Erkauftes „Ja“ der Iren
Die in Aussicht gestellte finanzielle Unterstützung der Iren durch die Europäische Union, um ihre heruntergekommenen Wirtschaft aufzupeppen, hatte recht schnell bewogen, dem „Lissabon-Vertrag“ zuzustimmen. In Deutschland fand der Vertrag sogar nahezu kritiklos mit Hilfe der Grünen Zustimmung. Seit auch Tschechien nach verfassungsrechtlichen Bedenken zugestimmt hat, stehen seiner Umsetzung keine Schranken mehr im Weg. Martin Hantke ist Leiter des Verbindungsbüros der Bundestagsfraktion der Linken in Brüssel und für die „europäische Frühaufklärung“ der deutschen Links-Parlamentarier zuständig. Er übte erneut heftig Kritik an diesem Vertrag, der, „für Deutschland noch genügend Moorleichen bereithält.“ Hantkes Frühaufklärung im Bundestag ist offenbar wichtig. Beispielsweise sei damals in Deutschland der Europäische Haftbefehl umgesetzt worden, ohne „das ihn im Bundestag jemand richtig gelesen hat.“ Der sei hinterher „vom Bundesverfassungsgericht mit einer ordentlichen Trachtprügel für die Parlamentarier“ als nicht verfassungskonform zurückgewiesen worden. Längst sei die Europäische Union auch „ein Motor zum Abbau der Sozialsysteme“ geworden. Es gehe nur noch um die Profitmaximierung der Konzerne, so Hantke. Selbst die Umweltpolitik diene den Unternehmen der Mitgliedstaaten ausschließlich dazu, durch geringe CO2-Abgaben Vorteile im wirtschaftlichen Wettbewerb zu erhalten. Außerdem würde der Lissabon-Vertrag mit Hinterlegung der Tschechischen Urkunde im Rom am 13. November 2009 ratifiziert und Europa damit zu einer Militärmacht, die die „Fortsetzung der Außenpolitik mit anderen Mitteln“ durchsetze und sich bereit halte, überall in der Welt militärisch einzugreifen. Damit ist die fast pazifistische Grundorientierung des Grundgesetzes obsolet geworden.
Flugscharen zu Schwertern
Ein Projekt, welches die GUE/NGL (Europäische Linke) besonders kritisch betrachtet, ist der im Vertrag vorgesehene Ausbau des „Europäischen Auswärtigen Dienstes“ (EAD). Hier entstehe die bisher größte politisch-auswärtige Abteilung der EU, bestehend aus Militär, Polizei und Entwicklungshilfe. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne parlamentarische Kontrolle würde ein gigantisches Militarisierungsprojekt aufgebaut. Die EU hätte vor kurzem noch einmal versichert, dass damit „eine Verschränkung von diplomatischem Dienst und Sicherheitsdienst stattfindet und es keine Trennung zwischen zivilen- und militärischem Dienst mehr gibt“, warnte Hantke. Er wies weiter darauf hin, dass dies trotz Zeiten knapper Kassen enorme Konsequenzen für den Finanzhaushalt haben würde, nämlich das Lenken der Ausgaben „weg von zivilen, hin zu militärischen Mitteln“. In Kürze kämen von den voraussichtlich 5.000 EAD-Beschäftigten allein 1.000 aus Deutschland, um sich den Einfluss in Europa und weltweit zu sichern. „Schon im Dezember wird das alles in Sack und Tüten sein. Der Bundestag hat darüber gar nichts zu bestellen. Nicht mal ein Mindestmaß an parlamentarischer Kontrolle ist gewährleistet“. Auf Kritik träfe vor allem die zivil-militärische Zusammenarbeit bei den humanitären Organisationen wie der Entwicklungshilfe, deren Arbeit durch die Einbeziehung in die Kriegsmaschinerie gefährdet sei.
