Publication Rassismus / Neonazismus - Deutsche / Europäische Geschichte - Geschichte - Erinnerungspolitik / Antifaschismus »Grundfrage: Antifaschistischer Widerstand«. Zur Widerstandsrezeption in der DDR bis 1970

Utopie Kreativ Heft 118 August 2000

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Zeitschrift «Utopie Kreativ» (Archiv)

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August 2000

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UTOPIE kreativ, H. 118

(August 2000),

S. 786-796Seit dem Ende der deutschen Zweistaatlichkeit besteht in der Forschung weitgehend Konsens darüber, daß es sich bei der Rezeption des Widerstandes gegen das Dritte Reich als Folge der deutsch-deutschen System-Konkurrenz um weitgehend komplementäre Vorgänge gehandelt hat, deren Koordinaten, Inhalte und Darstellungsweisen oft einer tagespolitischen Instrumentalisierung unterlagen. Was jeweils unter Widerstand gefaßt und gewertet wurde, diente nicht nur in der Zeit des Kalten Krieges zur ideologischen und politischen Abgrenzung des jeweils anderen deutschen Staates. Für die Übereinstimmung in der Zeichnung der Hauptlinien in der Geschichte der komplementären Verengungen und politischen Stilisierungen können die folgenden Wertungen stehen. In dem von Peter Steinbach und Johannes Tuchel herausgegebenen Standardwerk von 1994 heißt es: »In der DDR wurde bis in die 70er Jahre hinein der kommunistische ›antifaschistische Widerstand‹ beschwo-ren, während in der BRD bis weit in die 60er Jahre vor allem die Verschwörer des 20. Juli 1944 als Widerstandskämpfer gefeiert wurden.«1 Eine fast identische Einschätzung finden wir zeitgleich in einem Forschungsüberblick der aus der DDR stammenden Historikerin Ines Reich 1994: »In der Bundesrepublik dominierte bis in die 60er Jahre hinein die Behandlung des Widerstandes des 20. Juli 1944 sowie der kirchliche Widerstand und in der DDR der kommunistische Widerstand sowie Fraktionen wie das NKFD oder die Rote Kapelle.« 2

Daß es sich hierbei jedoch nicht um platte Dichotomien, sondern um historische Darstellungsweisen und Rezeptionsformen handelte, die durch vielfältige Differenzierungen und wechselseitige Verflechtungen und Einflußnahmen gekennzeichnet waren, macht die schier unüberschaubare Anzahl von Forschungsergebnissen zum Widerstand im letzten Jahrzehnt deutlich.3 Die nach dem Ende der DDR vor allem delegitimierend4 und weniger historisch gebrauchte Formel vom »verordneten Antifaschismus« erfaßte dabei nur eine, wenn auch wesentliche Dimension des Umgangs mit Antifaschismus in der DDR, nämlich die Etablierung, Inszenierung und Ritualisierung des Antifaschismus als zentralem Gründungsmythos und Teil des gesellschaftlichen Lebens in der DDR. Nicht beziehungsweise unzureichend erfaßt wurden und werden mit dieser Formel die vielfältigen Formen eines praktizierten, realen Antifaschismus, wie er sich in den narrativen, ikonischen Vermittlungsarten sowie in den sich differenzierenden historiographischen Darstellungen und lebensweltlichen Erfahrungsbereichen und individuellen Erinnerungsmustern niederschlug. Das von dem Berliner Politologen Helfried Münkler 1997 vorgeschlagene Interpretations-muster vom unterschiedlichen kollektiven Gedächtnis der Deutschen, wonach das der Ostdeutschen vor allem kulturell, das heißt durch öffentliche Vermittlung und Präsentation, und das der Westdeutschen vor allem kommunikativ, das heißt durch Alltagskommunikation geprägt sei, bedarf in bezug auf den Stellenwert des Antifaschismus in diesem Zusammenhang noch genauerer Untersuchungen. Den von Münkler identifizierten beiden Gründungsmythen – hie Antifaschismus und da Währungsreform und Wirtschaftswunder5 – hat Edgar Wolfrum 1999 mit der Zuweisung des 17. Juni 1953 als »entscheidendem Knotenpunkt für die Erinnerung« der alten Bundesrepublik einen Interpretationsvorschlag für die deutsch-deutsche Geschichtspolitik und -kultur gemacht,6 der in seiner verklammernden geschichtspolitischen Relevanz nach vorne offen ist und der in besonderer Weise auch mit der Geschichte des Widerstandes der Deutschen in zwei Diktaturen verbunden ist.

Wie schwierig nach 1989 die Wege zu einem »integralen Widerstandsverständnis« (Peter Steinbach) waren, haben die Auseinandersetzungen um die ständige Ausstellung in der Gedenkstätte des deutschen Widerstandes oder die Vorgänge um die bilderstürzlerischen Berliner Straßenumbennungen, zuletzt um die Käthe Niederkirchner Straße, und vieles andere gezeigt. Eine im einzelnen noch zu leistende kritische Bilanzierung der erreichten Forschungs- ergebnisse hätte sich zugleich der verschiedenenen historischen Rezeptionsweisen zu vergewissern, um sowohl das verfügbare Wissen wie auch die signifikanten Leerstellen im Heute präsent halten zu können.

