News | Geschlechterverhältnisse - Grundgesetz Gleichberechtigung im Grundgesetz der Bundesrepublik

Rückschau auf die letzten 75 Jahre

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Artikel 3 des Grundgesetzes auf der Glaswand zur Spreeseite am Jakob-Kaiser-Haus, auf denen die ersten 19 Grundgesetzartikel in der Fassung von 1949 angebracht sind.
Artikel 3 des Grundgesetzes auf der Glaswand zur Spreeseite am Jakob-Kaiser-Haus im Regierungsviertel in Berlin, auf denen die ersten 19 Grundgesetzartikel in der Fassung von 1949 angebracht sind. Foto: IMAGO / Reiner Zensen

«Männer und Frauen sind gleichberechtigt.» So formulierte es der Parlamentarische Rat, der durch die Westalliierten für die Erarbeitung einer neuen Verfassung einberufen wurde, im Grundgesetz Art. 3 Abs. 2 von 1949. Dabei war dieser Absatz nicht unumstritten; denn ein nicht unerheblicher Teil des Parlamentarischen Rats wollte in Anlehnung an die Weimarer Reichverfassung die Festlegung lediglich gleicher Rechte und Pflichten (Wahlrecht). Allerdings wurde die unmittelbare Gültigkeit der Gleichberechtigung insofern relativiert, als im GG Art. 117 eine Übergangsregelung bis 1953 geschaffen wurde. Bis dahin sollten im Ehe- und Familienrecht alle Paragraphen gestrichen werden, die dem Gleichberechtigungsgrundsatz entgegenstehen.

Allerdings steht der Gleichberechtigungsgrundsatz des Grundgesetzes in einem Spannungsverhältnis zur (traditionellen) Familie, die im GG unter «besondere(m) Schutze der staatlichen Ordnung» steht, (GG, Art. 6, Abs. 1) das sich erst durch jahrelange Debatten, durch politische Kämpfe und Proteste, die in rechtlichen Reformen mündeten, weitgehend aufgelöst hat.

Dabei zeigt sich, dass die Umsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter und ihre Kodifizierung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wesentlich von der jeweiligen Regierungskoalition und deren Verständnis von Geschlechterverhältnissen abhängig ist. Der Verfassungsrang der Gleichberechtigung bewirkt jedoch, dass diese nicht hintergangen werden kann bzw. Verstöße mittels Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht geahndet werden können.

Dr. Katrin Schäfgen ist Referentin für Schul- und Bildungspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

So hat die erste (christlich-liberale) Koalition der Bundesrepublik das «Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts» erst fünf Jahre später (1958) verabschiedet und den Gleichberechtigungsgrundsatz nur eingeschränkt umgesetzt. Zwar wurden offensichtliche Ungleichheiten wie das Letztentscheidungsrecht des Ehemannes bei Unstimmigkeiten («Stichentscheid») und die Benachteiligung (i.d.R. von Frauen) bei Scheidungen durch die Einführung der Zugewinngemeinschaft beseitigt; insbesondere bezüglich des Rechts auf Erwerbsarbeit blieben die Regelungen aber weit hinter der proklamierten Gleichberechtigung zurück. Zwar durfte ein Ehemann ab 1958 das Arbeitsverhältnis seiner Frau nicht mehr kündigen, aber sie durfte eine Arbeit nur mit Zustimmung ihres Ehemanns und nur dann aufnehmen, «soweit dies (die Erwerbsarbeit) mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.» (§ 1356 BGB).

Hintergrund der unzureichenden Umsetzung der Gleichberechtigung ist ein traditionelles Rollenverständnis der Geschlechter bzw. des bürgerlichen Familienideals, das für die Frau die Rolle als Hausfrau und Mutter und für den Mann die Rolle als erwerbstätiger Ernährer vorsieht.