„Die EU wurde mal als Friedensprojekt begonnen, damit die Europäer nicht wieder Krieg untereinander führen. Heute ist daraus ein imperialistisches Projekt geworden“, erkennt Jürgen Klute, Mitglied der Linken im Europäischen Parlamente. Das zeige sich deutlich an den Forderungen eines CDU-Kontrahenten, der im EU-Wahlkampf die wichtigsten Aufgaben der EU folgendermaßen formuliert hätte: „Erstens: Flüchtlingsströme abwiegeln und zweites: Ernährung für die Europäer sichern“. Die GUE/NGL hingegen setze sich für das Grundrecht auf Nahrung ein und zwar für alle Menschen. Sie positioniere sich darüber hinaus klar „gegen das barbarische Grenzsystem“ der EU.
Kapital vor sozialer Verantwortung
Klute ging weiter auf die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise ein und kritisierte die Gegenmaßnahmen als völlig unzureichend. „Die Regulierung der Finanzmärkte bezieht sich in Europa nur darauf, dass die Verwalter von Hedge-Fonds und Private-Equity-Fonds stärker beobachtet werden, d.h. man will ihnen nur stärker moralisch kommen. Wenn eines ihrer Produkte in einem europäischen Land zugelassen sind, können sie diese in allen Ländern anbieten.“ Während man aber damit den Finanzmarkt harmonisiere, würde man im Bereich der Steuern der Mitgliedsländer einen gnadenlosen Wettbewerb zulassen. Die EU-Kommission hätte erst kürzlich klargemacht, dass dies „ein Kerngebiet europäischer Wettbewerbspolitik ist“. Dieser Wettbewerb gelte auch für die Sozialsysteme.
Mit dem Lissabon-Vertrag wäre auch eine Finanztransaktions-Steuer oder eine Tobinsteuer nicht kompatibel, meint Jürgen Klute: „Es gibt keine vertragliche Grundlage für diese Steuer in den Mitgliedstaaten. Das ist das Problem.“ Es müsse dringend eine Debatte stattfinden um auszuloten, was überhaupt noch geht. Auch würde immer so getan, als seien die osteuropäischen Mitgliedstaaten die „Bösen“, da sie die Steuern so weit reduzieren, dass Firmen aus den westeuropäischen Ländern abwanderten. Dabei werde das bewusst von der EU vorangetrieben.
In allen Verfassungen - wie im Grundgesetz der Soziale Rechtsstaat, das föderale Prinzip und die Menschenrechte - spielen die Menschenrechte die zentrale Rolle. In Europa sei das anders, hier hätten die Grundfreiheiten Kapitalfreiheit, Warenfreiheit, Dienstleistungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit Vorrang vor den Menschenrechten, die diese Grundfreiheiten nicht beeinträchtigen dürfen. Jürgen Klute: „Das alles wird noch einmal zementiert mit dem Grundlagenvertrag von Lissabon.“
Völlig verärgert zeigte sich Klute auch über die Rot-Rote Koalition in Brandenburg: „Die Linke hat in dem neuen Koalitionsvertrag den Lissabon-Vertrag begrüßt. Damit wird die gemeinschaftliche Arbeit der Linken im Europäischen Parlament in Frage gestellt und die Glaubhaftigkeit der gesamten Linken beschädigt.“ Die SPD würde bewusst den Kurs fahren, DIE LINKE in der Regierungsverantwortung zu brüskieren.
Von der Wirtschafts- zur Demokratiekrise
Bei einem Besuch der Rosa Luxemburg Stiftung in Brüssel informierte die Leiterin des Büros, Birgit Daiber, zu internationalen und europapolitischen Initiativen der Stiftung. Ihr geht es weniger um innereuropäische Themen. Vielmehr sitze die Stiftung an einer Wegkreuzung zwischen Europa und anderen Weltregionen. Insbesondere seien inzwischen gute Kooperationen zu Latein- und Zentralamerika vorhanden. Bei der Veranstaltung „Die Linke an der Regierung - ein Vergleich zwischen Lateinamerika und Europa“ im Mai vergangenen Jahres wurden verschiedene Lateinamerikanische Länder eingeladen, um sich kritisch über Regierungsbeteiligungen von Linken auseinander zu setzen. Neben zahlreichen südamerikanischen Ländern kamen Vertreter aus Frankreich, Italien, Deutschland und Norwegen zusammen. Hierzu erscheint demnächst eine mehrsprachige Publikation.
