte» für Geflüchtete beschlossen, die dann für ihren Lebensunterhalt kein Bargeld mehr bekommen und im Mittelmeer sterben weiterhin tausende Flüchtende. Dieselben Parteien gehen jetzt gegen Rassismus und gegen rechts auf die Straße und beanspruchen die Proteste für sich. Die Lage ist also insgesamt sehr widersprüchlich.
Wie sollten wir mit diesen Widersprüchen umgehen?
Die Partei Die Linke muss in ihrer Bündnispolitik vielseitig sein: Natürlich zeigen wir klare Kante gegenüber der Politik von SPD, FDP und Grünen, wenn es um Sozialabbau, Asylrecht und Krieg geht. Gleichzeitig kämpfen wir – auch gemeinsam mit diesen Parteien – gegen die AfD, eine faschistische Partei, die die Demokratie im Kern zerschlagen will und für Unmenschlichkeit steht wie keine andere. Die KPD der 1920er und frühen 30er Jahre hat die Gefahr, die von den Faschisten ausgeht, zu spät erkannt und stattdessen nur die Regierungsparteien bekämpft. Daraus sollten wir lernen.
Die Chance der aktuell stattfindenden Demos liegt darin, den scheinbar unvermeidbaren Rechtsruck in Deutschland aufzuhalten und umzukehren. Das öffentliche Meinungsspektrum wurde in den vergangenen Jahren immer weiter nach rechts verschoben, Faschismus und offener Hass wurden salonfähig. Jetzt ist die Gelegenheit, das umzukehren und die öffentliche Meinung nach links zu wenden. Die AfD will auf Menschen schießen? Wir wollen Frontex abschaffen! Nazis zünden Geflüchtetenunterkünfte an? Wir wollen Wohnungskonzerne enteignen und Wohnungen für alle, die hier leben (wollen) bezahlbar machen! Die AfD will, dass Frauen hinterm Herd stehen? Wir wollen Sorgearbeit vergesellschaften!
Könnten diese Widersprüche auch eine Möglichkeit sein, verschiedene z. B. antirassistische und feministische Kämpfe zusammen zu denken?
Aktuell sind alle möglichen linken und diskriminierten Gruppen durch Faschisten bedroht, natürlich ist die feministische Bewegung Teil davon. Frauen und queere Personen sind zudem meistens besonders von den Ungerechtigkeiten dieser Welt betroffen, die in den vorherrschenden rassistischen, faschistischen und sexistischen politischen sowie wirtschaftlichen Strukturen verankert sind – etwa in Kriegen, wo (sexualisierte) Gewalt an Frauen als Kriegswaffe eingesetzt wird, oder Armut, die Frauen oft besonders stark trifft, zum Beispiel die stark weibliche Altersarmut in Deutschland.
Würdest du daher sagen Antifaschismus ist ein zentrales feministisches Anliegen?
Wie alle faschistischen Parteien, kämpft die AfD gegen die Errungenschaften feministischer Bewegungen. Jeden September beispielsweise, ist die AfD beim «Marsch für das Leben» dabei – eine Großdemo, zu der christlich-fundamentalistische und rechte Gruppen gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche mobilisieren. Glücklicherweise halten feministische Bündnisse kontinuierlich dagegen, sodass sich inzwischen eine Tradition von Protesten gegen diese frauen- und queerfeindlichen Märsche herausgebildet hat. Die aktuellen Demos gegen rechts sind also nicht die ersten Auseinandersetzungen, die wir Feminist*innen mit den neuen Nazis suchen. Feministische Gruppen und Fraueninitiativen haben zudem nicht nur eigene Gründe, gegen die AfD auf die Straße zu gehen, sie haben auch einen strategisch hilfreichen Ansatzpunkt: Die AfD wird weniger von Frauen gewählt, was es leichter macht, sie als Gegnerinnen der AfD zu gewinnen.
Was sind die konkreten strategischen Ansatzpunkte der Linken in der aktuellen Situation?
Die Linke nimmt nicht nur aktiv an den Demos teil, sie mobilisiert auch großflächig dorthin. Wir verstehen es auch als unsere Aufgabe, die Menschen, die gerade ihre allerersten politischen Erfahrungen in der Anti-AfD-Bewegung sammeln, zu organisieren und damit nachhaltige Organisationsstrukturen zu schaffen – nur so können die Faschisten besiegt werden. Darüber hinaus ist Die Linke seit dem Bruch mit Sahra Wagenkecht und insbesondere dem letzten Bundesparteitag in einem Erneuerungsprozess: Viele neue Mitglieder kommen zur Linken, gerade weil sie eine verlässliche antirassistische Partei ist. Dieser Erneuerungsprozess und die Bewegung gegen Rechts finden gleichzeitig statt, was eine große Chance ist – für Die Linke ebenso wie für die Bewegung.
Das Interview führte Naira Estevez.