Dieses sich insbesondere im 19. Jahrhundert verfestigende Ideal der bürgerlichen Familie, rechtlich abgesichert u.a. durch das Beschäftigungsverbot (verheirateter) Frauen, wirtschaftlich-politisch durch die Einführung eines Familienlohns und ideologisch durch entsprechende Erziehung der Geschlechter, stellte die Referenz für die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft dar. Insbesondere in den chaotischen Nachkriegsjahren mit Millionen traumatisierter und verwundeter Männer, einer zerstörten Infrastruktur, einem angespannten Arbeitsmarkt und einer nur langsam wachsenden Wirtschaft stellte die Familie die «letzte Grundlage der sozialen Zuflucht und Sicherheit»“[1] dar, in der die Frauen für Halt und für das Wohl und die Erziehung der Kinder sorgen sollten. Zugleich sollten sie die knappen Arbeitsplätze für Kriegsrückkehrer und entlassene Kriegsgefangene freimachen.

Vor diesem Hintergrund sollte die Gleichberechtigung der Geschlechter im Wesentlichen über eine Aufwertung der Haus- und Familienarbeit hergestellt werden.

Während der kurzen Regierungszeit der Großen Koalition (1966-1969) wurden auf Bestreben der SPD und vor dem Hintergrund des Wirtschaftsaufschwungs und fehlender Arbeitskräfte wesentliche politische Weichenstellungen für mehr Gleichstellung unternommen. So sollten Frauen auch mit Kindern zumindest phasenweise erwerbstätig sein (können), das sog. «Drei-Phasen-Modell»[2] gewann an Bedeutung. Zugleich wurde erkannt, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen an Rahmenbedingungen geknüpft ist: Kinderbetreuung und Qualifizierung. Erstere wurde zwar von der SPD gefordert, konnte jedoch nicht umgesetzt werden; die Förderung von Frauen fand jedoch Eingang in das 1969 verabschiedete Arbeitsfördergesetz.

Die Bemühungen um mehr Gleichberechtigung wurden in den folgenden Jahren der sozial-liberalen Koalition (1969-1982) auch vor dem Hintergrund der Frauenbewegung intensiviert; erstmals wurde eine wirkliche Frauenpolitik etabliert.

So wurde in den 1970er Jahren, betrieben durch das SPD-geführte Familienministerium, der Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen betrieben. Einen wichtigen Meilenstein stellte auch der Beschluss des Bundestages 1974 dar, der den § 218 revolutionierte, indem er das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen durch eine Fristenlösung ersetzte. Dieser Beschluss wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht 1976 als verfassungswidrig gekippt und die Fristen- musste einer Indikationslösung weichen.

1977 wurde zudem das Leitbild der Hausfrauenehe aus dem Grundgesetz gestrichen und der § 1356 BGB durch den Passus «Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen» und den Passus «Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein» ersetzt. Im Scheidungsrecht wurde das «Verschuldensprinzip» durch das «Zerrüttungsprinzip» ersetzt und der nacheheliche Unterhalt für den Ehepartner (meist Frauen) streng geregelt.

Die Krisen der 1970er Jahre mit hoher Arbeitslosigkeit, die konstatierten «Sozialisationsstörungen» und «Erziehungsmängel bei Kindern»[3] bewirkten jedoch eine Schwerpunktverschiebung innerhalb der Gleichstellungspolitik. Statt einer gleichberechtigten Erwerbsbeteiligung sollte die Gleichberechtigung durch die Aufwertung der Haus- und Familienarbeit erfolgen. Dafür wurden 1979 Mutterschaftsgeld und -urlaub eingeführt sowie Teilzeit von Müttern gefördert.