Daß es nach wie vor Nachholebedarf gibt und wie differenzierte Wertungen auch heute durch ungenaue Recherchen und Ambivalenzen gefährdet sein können, zeigt ein Blick auf eine an sich sehr verdienstvolle wichtige Publikation zu Ricarda Huch, deren Be-mühungen um Widerstands-Bilder der »Märtyrer der Freiheit« am Anfang einer noch gesamtdeutschen Anstrengung stehen. Wolfgang M. Schwiedrzik hat das Torso gebliebene »Gedenkbuch« zu rekonstruieren versucht und durch Briefe und Dokumente ergänzt. Ein Teil der Porträts war 1947 in der Presse, darunter der Täglichen Rundschau erschienen. Deutlicher zeigt sich in dieser Edition7 Ricarda Huchs breite, verschiedene Lager des deutschen Widerstandes gegen Hitler umfassende Anlage, die Qualität ihrer Porträts, die ihren Ausdruck im Modellieren der Geistesart und dem Aufdecken der individuellen politischen und ethischen Motivationen der Akteure fand. Noch genauer allerdings wäre die Rekonstruktion ausgefallen, wenn der Herausgeber die im Weisenborn-Nachlaß der Ostberliner Akademie der Künste überlieferten Dokumente einbezogen hätte.

Bekanntlich hatte Ricarda Huch im Kontext des 1947er Schriftstellerkongresses Weisenborn ihr Material zur Fortsetzung der Arbeit zu treuen Händen übergeben.8 Statt dessen erweist sich des Herausgebers Vorwurf an Weisenborn, bezogen auf den 1953 im Hamburger Rowohlt-Verlag erschienenen »Lautlosen Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes« (nach dem Material von Ricarda Huch), als unzutreffend. Die monierte »Linkslastigkeit« und die fehlende »Wärme und Sympathie«9 halten einer Lektüre von Weisenborns nach wie vor wichtigem Standardwerk nicht stand und verkleinern zudem Ricarda Huchs Bemühung auch um den sozialdemokratischen, gewerkschaftlichen und kommunistischen Widerstand.

Mit dem »Lautlosen Aufstand« sind wir bei der frühen Geschichtsschreibung zum Widerstand angelangt und der Erörterung, warum zum Beispiel dieses Buch nie in der DDR erschienen ist, obwohl Weisenborn ein in DDR-Verlagen sonst gern publizierter Autor war. Die Gründe dafür lagen eindeutig im Konzept (gerichtet auf einen objektiv und allen Richtungen des Widerstandes gerecht werdenden »Bericht«) sowie in der Ausführung (weniger Kommentar denn breite Präsentation von Original-Quellen), denn beides zusammen stand zu den Koordinaten des DDR-Widerstands-Diskurses mindestens quer. Das ist der zeitgenössischen Reaktion zu entnehmen. So vermerkte eine Rezension in der vom Schriftstellerverband herausgegebenen Zeitschrift »Neue deutsche Literatur« im März 1954 zwar zunächst positiv ein »Plädoyer zur Rehabilitierung der Widerstandsbewegung in Westdeutschland«, um dann jedoch zugleich eine »Verschiebung der Proportionen«10 innerhalb der Widerstandsbewegung zu beklagen und einen Verstoß gegenüber der historischen Wahrheit, daß die Kommunisten den größten Anteil im Kampf gegen das NS-Regime gehabt hätten, festzustellen.

Dieses Argumentationsmuster im Widerstands-Diskurs (Massenhaftigkeit plus Makellosigkeit) hatte seine Grundlegung in der SED-Geschichtsschreibung mit der im Oktober 1951 gefaßten ZK-Entschließung über »Die wichtigsten ideologischen Aufgaben der Partei« erfahren, in der die »wissenschaftliche Ausarbeitung der deutschen Geschichte und der deutschen Arbeiterbewegung vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus«11 programmiert, die Gründung einer Zeitschrift für Geschichtswissenschaft angeregt und die Ausarbeitung eines Hochschullehrbuches der deutschen Geschichte beschlossen worden waren. Diese Maßnahmen waren einhergegangen mit der Überprüfung des bisherigen propagandi-stischen Materials. So geriet das für das Parteilehrjahr 1951/1952 herausgegebene »Lehrbuch für die Politischen Grundschulen«‚ besonders in seinem Teil über die Jahre 1933 bis 1945 in eine aufschlußreiche Kritik. Die gegenüber Walter Ulbricht geltend gemachten Haupteinwände der Abteilung Propaganda des ZK der SED an dem von Walter Bartel ausgearbeiteten Teil richteten sich auf »fehlerhafte Einschätzungen und Schlußfolgerungen, die die geschichtliche Wahrheit entstellen«.12 Das Buch schenke der Geschichte der KPD eine »ungerechtfertigt geringe Aufmerksamkeit«. Das zeige sich unter anderem darin, daß die Widerstandsbewegung in Deutschland gegen das Hitlerregime unter der Führung der KPD als »außerordentlich schwach« erscheine. Es würden vor allem die Schwächen dieser Bewegung hervorgehoben, so zum Beispiel die Unfähigkeit der KPD, Aktionen größeren Ausmaßes zu organisieren. Statt auf die objektiven Schwierigkeiten unter den NS-TerrorBedingungen und den heroischen Kampf der Kommunisten hinzuweisen, würde durchweg der Eindruck des subjektiven Versagens der KPD und der historischen Niederlage vermittelt. Statt die einzelnen Widerstandsgruppen gebührend zu würdigen, stelle man die bekannte Generalsverschwörung, für deren Behandlung in diesem Lehrbuch kaum eine Notwendigkeit bestünde, in eine Reihe ihres Kampfes gegen das Hitlerregime. Die beispielgebende Rolle Ernst Thälmanns für den antifaschistischen Kampf werde nicht herausgearbeitet. Außerdem kämen noch hinzu: Lobeshymnen auf die Sozialdemokratie, ausführliche Zitate von Reaktionären wie Eduard Bernstein und Philipp Scheidemann.