Birgit Daiber: „Bei der Veranstaltung wurde deutlich, dass die Lateinamerikaner nicht mehr auf einen revolutionären, sondern auf einen demokratischen Prozess setzen und auf Machtbeteiligung.“ Weniger die theoretische Auseinandersetzung sei wichtig, sondern „das es identifizierbare Projekte gibt die mit der Linken verbunden werden, auch wenn Linke mal nicht mehr an der Regierung sind.“ Vor allem würden Linken in Südamerika reaktionäre Kräfte zu schaffen machen. „Oft unmittelbar durch Einsatz des Militärs, das noch oft durch Coachs aus den USA bestimmt wird. Sehr häufig sind die Justiz und die Medien feindlich.“ Bemerkenswert war, das – so Birgit Daiber – keines der Länder für sich reklamiert hätte, den Sozialismus verwirklicht zu haben. Venezuela sei beispielsweise „das kapitalistischste Land Südamerikas, das vom Rentenkapitalismus leben muss“. Allerdings sei Cuba „für viele südamerikanische Länder die Referenz, vor allem, weil Cuba dem US-amerikanischen Imperialismus und dem Neoliberalismus widerstanden hatte, unter dem sie immer noch stark leiden“.
Inzwischen sei klar, dass „Ernährungskrise, Wirtschaftskrise, Finanzkrise und auch eine Demokratiekrise in einem Kontext stehen.“ Hierzu habe gerade eine größere Konferenz stattgefunden, an der namhafte linke Intellektuelle teilgenommen hätten, um Alternativen gegen diese Krisen zu lokalisieren. In China beispielsweise lebten nur 20 Prozent der Menschen in urbanen Zentren, der Rest fuße auf einem agri-kulturellen Kleinbauerntum, das die Versorgung sicherstelle. Wenn man dieses jetzt zerstöre, bekäme man wegen der industriellen Produktion erst recht ein ökologisches Problem. China als wichtiger Markt der Welt stehe zwischen diesem Problem des Klimaschutzes und weiterer Marktöffnung. Doch gerade die Kleinbauern oder die indigenen Völker seien meist keine Klimazerstörer. „Das sind hochinteressante Themen von Widersprüchlichkeit“, so Birgit Daiber. Interessant seien aber vor allem die zahlreichen sozialen Bewegungen der Landlosen, der indigenen Bevölkerung und der Kleinbauern in Lateinamerika, in Afrika und Indien, die um ihre Lebensweise und um Landreformen kämpften. Es werde deutlich, so Birgit Daiber, dass diese Bewegungen auch immer etwas im Zusammenhang mit Ernährung, Umwelt und sozialen Standards zu tun hätten.
Um auf das ökologische Problem aufmerksam zu machen, gibt es in der nächsten Zeit eine Klima-Karawane von Kopenhagen über Genf in Brüssel, die das RLS-Büro besuchen wird. In Planung sei außerdem ein Seminar zum Thema Sinti und Roma, das gemeinsam mit den Büro Warschau und dem neuen serbischen Büro der RLS organisiert werde. (HDH)
Weitere Infos bei der Vereinigten Europäischen Linken und der Rosa- Luxemburg-Stiftung in Brüssel.
Online-Flyer Nr. 223 vom 11.11.2009
Julia Killet ist Promotionsstipenditatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung und forscht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf über das Werk der verschollenen Schriftstellerin Maria Leitner (1892-1942?). Seit März 2008 ist sie im Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen tätig.