Mit der sich anschließenden 16 Jahre dauernden christlich-liberalen Koalition (1982-1990) wurde die konservative Wende in der Gleichstellungspolitik der Geschlechter vollzogen. Vor dem Hintergrund anhaltend hoher Arbeitslosigkeit wurde 1985 ein neues Beschäftigungsförderungsgesetz verabschiedet, das eine befristete Beschäftigung bis 18 Monate ermöglichte, die insbesondere Frauen betraf. Mit dem Erziehungsurlaubs- und Bundeserziehungsgeldgesetz von 1986 und der Ausweitung des Erziehungsurlaubs auf zunächst 12, später 36 Monate konnte der von der Frauenbewegung vehement eingeforderte Ausbau der frühkindlichen Kinderbetreuung umgangen werden. Damit war Frauen i.d.R. eine Erwerbstätigkeit lediglich in Teilzeit möglich, einem Modell, das sowohl den Anforderungen der Wirtschaft wie dem konservativen Frauenbild entsprach, das in der Teilzeit ein probates Mittel sah, den Anforderungen der Familie an die Frauen nachzukommen.

Die Politische Wende in der DDR und die 1990 durch Beitritt erfolgte Wiedervereinigung beider deutscher Staaten ging mit der Übernahme des bundesrepublikanischen Rechts-, Wirtschafts- und Währungssystems einher. In Bezug auf die Gleichberechtigung der Geschlechter stellte der Beitritt einen enormen Rückschritt dar, der sich in der sehr viel niedrigen Erwerbsbeteiligung der Frauen in der (alten) Bundesrepublik, der unzureichenden Kinderbetreuungsangebote sowohl im Vorschulalter wie im Schulalter, einer deutlich geringeren Beteiligung von Männern bzw. Vätern an Haus- und Familienarbeit, der unzureichenden finanziellen Eigenständigkeit (Einkommen und Renten) und die Abschaffung der Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch zeigte. Während der Gleichberechtigungsvorsprung und Frauenbelange bei den Parteien, die 1990 zur Wahl antraten (mit Ausnahme der PDS) kaum eine Rolle spielten, entbrannte um den § 218 SGB ein erbitterter Streit. So wurde im Einigungsvertrag eine Übergangsregelung bis 1992 festgelegt, bis zu der eine verfassungskonforme Regelung gefunden werden musste.

Nach intensiven Debatten wurde 1992 einem parteiübergreifenden Kompromiss zugestimmt, der statt der Fristenlösung die Einführung einer Pflichtberatung als Voraussetzung eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs vorsah. Dennoch ist die CDU/CSU-Fraktion vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, das Teile des Gesetzes 1993 für verfassungswidrig erklärte. An die Stelle der Pflichtberatung trat – übergangsweise – die Indikationslösung von 1976, bevor 1995 im Bundestag beschließen konnte, dass Schwangere vor einem Abbruch zu einer Beratung verpflichtet werden (die sie i.d.R. selbst bezahlen müssen).

Trotz des enormen Rückschritts beim Recht auf Abtreibung wurden während der Fortführung der christlich-liberalen Koalition (von 1990-1998) wesentliche Gesetzesvorhaben zur Gleichberechtigung auf den Weg gebracht: Mit der Erweiterung des Gleichberechtigungsparagraphen im GG um den Satz «Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin» wurde 1994 anerkannt, dass die gesetzliche Festschreibung von Gleichberechtigung allein nicht zu ihrer Umsetzung führte, sondern es aktiver politischer und rechtlicher Untersetzung bedarf. Diese wurde mit dem Zweiten Gleichberechtigungsgesetz (1994) über die Förderung von Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf den Weg gebracht, das die strukturelle Benachteiligung von Frauen überwinden, und Chancengleichheit herstellen sollte. Dies sollte im Öffentlichen Dienst über Frauenförderpläne, geschlechtsneutrale Ausschreibungen, familiengerechte Arbeitszeiten, Teilzeitbeschäftigung und Einsetzung von Frauenbeauftragten ermöglicht werden. Ein zentraler Beschluss war auch die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz ab vollendetem dritten Lebensjahr. Die konkrete Ausgestaltung wurde jedoch den Ländern überlassen, die diesen Anspruch sehr unterschiedlich umsetzten.