Die hier formulierten Einwände spiegelten zeittypische Diskurs-Figuren, die problematisch geworden waren. Das betraf in dem 1952er »Lehrbuch« vor allem drei Feststellungen. Im Lande selbst hätten die illegalen Widerstandsgruppen heroische Anstrengungen gemacht, das deutsche Volk zum Kampf gegen Hitler und den Krieg zu mobilisieren. Der schrankenlose Terror der Gestapo und der SS habe aber immer wieder die Bemühungen der in strengster Illegalität wirkenden Widerstandsorganisationen zerschlagen. Und: »Obwohl die Saefkow-Gruppe, die Gruppe Römer-Sachse-Uhrig, die Gruppe Schulze-Boysen-Harnack (Rote Kapelle) und viele andere Gruppen heroische Beispiele des Widerstandes gaben, blieben sie doch von den Massen des deutschen Volkes isoliert.«13 Das hier dokumentierte kritische Eingeständnis von äußerst begrenzten Wirkungen angesichts einer NS-beeinflußten Bevölkerung und des brutalen Terrors wurde nun als Diskurs-Figur abgeschafft. Aus den Niederlagen der umgekommenen Widerstandsakteure mutierten die Siege der SED-Führung, die sich berufen erklärte, deren Vermächtnis zu erfüllen.

Kampf und Sieg auf der einen Seite und Leiden und Niederlage auf der anderen Seite waren auch die Pole, zwischen denen bis zum zwangsweise verfügten Ende der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« (VVN) im Februar 1953 noch verschiedene plurale Deutungsmuster und unterschiedliche Ströme von Berichts- und Dokumentarliteratur – wenngleich auch nicht unumstritten und parteiideologisch angegriffen – existieren konnten. Mit der Auflösung auch des VVN-Verlages14, der immerhin zweihundert eigene Titel mit gesamtdeutscher Ausrichtung und internationaler Dimension in hohen Auflagen herausbringen konnte, entstand eine folgenreiche Leerstelle im Antifaschismus-Diskurs, die vor allem die jüdische Opferperspektive mit Langzeitwirkung in den Hintergrund schob. Ein Teil dieser Titel sowie neue Dokumentationen zum Mord an den Völkern des Ostens und den Juden Europas kamen jedoch ab der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre im Kongreß-Verlag, Ruetten & Loening und dem Union-Verlag in großer Anzahl heraus.15 Letztere Publikationen waren auf den Nachweis der an der Menschenausbeutung und -vernichtung verdienenden Monopole und NS-Institutionen gerichtet und machten die NS-Täter namentlich, dies vor allem gegen die Bundesrepublik gewandt, in der mancher von ihnen nach wie vor ungeschoren lebte. Hier zeigte sich ein generelles Merkmal der DDR-Geschichtswissenschaft und -politik. Das war der enge Zusammenhang, in dem sich aktuelle Parteipolitik (hier als Außenpolitik) mit der Faschismusforschung (mit der bekannten Dimitroff-Definition von 1935) und der Widerstandsforschung befanden. Er drückte sich langfristig in dem vorherrschenden Interesse für die ökonomischen und politischen Ursachen und Strukturen des Nationalsozialismus und weniger in der sozialen, mentalen und psychologischen Aufklärung der Ursachen für Massengefolgschaft und Wirkungsmächtigkeit des Nationalsozialismus aus.16

Der Widerstands- und Lager-Diskurs als zentrale Teile des historischen Herrschafts-Diskurses erwiesen sich als eng miteinander verbunden, das zeigte sich in dem öffentlichen Umgang mit den KZ-Gedenkstätten ebenso wie im publizistisch-editorischen Bereich, dem für die narrative Vermittlung entscheidenden.17 Bereits zwei Beispiele können diese Zusammenhänge belegen.

1958 erschien im Berliner Ruetten & Loening Verlag als Übersetzungstitel aus dem Polnischen »Im Feuer vergangen. Tagebü-cher aus dem Ghetto, mit einem Vorwort von Arnold Zweig«. Des Schriftstellers Vorwort, datiert auf den 15. September, einen Tag nach der staatsoffiziellen Einweihung des Buchenwalddenkmals, enthält – wie Thomas Taterka in einer bisher unveröffentlichten Studie zum Lager-Diskurs in der DDR schreibt – die vielleicht einzige in der DDR öffentlich gewordene Reaktion auf das Ausblenden der jüdischen Opfer in der Anlage und bei der Einweihung der Buchenwalder Gedenkstätte. »Unter den 21 Fahnen der Völker, welche sich auf dem Ettersberg zusammen fanden, um das unauslöschliche Gedenken der Helden und Märtyrer mit dem Kampfruf gegen die Wiederkehr der Barberei zu verbinden, fehlte die Fahne mit dem uralten Emblem des Davidsterns, welches die jüdischen Opfer des faschistischen Terrors vertreten hätte. Hier, in diesem Buche, ist sie neben den roten gehißt.«18 Weder wurde je der Davidstern in Buchenwald gehißt, noch entging die Bemerkung Zweigs auf Dauer der Zensurbehörde. Allerdings enthielt noch die 7. Auflage von 1962 diesen Satz.

Auch das zweite Beispiel erregte wegen seines Vorworts, verfaßt von Hermann Langbein, dem langjährigen Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees und Autor des Buches »Die Stärkeren. Ein Bericht«, Wien 1949, Anstoß. In dem Übersetzungstitel aus dem Tschechischen »Die Todesfabrik« von Ota Kraus und Erich Kulka (Kongreß Verlag Berlin 1957) hatte dieser zu Beginn geschrieben: »Es gibt leider noch immer in verschiedenen Ländern Konzentrationslager. Wir, die wir die deutschen Konzentrationslager zur Zeit Hitlers kennengelernt haben, überlassen es anderen, das Bestehen solcher Lager zu rechtfertigen«.19 Dieser vieldeutige Satz, der wie so oft – den geltenden Zensur-Regeln zuwiderlaufend – als Teil der »Einleitung« nicht der Zensur-Behörde vorgelegen hatte, löste hektische Reaktionen des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer in der DDR (KAW, die Folgeeinrichtung der VVN) aus, die zur Zurückziehung des Buches führten. Die Vertreter des KAW, die sich in der Folgezeit zu obersten Gralshütern der Wahrheit über den Widerstand aufwarfen, vermuteten eine antisowjetische Provokation, da Langbein die sowjetische Intervention bei den ungarischen Ereignissen von 1956 öffentlich abgelehnt hatte. Um zukünftig solche »Pannen«, das heißt »falsche« Darstellungen von Vorgängen der Widerstandsbewegung (innerhalb und außerhalb der Lager) zu vermeiden, wurden im Januar 1958 in einem Rundschreiben der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel alle Verlage der DDR angewiesen, vor Drucklegung dokumentarischer und fiktionaler Darstellungen zur Widerstandsbewegung das KAW zur Beratung und Begutachtung zu konsultieren. Damit war auf diesem Gebiet neben der zentralen staatlichen Zensur-Instanz ein zusätzliches Instrument zur Durchsetzung eines »richtigen« Bildes vom Widerstand geschaffen.20