Die Beschränkung des Gleichberechtigungsgesetzes von 1994 auf den Öffentlichen Dienst versuchte die rot-grüne Koalition (1998-2005) durch eine Ausweitung auf die Privatwirtschaft zu überwinden. So wurde 1999 das Total-Equality-Prädikat eingeführt, mit dem Unternehmen ausgezeichnet wurden, die Frauen gezielt fördern, familienfreundliche Arbeitszeiten oder Kinderbetreuungseinrichtungen unterhalten. Im gleichen Jahr wurde auch ein Existenzgründerinnenprogramm auf den Weg gebracht, das Frauen beim Weg in die Selbständigkeit unterstützt. Und auch in der Familie werden die Weichen für mehr Gleichberechtigung gestellt: So wird durch die Veränderung im Erziehungsgeldgesetz (2001) erstmals ermöglicht, dass beide Eltern gleichzeitig «Elternzeit» (statt Erziehungsurlaub) nehmen können und in dieser Zeit Anspruch auf Teilzeit von 30 Wochenstunden haben. Die unzureichenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige und die Begrenzung des Elterngeldes auf 24 Monate, das ab dem siebten Monat dazu einkommensabhängig gezahlt wird, führten jedoch dazu, dass nur sein sehr kleiner Anteil von Vätern (2,4 Prozent im Jahr 2000) Elternzeit in Anspruch genommen haben.

In der Zeit der Großen Koalition (2005-2009) tritt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzt (AGG) in Kraft (2006). Dieses löste das Beschäftigtenschutzgesetz ab und verbot die Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, sexueller Identität (wie auch aufgrund ethnischer Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung oder Alter). Hier wird festgelegt, dass bereits Stellenausschreibungen genderneutral formuliert werden und Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen diskriminierungsfrei sein müssen. Mit der Klagemöglichkeit gegen die Nichteinhaltung des AGG stellt dieses ein bedeutsames Instrument gegen geschlechtliche Benachteiligung dar.

Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung auch in der Familie war die Einführung des Elterngeldes 2007. Als Lohnersatzleistung (67% des Einkommens bis zur Höchstgrenze), die das auf 300,- Euro/Monat begrenzte Erziehungsgeld ablöste und von beiden Elternteilen in Anspruch genommen werden kann, sollte es Väter dazu motivieren, verstärkt Sorgearbeit für ihre Kinder zu übernehmen. Mit dem Elterngeld wurde die Privilegierung von Hausfrauen gegenüber erwerbstätigen Müttern aufgehoben und auch mehr Väter motiviert, Elternzeiten zu beanspruchen. Waren beim Erziehungsgeldbezug 2007 nur 3 Prozent männlich, sind es 2022 beim Elterngeld immerhin 26,1 Prozent. Diese familienpolitische Maßnahme, die im Jahr 2015 erweitert (Elterngeld Plus und Partnermonate) wurde, stellt einen echten Meilensteil für die Gleichberechtigung in der Familien- und Sorgearbeit dar und ermöglicht es mehr Frauen, am Erwerbsleben teilzuhaben. Gestärkt wurde dieser Ansatz auch durch das Kinderförderungsgesetz, das 2008 in Kraft trat. Dieses hatte den Ausbau der Kinderbetreuung zum Ziel, die Grundlage für eine gleichberechtigte(re) Beteiligung von Frauen an Erwerbsarbeit. Das Gesetz formulierte den Anspruch, bis 2013 für 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren einen Kita-Platz zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zweck hat der Bund seit 2008 mittels fünf Investitionsprogrammen insgesamt 5,4 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt, um 750.000 zusätzliche Kita-Plätze zu schaffen.

Der dazu gehörige Rechtsanspruch auf Betreuung von Kindern unter drei Jahren wurde 2013 von der christlich-liberalen Koalition (2009-2013) formuliert. Dazu wurden auch Bundeszuschüsse für den Ausbau von Kitaplätzen in Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt. Allerdings wurde fast zugleich 2012 das Betreuungsgeldgesetz verabschiedet, das eine finanzielle Unterstützung bei privater Betreuung leistet und damit Eltern (zumeist Müttern) die Verantwortung für die Sorgearbeit zuweist.