Mit dieser Instanz bekam es auch ein Buch zu tun, das als bis dahin umfangreichster Darstellungsversuch über den antifaschistischen Widerstandskampf zu werten ist und insofern durchaus mit Weisenborns »Lautlosem Aufstand« zu vergleichen war: Walter A. Schmidts 1958 erschienenes Buch »Damit Deutschland lebe. Ein Quellenwerk über den deutschen antifaschistischen Widerstandskampf 1933-1945«. In einer Art Lesebuch vermittelte es in einer umfänglichen, über 800 Seiten umfassenden Text-Montage einen bisher so nicht vorhandenen detaillierten Einblick in fast alle Richtungen und Handlungsfelder des Widerstandes. Die Hauptteile waren dem Widerstand in den Betrieben, in den verschiedensten Volksschichten, in den faschistischen Konzentrationslagern und Zuchthäusern gewidmet. Komplettiert wurde dies durch Über-blicksteile zum »allgemeinen Kampf antifaschistischer Widerstandsgruppen« (in den Phasen 1933-39, 1939-42, 1943-45, in der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition, in Spanien, in den verschiedenen Emigrationsländern, wobei die Sowjetunion nicht extra vorkam), durch ein Kapitel zum Widerstand in der Wehrmacht und einen Schlußteil »Die KPD, die Führerin des umfassenden Kampfes gegen den Faschismus«. Das »Quellenwerk« war trotz mancher stofflicher Überschneidungen und thematischer Dopplungen das beachtliche Arbeitsergebnis eines einzelnen, der im Vorwort als KPD- und Gewerkschaftsfunktionär, Journalist und Widerstandskämpfer vorgestellt wurde und dessen autobiographische Beziehung zum Thema im Buch selbst noch genauer deutlich wird. Als führender Funktionär in der Angestellten-Gewerkschaft hatte er zunächst illegal in Deutschland und dann von der Schweiz aus gegen den Nationalsozialismus gewirkt, nicht zuletzt durch einige Broschüren, die illegal nach Deutschland gelangten, das heißt einen Teil seines Materials hatte er bereits im Exil sammeln können.21 Interessante Perspektiven eröffnete das Buch vor allem dadurch, daß Texte unterschiedlichster Art zusammengestellt waren: bereits veröffentlichte, aber auch viele bisher unbekannte biographische Erinnerungen und Aufzeichnungen von Akteuren des Widerstandskampfes, Manifeste und Verlautbarungen der politischen und sozialen Organisationen, Zeugnisse des illegalen Kampfes, Auszüge aus Gestapo-, Polizei- und Gerichtsakten. Eine vielzitierte Quelle ist dabei Weisenborns »Der Lautlose Aufstand«, was die offizielle Kritik als problematisch vermerken wird. Ausgespart blieben die »opponierenden Generale und Kapitalisten« der sogenannten Bewegung des 20. Juli 1944, dies blieb die zentrale Leerstelle. Das Buch erlebte zwei Auflagen und fand in der Breite seines Materials keine Nachfolge. Schmidts Materialbuch repräsentierte eine bemerkenswerte Zwischenetappe im Widerstandsdiskurs. Es kam noch außerhalb der Partei- und akademischen Institutionen zustande und wurde wohl auch nur veröffentlicht in Ermangelung von vergleichbaren parteioffiziellen Überblicksdarstellungen. In einer unendlichen Geschichte schwelte über fünf Jahre ein Konflikt zwischen dem Autor und den Partei- und staatlichen Instanzen, dessen Inhalt aus der Logik des Herrschafts-Diskurses nicht überraschend war: Die führende Rolle der KPD für den Widerstandskampf käme nicht genügend klar zum Ausdruck.22 Außerdem erwies sich der »faktologische Charakter des Buches« als anstößig. Die »nur mit einem Mindestmaß kommentierte Quellensammlung« gäbe vielen subjektiven Färbungen Raum. Ein einzelner sei heute nicht mehr in der Lage, eine solche Darstellung zu leisten. Als außerordentlich ungünstig für Schmidt erwies sich letzlich, daß 1962/63 inzwischen der »Grundriß zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« erschienen war und damit die Sicht auf den antifaschistischen Widerstand unübersehbar parteioffiziell fixiert war. Es sei klar, daß ohne dessen »Auswertung« und »grundsätzliche Umarbeitungen«23 das Buch nun nicht mehr erscheinen könne.

Mit dem Erscheinen des »Grundrisses« begann nun auch eine neue Etappe im Widerstandsdiskurs, die Publikationen zu diesem Thema außerhalb von Parteiinstitutionen von vornherein keine Chance mehr gab. Die Tatsache, daß es später trotz beträchtlicher wissenschaftlicher Forschungskapazitäten nicht mehr zu einer ähnlich gearteten umfangreichen Quellendokumentation gekommen ist, zeigt noch einmal die persönliche historische Leistung Schmidts. Sie wirft zugleich ein bezeichnendes Licht auf die anhaltenden Schwierigkeiten in der parteieigenen Forschungsarbeit, die aus dem Festhalten an bestimmten Dogmen und Tabus resultierten. Die Ära der kollektiven Geschichtsprojekte erreichte mit der »Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« (GdA) einen Höhepunkt, nachdem die langwierige Arbeit am Hochschullehrbuch bereits die Gestehungskosten dieser Art kollektiver Arbeitsweise offenbart hatte. Ulbricht fühlte sich durch den desaströsen Verlauf der Hochschullehrbucharbeit in seiner Meinung bestärkt, daß die »richtige Geschichtsdarstellung« sowieso nur unter der Leitung des Politbüros mit ihm an der Spitze entstehen könne.

In der seit 1947 innerhalb der höchster Parteigremien institu- tionalisierten Widerstandsforschung mit zunächst wechselnden Bezeichnungen (Hauptreferat Widerstandsbewegung, Sektor Geschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes u.ä.) war neben der Sicherung und Sammlung von Dokumenten früh mit der Organisierung von sogenannten Erinnerungs-Berichten begonnen worden, einem wichtigen erfahrungsgeschichtlichen Material für das kollektive Gedächtnis der Partei, das jedoch sekretiert blieb.24 Publiziert wurde zunächst die im Institut für Marxismus-Leninismus erarbeitete Reihe »Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung«. Hier erschienen in den Jahren 1957 bis 1960 Dokumentationen zu den Widerstandsgruppen Neubauer-Poser, Saefkow-Jacob-Bästlein, Bästlein-Jacob-Abshagen, Schumann-Engert-Kresse, die als »solide Aktengrundlage für die zukünftige wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet«25 gedacht waren. Noch 1958 erklärte der zuständige Sektorenleiter des Institut für Marxismus-Leninismus die Erforschung und Darstellung der Phase 1939-1945 als vorrangig, »weil über diesen Zeitabschnitt die größte Unkenntnis besteht«. Drei Feststellungen erschienen ihm als verbindlich: die »einzig führende Rolle der KPD« im Widerstandskampf, die einheitliche Leitung durch das ZK der KPD, ein größerer Umfang der illegalen Aktivitäten der KPD als bisher angenommen.26

In der Rezeption der oben genannten Dokumentations-Serie offenbarte sich bald jedoch ein deutlicher Widerspruch im parteioffiziellen Widerstands-Diskurs: Einerseits sollten die regionalen und lokalen Aktivitäten und Aktionen dargestellt werden, andererseits führte dies dann oft zum Vorwurf der »Überschätzung« einzelner dieser Gruppen. Wie sehr hier ernsthafte Forschungsprobleme mit überformenden Deutungsmustern kollidierten, machte ein Artikel im Märzheft der »Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung« (BzG) 1961 sichtbar, dessen Aufgabe es war, »ernsthafte Mängel und fehlerhafte Darstellungen«27 in Veröffentlichungen des Institut für Marxismus-Leninismus zu benennen und orientierende Richtlinien für die weitere Arbeit auf diesem Gebiet zu geben.

Verfaßt von dem im Institut für Marxismus-Leninismus für diese Arbeit zuständigen »Kollektiv« (der sogenannten Widerstandsbrigade), handelte es sich um eine in dieser Form recht seltene öffentliche Selbstkritik, die nicht als solche auf den ersten Blick erkennbar war. Der wissenschaftliche Maßstab dieser Kritik sind vor allem die »Arbeiten des Genossen Walter Ulbricht«. Die trotz »mancher wertvoller Forschungsergebnisse« in den IML-Arbeiten enthaltenen »Fehler« hätten in der ungenügenden Berücksichtigung von Ulbrichts Darstellung, im vorherrschenden »subjektiven Herangehen« ihre Ursachen.

Zwischen dem Lob von 1958 und der jetzigen Kritik lag die »ideologische Offensive« nach dem V. Parteitag der SED, die unter anderem Klarheit in den sozialistischen Traditionsbeständen verlangte. Die Hauptthese für den kommunistischen Widerstand erfuhr noch eine Steigerung, ohne daß dies mit entsprechenden empirischen Resultaten gestützt wurde. Den Kernpunkt der Selbstkritik ahnen wir schon: Ungenügend sei die führende Rolle der Partei und ihres ZK herausgestellt worden. Unklar blieben auch die historischen Etappen. Der Beitrag entwarf eine starke Kontinuitätslinie der KPD-Politik, vom Programm zur nationalen und sozialen Befreiung von 1930 über 1935 und 1939 bis zum Januar 1940, als die bisherigen Abschnittsleitungen aufgelöst und eine zentrale operative Leitung der KPD im Lande aufzubauen versucht wurde. Dies sei durch »Instrukteursgruppen des ZK« geschehen und habe so die Führungsrolle von Moskau aus gewährleistet. In den Darstellungen zu einzelnen Widerstandsgruppen in der oben genannten »Reihe« wäre demgegenüber der irreführende Eindruck vermittelt worden, daß »die Kommunisten im Lande auf sich allein gestellt und gezwungen gewesen wären, ohne die richtungsweisende Orientierung und Führung durch das ZK die politische Linie der Partei selbst auszuarbeiten«.28 Das »unsterbliche Verdienst« der im Lande tätigen Funktionäre bestünde darin, daß sie die zentralen Beschlüsse umgesetzt hätten.

Das von Ulbricht gesetzte Dogma war in den Darstellungen der Tätigkeit der Widerstandsgruppen mit ihren konkreten historischen Abläufen und sehr differierenden Bedingungen für die illegale Arbeit vor Ort sowie den unterschiedlichen Erfahrungshorizonten in Widerspruch geraten. Die notwendigen Selbständigkeiten vor Ort beschränkten sich jedoch nicht nur auf die antifaschistischen Aktionen und Initiativen, sondern sie dokumentierten sich auch in programmatischen Ausarbeitungen und operativen Materialien. Dies in ersten Anfängen und Ansätzen mit Materialien dokumentiert zu haben, ließ offensichtlich die »Reihe« im Verständnis Ulbrichts als eine unzumutbare Provokation erscheinen. Auch in den von den Bezirks- und Kreiskommissionen zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung veröffentlichten Broschüren schlug sich diese als Dezentralisierungsthese zu fassende Erscheinung wohl zu deutlich nieder.