Ebenso zweischneidig ist die Einführung des Familienpflegezeitgesetzes (2012). Zwar wird die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Pflege von Angehörigen damit erleichtert; die mögliche Teilzeiterwerbstätigkeit wird jedoch weit überwiegend von Frauen in Anspruch genommen – mit den einhergehenden Nachteilen bei Einkommen, Arbeitslosigkeit und Rente.

Schwerpunkte der Gleichstellungspolitik der Großen Koalition (2013-2021) stellte die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. die stärkere Verpflichtung von Vätern für die Sorgearbeit sowie die Erhöhung von Frauen in Führungspositionen dar. Um die Vereinbarkeit für Eltern zu vereinbaren, wurde das Bundeserziehungsgeldgesetzt 2015 erweitert; ab jetzt können Eltern, die neben der Sorgearbeit in Teilzeit arbeiten, das Elterngeld Plus auch parallel und über einen längeren Zeitraum beziehen. Darüber hinaus wird der Elterngeldbezug um zwei Monate verlängert, wenn der andere Elternteil (i.d.R. der Vater) in dieser Zeit die Sorgearbeit übernimmt. Beide Regelungen haben die Übernahme von Sorgearbeit durch Väter deutlich befördert; 2019 haben 43,5 Prozent der Väter für eine befristete Zeit Elterngeld bezogen. Dass die gestiegene Sorgearbeit jedoch nicht mit einer gleichberechtigten Arbeitsteilung in der Familie einhergeht, zeigt sich daran, dass 2021 nur 10 Prozent der sorgenden Väter mehr als die zwei Partnermonate in Anspruch nahmen.

Ein weiteres wegweisendes Gesetz wurde 2021 auf den Weg gebracht: das Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter (Ganztagsförderungsgesetz - GaFöG). Dieses Gesetz wurde kurz vor der Bundestagswahl 2021 erst nach dem Kompromissvorschlag des Vermittlungsausschusses verabschiedet, der eine milliardenschwere Beteiligung des Bundes für den Ganztagsausbau in den Ländern bis zum Rechtsanspruch 2026 vorsieht. Dieses soll sicherstellen, dass der Mangel an Kinderbetreuungsmöglichkeiten künftig die Erwerbsneigung und -beteiligung von Eltern, insbesondere Müttern nicht mehr beschränkt.

Um gegen die deutliche Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen anzugehen, wurde 2015 das heftig diskutierte Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG) verabschiedet. Hat dies in Aufsichtsräten bestimmter Unternehmen und auch im Öffentlichen Dienst zu einer Erhöhung des Frauenanteils geführt, lässt sich dies für die Vorstände großer (DAX-)Konzerne nicht nachweisen.

Um den Anteil von Frauen auch in den Vorständen großer (DAX-)Unternehmen zu erhöhen, wurde das (FüPoG) 2021 unter der Ampel-Regierung verändert und auf Vorstände ausgeweitet.

Ansonsten hat die Ampelregierung zwar in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, die Gleichstellung der Geschlechter bis 2030 erreichen zu wollen, die Übersetzung in konkrete rechtliche Vorhaben oder politische Projekte blieb bislang weitgehend aus.

Zusammenfassend lässt sich zeigen, dass auch 75 Jahre nach der Verabschiedung des Gleichberechtigungsparagraphen im Grundgesetz der Bundesrepublik die Umsetzung der Gleichberechtigung unvollständig ist. Zwar haben Mädchen und Frauen in der Bildung die Jungen und Männer ein-, in der Hochschulbildung sogar überholt, aber sowohl in Beruf wie in Familie sind sie immer noch benachteiligt – im Westen stärker als im Osten. Der Gender Pay Gap betrug deutschlandweit im Jahr 2023 immer noch 18 Prozent (West: 19, Ost: 7), die Erwerbsquote von Frauen betrug 2023 73,6 Prozent deutschlandweit (Männer: 80,0), im früheren Bundesgebiet 71,5 Prozent, in den neuen Ländern 74 Prozent. Große Unterschiede gibt es in der Teilzeitquote: 2023 arbeiteten bundesweit 48,2 Prozent  der Frauen in Teilzeit (West: 49,8, Ost: 41,1), aber nur 13 Prozent  der Männer.

Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist zwar gestiegen, liegt aber immer noch deutlich unter ihrem Anteil an Beschäftigten: im Öffentlichen Dienst lag ihr Anteil 2022 bei 41 Prozent, in der Privatwirtschaft bei 28 Prozent.

Spiegelbildlich dazu tragen Frauen immer noch die Hauptlast der Familien- und Sorgearbeit: sie bringen mit 4:13 Stunden täglich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer mit 2:46 Stunden. Und sie nehmen mit 73,9 Prozent den größten Teil der Elterngeldbezieher*innen ein. Männer nehmen dagegen zu 90 Prozent nur die beiden zusätzlichen Partnermonate beim Elterngeld in Anspruch.

Die niedrigeren Einkommen der Frauen, ihr geringerer Anteil in Führungspositionen sowie ihre deutlich stärkere Beteiligung an Sorgearbeit sind eine wesentliche Ursache für ihren deutlich überdurchschnittlichen Anteil unter den Altersarmen: Die Alterseinkünfte von Frauen liegen 27,1 Prozent unter denen der Männer. Rechnet man die Hinterbliebenenrente heraus, steigt die Lücke auf 39,4 Prozent.

Obwohl die Gleichberechtigung der Geschlechter auch 75 Jahre nach ihrer Festschreibung im Grundgesetz nur unvollkommen umgesetzt werden konnte ist der verfassungsmäßige Rang der Gleichberechtigung ein hohes Gut, um das permanent gerungen werden muss. Denn es stellt keineswegs ein von allen geteiltes Ziel dar, sondern geriet und gerät immer wieder unter Beschuss durch konservative und aktuell auch nationalistisch-reaktionäre Kreise. Zwar hat der Grundgesetzartikel Vorrang vor allen anderen Gesetzen und ist aufgrund seiner «Ewigkeitsklausel» (Art. 79, Abs.3), die Veränderungen grundlegender Werte und Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausschließt, dem direkten Zugriff von Parteien bzw. Parteipolitik geschützt. Aber die Bestimmungen des Grundgesetzes stellen lediglich Leitplanken dar, die über Gesetze und Verordnungen mit konkreten Inhalten gefüllt werden müssen – und auch Raum für Rückschritte in der Gleichstellungspolitik ermöglichen[4]. Um dem Anspruch des Grundgesetzes auch zur Verfassungswirklichkeit zu verhelfen bedarf es permanenter politischer Kämpfe und Akteure. Es bleibt daher die Aufgabe der Politik wie der Menschen dieses Landes, das Grundgesetz als solches gegen seine Feinde zu verteidigen wie die hier formulierten Grundsätze Wirklichkeit werden zu lassen.


[1] Ute Frevert (1986) Frauen-Geschichte: Zwischen bürgerlicher Verbesserung und neuer Wirklichkeit, Frankfurt/M., S. 253)

[2] Das Modell von Myrdal und Klein sah vor und nach Kindererziehungszeiten eine Berufstätigkeit von Frauen vor.

[3] Zweiter Familienbericht: Familie und Sozialisation. Leistungen und Leistungs-grenzen der Familie hinsichtlich der Erziehungs- und Bildungsprozesse der jungen Generation. Erster Teil: Stellungnahme der Bundesregierung. Zweiter Teil: Bericht der Sachverständigenkommission. BT-Drucks. 7/3502 v. 15.4.1975. Bonn.

[4] Wie die Diskussionen um das Abtreibungsrecht von sog. „Lebensschützern“ zeigen.