Der hiermit verbundene Widerspruch im parteioffiziellen Widerstandsdiskurs blieb zu Zeiten Ulbrichts bestehen, in der achtbändigen »Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« wurde er 1966 mit dem Dogma von der allseits führenden Rolle des ZK für den Widerstand absichernd zugedeckt. Langfristig jedoch war das eine nicht ohne das andere zu haben: Die gewünschte und geförderte breite Dokumentation des antifaschistischen Widerstands im Lande brachte immer mehr Zeugnisse und Erfahrungsberichte ans Licht, deren offensichtliche Eigenständigkeit das zentrale Dogma mehr und mehr verblassen ließ.

In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre begannen sukzessive Materialien »aus der Tätigkeit illegaler Leitungen der KPD im Lande« zu erscheinen, aus denen die theoretischen und praktischen Leistungen der Illegalen in ihrer Selbständigkeit hervorgingen. Erstmals konnte nun festgestellt werden, daß in den Jahren 1943/ 1944 die »direkte Verbindung zur Parteiführung«29 in Moskau unterbrochen war. Und der in sich widersprüchliche Kommentar konnte für den aufmerksamen Leser dieser Dokumente die tatsächlichen Unterschiede, auch die Gemeinsamkeiten, in den programmatischen Vorstellungen nicht mehr verdecken.

Zwei Momente waren es wohl vor allem, die es für die SED-Geschichtsschreibung geboten sein ließen, diese Zeugnisse so lange wie möglich lieber im Verborgenen zu halten: der radikalere politische Kurs auf eine »proletarische Diktatur« und die aus der täglichen illegalen Arbeit resultierende selbstbewußte Grundhaltung, die sich der »Zentrale« demokratisch gegenübersah. Während man in Moskau über die »politische Zurückgebliebenheit«30 der Illegalen räsonierte, bezweifelte Franz Jacob, einer der wichtigsten kommunistischen Inlandsfunktionäre, im Juli 1944 in einer Erklärung vor der Gestapo, daß von den ZK-Funktionären »brauchbare Vorschläge für unsere Arbeit« zu erwarten gewesen wären, da sie schon seit so vielen Jahren aus Deutschland heraus seien. »Ob nach Eintritt anderer Verhältnisse in Deutschland die von uns vertretenen politischen Auffassungen und unsere Arbeit die Billigung des ZK finden würde, müsse man getrost der Zukunft überlassen.«31 Der sich hier abzeichnende innerparteiliche Konflikt kam infolge der Ermordung fast aller führenden Köpfe dieser Gruppierungen nicht zum Tragen, seine Existenz allerdings war bei den am Widerstandsdiskurs Beteiligten in dem geschilderten Umgang mit diesem historischen Komplex präsent.

Es berührte auch die Problematik der sogenannten Buchenwalder in ihrem Führungsanspruch, deren wechselhafte Geschichte in der umfangreichen Dokumentation von Lutz Niethammer und Karin Hartewig32 seit 1994 nachzulesen ist. In der seit 1962 erarbeiteten und 1966 erschienenen GdA, deren Herstellungsprozeß auf über 1000 Seiten umfassenden stenographischen Protokollen festgehalten ist, wurden in der »Grundfrage: antifaschistischer Widerstand« Deutungsmuster gesetzt und bestehende Legenden festgeschrieben, die erstmals ein Gesamtbild dieses Gegenstandes zeichneten. Das waren erstens die These vom organisierten Übergang in die Illegalität, zweitens die führende Rolle des ZK von Moskau aus. Drittens betraf es andere Widerstandsaktivitäten wie die des NKFD, der Gruppe Schulze-Boysen-Harnack und der Bewegung des 20. Juli 1944: letztere erstmals gewertet als antinazistische Tat, die objektiv auf die Beseitigung des Hitlerregimes gerichtet gewesen sei.33 Das war eine neue Wertung, die sich auch stützen konnte auf das 1964 in der DDR erschienene Buch von David Melnikow »20. Juli 1944. Legende und Wirklichkeit«. 1967 erschien dann die erste Stauffenberg-Biographie von Kurt Finker, der sich auch in der Folgezeit diesem Forschungskomplex widmete.

Am Anfang einer starken biographiegeschichtlichen Linie in der Widerstandsforschung stand der 1949 im VVN-Verlag erschienene Band »… besonders jetzt tu deine Pflicht!«, der neben kurzen biographischen Angaben »Briefe von Antifaschisten, geschrieben vor ihrer Hinrichtung« enthielt. Es überwiegen bei den ausgewählten – 52 männlichen und 12 weiblichen – Personen die bis zu diesem Zeitpunkt bekannt gewordenen Mitglieder der verschiedenen Widerstandsgruppen. Aber es kamen auch Alleinagierende vor wie der Fernmeldemonteur Ernst Witte oder die Krankenschwester Gertrud Seel, die wegen Hilfeleistung für verfolgte Juden noch Anfang 1945 nur 27jährig hingerichtet worden war. Es fehlten die Mitglieder der »Weißen Rose« so wie auch Lilo Hermann.

Die in diesem Band Porträtierten bildeten einen Personenbestand, auf dem folgende ähnliche Publikationen aufbauten, zum Beispiel in dem 1958 vom Institut für Marxismus-Leninismus herausgegebene Band »Erkämpft das Menschenrecht. Lebensbilder und letzte Briefe antifaschistischer Widerstandskämpfer«. In letzterem machte die nun dokumentierte Zahl von über 400 Männern und 51 Frauen den quantitativen und qualitativen Wissenszuwachs über die Akteure des Widerstands deutlich. Schon mit Herausgeberschaft und einem Vorwort von Wilhelm Pieck wurde diesem Band kanonisierende Deutungshoheit zugewiesen. Die insgesamt alphabetische Abfolge durchbrach der an die Spitze gestellte Beitrag über Ernst Thälmann. Die Grundsubstanz bildete der Kaderbestand der KPD und des KJVD in allen ihren Gliederungen. Hinzu kamen die verschiedenen Widerstandsgruppen, die sich meist um mehrere »Köpfe«, darunter auch Sozialdemokraten, geschart hatten. So wurden hier vor allem folgende Gruppen dokumentiert: Schumann/Engert/Kresse, Uhrig, Lechleiter, Poser/Neubauer, Schulze-Boysen-Harnack, Jacob-Bästlein-Saefkow, Abshagen, Herbert Baum, Groscurth/Havemann. Aufgenommen waren auch eher Einzelkämpfer wie Heinz Kapelle oder Georg Benjamin, Sozialdemokraten wie Erich Kuttner, Erich Knauf, parteilose Antifaschisten wie Wolfgang Heinze und Maria Grollmus. Beiträge über einzelne Widerstandskämpfer wurden ergänzt durch Erinnerungen an die ermordeten Antifaschisten Erich Mühsam, Carl von Ossietzky und Hans Otto. Erfaßt waren auch die Schicksale der Schauspieler Joachim Gottschalk und Hans Meyer-Hanno, die wegen ihrer jüdischen Frauen verfolgt wurden und umkamen. Dutzende von Namen wurden in einzelnen Personenartikeln zusätzlich und ergänzend genannt, wodurch eine breite Dokumentation des Widerstandes im Exil, im Dritten Reich, im KZ, in der Partisanentätigkeit und während des Spanienkrieges zustande kam. Als auffällige Leerstellen blieben die »Weiße Rose« und die Akteure des 20. Juli sowie der heterogene Bereich des Widerstandes aus religiösen Motiven.

Keine Erwähnung fanden natürlich auch die in der Sowjetunion umgekommenen Antifaschisten. Eine 2. Auflage von 1970 in zwei Bänden (Deutsche Widerstandskämpfer 1933-1945, Biographien und Briefe) enthielt bereits 467 Porträts, davon waren 83 Frauen gewidmet. Sowohl die Mitglieder der Weißen Rose wie wichtige Vertreter des 20. Juli waren jetzt enthalten. Das Nachschlagewerk »Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon« aus dem Jahre 1970 wurde bald nach seinem Erscheinen zurückgezogen, weil nicht nur einige unliebsame Personen der Parteigeschichtsschreibung wie Willi Münzenberg zu positiv geraten waren, sondern weil bei zu vielen KPD-Funktionären ein Todesdatum in der UdSSR vermerkt war. Hier schlug sich der fatale und symbiotische Zusammenhang von Stalinismus und Antifaschismus nieder, der auch die seit Mitte der siebziger Jahre verstärkt einsetzenden interdisziplinären Forschungen zum Exil substantiell beeinträchtigte und erst nach 1989 in seinen tiefgehenden und schlimmen Auswirkungen analysiert werden konnte. Im Vergleich mit den hier näher beschriebenen fünfziger und sechziger Jahren müssen die siebziger und folgenden Jahre erst noch in ihren historischen Verlaufsformen und Deutungsmustern im einzelnen analysiert werden. Tendenziell ging es in Richtung einer gewachsenen Souveränität im Umgang sowohl mit den antifaschistischen Be-mühungen im Lande und im Exil als auch mit einer differenzierteren Bewertung von Akteuren des Widerstands.

 

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Simone Barck – Jg. 1944, Dr. sc., Literaturwissenschaftlerin, Berlin. 1970-1991 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wisenschaften der DDR; seit 1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschung Potsdam.

Gekürzte Fassung eines Vortrags, der auf der Tagung »Frauen erinnern. Widerstand Verfolgung Exil 1933-1945« am 23. Oktober 1999, veranstaltet von der Arbeitsgruppe Frauen im Exil in der Gesellschaft für Exilforschung und der Alice Salomon Hochschule Berlin, gehalten wurde. Er basiert auf einer größeren Studie, die unter dem Titel »Widerstands-Geschichten und Helden-Berichte. Momentaufnahmen antifaschistischer Diskurse in den fünfziger Jahren« in dem Band »Geschichte als Herrschaftsdiskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der DDR« (Böhlau Verlag 2000) auf den Seiten 119-173 nachzulesen ist.

 

1 Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1994, S. 597.

2 Ines Reich: Geteilter Widerstand. Die Tradierung des deutschen Widerstandes in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 7/1994, S. 635.

3 Vgl. die Auswahlbibliographie »Neuere Literatur zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten« 1989-1994, in: Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, hg. von Jürgen Danyel, Berlin 1995, S. 247-264.

4 Vgl. hierzu Antonia Grunenberg: Antifaschismus – ein deutscher Mythos, Reinbek bei Hamburg 1993.

5 Vgl. Helfried Münkler: Das kollektive Gedächtnis der DDR, in: Parteiauftrag: ein neues Deutschland. Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR, hg. von Dieter Vorsteher, DHM, Berlin-München 1996, S. 458-468.

6 »Nicht der 20. Juli wurde zum Staats- oder Nationalfeiertag erklärt, nicht der 8. Mai 1945 oder der 23. Mai 1949, auch nicht der 9. November in Erinnerung an die Revolution von 1918, an den Hitlerputsch von 1923 und an die Pogromnacht von 1938, sondern der 17. Juni – der zudem noch die Bezeichnung ›Tag der deutschen Einheit‹ erhielt. Er bot somit die Chance, die Nation als Wert wieder emotional darstellbar zu machen und von ihr zu reden, ohne vom Nationalsozialismus sprechen zu müssen.« Edgar Wolfrum: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990, Darmstadt 1999, S. 7.

7 Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln … Bilder deutscher Widerstandskämpfer, hg. und eingeleitet von Wolfgang M. Schwiedrzik, Leipzig 1997.

8 Vgl. hierzu: Erster Deutscher Schriftstellerkongreß 4.-8. Oktober 1947, Protokolle und Dokumente, Hrsg. von Ursula Reinhold, Dieter Schlenstedt und Horst Tanneberger, Berlin 1997, S. 44.

9 Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln, S. 69.

10 Henryk Keisch: Literatur und historische Wahrheit. Zu einem westdeutschen Dokumentarwerk über den Widerstand gegen Hitler, in: NDL 3/1954, S. 156/157.

11 Dokumente der SED, Band III, Berlin 1952, S. 570ff. bes. 581-583.

12 Bemerkungen zum Lehrbuch der Politischen Grundschulen über die Entwicklung Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung, 16. 2. 1953, in: SAPMO-BA Dy 30 NL 182/925.

13 Lehrbuch für die Politischen Grundschulen der SED, Berlin 1952, S. 410.

14 Vgl. hierzu Simone Barck: Zeugnis ablegen. Zum frühen Antifaschismus-Diskurs am Beispiel des VVN-Verlags, in: Verwaltete Vergangenheit. Geschichtskultur und Herrschaftslegitimation in der DDR, Leipzig 1997, S. 259-291.

15 Zu der im Ruetten & Loening Verlag erschienenen Geschichtsliteratur vgl.: Siegfried Lokatis: Geschichtswerkstatt Zensur, in: Geschichte als Herrschafts diskurs. Der Umgang mit der Vergangenheit in der DDR, Köln Weimar Wien 2000, S. 175-225. Als Beispiele seien genannt: Faschismus Ghetto Massenmord. Dokumentation über Ausrottung und Widerstand der Juden in Polen während des 2. Weltkrieges. Hg. vom Jüdischen Historischen Institut Warschau, Berlin 1960; Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Staat. Wirtschaft. Armee. Verwaltung. Justiz. Wissenschaft, Berlin 1965.

16 Vgl. hierzu: Jürgen Danyel, Olaf Groehler und Mario Keßler: Antifaschismus und Verdrängung. Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in der DDR, in: Die DDR als Geschichte. Fragen – Hypothesen – Perspektiven, hg. von Jürgen Kocka und Martin Sabrow, Berlin 1994, S. 148-152.

17 Vgl. hierzu die Studie von Thomas Taterka: In diesem anderen Land oder »Buchenwald liegt in der Deutschen Demokratischen Republik«. Zu Funktion und Verfertigung des Lagerdiskurses in der DDR. (1999, noch unveröffentlicht)

18 Im Feuer vergangen. Tagebücher aus dem Ghetto. Mit einem Vorwort von Arnold Zweig, Berlin 1958, S. 9.

19 Ota Kraus, Erich Kulka: Die Todesfabrik, Berlin 1957, S. 5.

20 Vgl. hierzu: Thomas Taterka. In diesem anderen Land oder »Buchenwald liegt in der Deutschen Demokratischen Republik«. Zu Funktion und Verfertigung des Lagerdiskurses in der DDR (Ms).

21 Walter A. Schmidt: Damit Deutschland lebe. Ein Quellenwerk über den deutschen antifaschistischen Widerstandskampf 1933-1945, Berlin 1959, S. 118/119.

22 Ingo Materna, Wolfgang Herbst: Wahre Helden unseres Volkes. Neue Publikationen zum deutschen Widerstandskampf gegen den Faschismus, in: Neues Deutschland vom 27. 8. 1958, S. 4.

23 Bruno Haid an Erich Wendt am 15. 11. 1962, in: BA DR 1 7775.

24 Vgl. hierzu: Beatrice Vierneisel. Das Erinnerungsarchiv. Lebenszeugnisse als Quellengruppe im Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, in: Verwaltete Vergangenheit, S. 119-144; Karin Hartewig: Das »Gedächtnis« der Partei. Biographische und andere Bestände im Zentralen Parteiarchiv in der »Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv«, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, Berlin 1993, S. 312-323.

25 Über die wissenschaft-liche Behandlung der Geschichte der Arbeiterbewegung, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 4 (1969), S. 667.

26 Fritz Knittel: Die KPD – die einzige führende und organisierte Kraft des antifaschistischen Widerstandskampfes in Deutschland 1933-1945, in: ZfG, Sonderheft zum 40. Jahrestag der Novemberrevolution, 1958, S. 190-201.

27 Zur führenden Rolle der KPD und ihres ZK im antifaschistischen Widerstandskampf, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 3/1961, S. 547-572.

28 Ebenda, S. 564.

29 Heinz Kühnrich, Karlheinz Pech: Neue, bedeutsame Materialien über die politisch-theoretische Tätigkeit der illegalen operativen Leitung der KPD in Deutschland 1944, in: BzG, 1, 1979, S. 31.

30 Peter Erler, Horst Laude, Manfred Wilke (Hg.): »Nach Hitler kommen wir«. Dokumente zur Programmatik der Moskauer Führung 1944/45 für Nachkriegsdeutschland, Berlin 1994, S. 107.

31 Zitiert nach Johannes Tuchel: Über kommunistische Neuordnungsvorstellungen in Berlin-Brandenburg 1943/44, in: Ursel Hochmuth: Illegale KPD und Bewegung »Freies Deutschland« in Berlin und Brandenburg 1943-1945. Biographien und Zeugnisse aus der Widerstandsorganisation um Saefkow, Jacob und Bästlein, Berlin 1998, S. 33.

32 Der ›gesäuberte‹ Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald. Dokumente. Herausgegeben von Lutz Niethammer unter Mitarbeit von Karin Hartewig, Harry Stein und Leonie Wannenmacher, Berlin 1994.

33 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 5, Berlin 1966, S. 414.