Über die Zukunft der gesetzlichen Alterssicherung wurde im April 2017 im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte diskutiert.
Ein Bericht von Jörg Staude.
Die Debatte in unter dem Titel «Rentenreform - Wie weiter mit der Ostrenten?» knüpfte - darauf wies die Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dagmar Enkelmann, eingangs hin - an eine Veranstaltung in Köln im Januar 2017 an. Bei dieser sei es um eine generelle Rentenreform gegangen und von vornherein sei klar gewesen, dass das Thema «Ostrente» dort keine zentrale Rolle spielen würde - deswegen habe man diesem nun diese Veranstaltung in Potsdam gewidmet und fast habe es den Anschein, sagte Dagmar Enkelmann, als hätte die Stiftung ihren Terminplan mit dem der Bundesregierung abgestimmt, meinte sie augenzwinkernd.
Es geht um mehr als die reine Rentenfrage, es geht auch um die Anerkennung der Lebensleistung älterer Menschen, um ein Leben in Alter in Würde.
Dennoch sei es ein «schöner» Zufall, fuhr sie fort, dass sich gegenwärtig gerade der Bundestag mit einem so genannten «Rentenüberleitungsabschlussgesetz» befasst. Dagmar Enkelmann gab dabei Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ausdrücklich recht, die eine unterschiedliche Rentenberechnung mit Sonderregeln für die neuen Länder 27 Jahre nach der Einheit als «nicht mehr zeitgemäß» bezeichnet hatte.
Das hätte, ließ die RLS-Vorsitzende durchblicken, auch nicht 27 Jahre dauern müssen. Die Überleitung des DDR-Rentensystems in das bundesdeutsche war, erinnerte Dagmar Enkelmann, ursprünglich ein Auftrag der letzten DDR-Volkskammer an den Bundestag gewesen. Und dabei ging und geht es um mehr als um die reine Rentenfrage, sondern auch um die Anerkennung der Lebensleistung älterer Menschen, um ein Leben in Alter in Würde.
Eine schnelle Angleichung der Ostrenten an das Westniveau ist notwendig, damit die heutigen Rentner im Osten noch etwas davon haben.
Den Gesetzentwurf von Andrea Nahles griff in Potsdam auch Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, auf. Zunächst ordnete er das Thema Ostrenten ins allgemeine Rentenkonzept der Linksfraktion ein. Das fordert zentral die Anhebung des Rentenniveaus in (Ost und West) auf 53 Prozent des Durchschnittseinkommens. Derzeit betrage es rund 48 Prozent und drohe, bis 2030 auf 44,5 Prozent zu sinken, warnte Birkwald. Dazu kommt: Die Ostrenten haben erst rund 94 Prozent des Westniveaus erreicht.
Bei einer allgemeinen Anhebung auf 53 Prozent nach 45 Beitragsjahren würden die ostdeutschen Renten «deutlich» steigen, malte Birkwald aus. Das aktuelle Niveau von 48 Prozent ergibt nach seinen Zahlen im Osten eine Standardrente von 1148 Euro. Würde schon jetzt die 53 Prozent gelten, erhielte der Rentner 1262 Euro - nach Abzug der Sozialbeiträge blieben dann 114 Euro mehr im Monat übrig.
Birkwald trat in Potsdam dem Eindruck entgegen, ein Rentenniveau von 53 Prozent sei derzeit wie künftig nicht bezahlbar. Die Beiträge in die Rentenkassen würden keineswegs durch die Decke gehen, sagte er. Würde schon 2017 das 53-Prozent-Niveau gelten, müssten Durchschnittsverdiener im Osten monatlich 28 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen - und sein Arbeitgeber ebenfalls.
Für die Ostrentner verlangt die LINKE konkret, sagte der Politiker weiter, eine schnelle und steuerfinanzierte Angleichung der Renten Ost an das Westniveau - und zwar bis Ende 2019 und nicht in sieben Jahresstufen bis 2024, wie es das «Abschlussgesetz» vorsehe. Der Zeitraum von zwei Jahren ist notwendig, damit die heutigen Rentnerinnen und Rentner im Osten noch etwas davon haben. Trete das Regierungsgesetz in Kraft, müssten die Altersrentner, die beispielsweise zum Zeitpunkt des Mauerfalls in Rente gegangen sind, ziemlich genau hundert Jahre alt werden, um das Prinzip gleiche Rente für gleiche Lebensleistung noch zu erleben, rechnete Birkwald vor. Desweiteren trete die Fraktion DIE LINKE dafür ein, die so genannte Höherwertung ostdeutscher Löhne und Gehälter so lange beizubehalten, bis auch die Lohnunterschiede zwischen Ost und West beseitigt sind. Derzeit betrage der Abstand der Ostlöhne und -gehälter zum Westen ganze 24 Prozent.
Dafür die Bezeichnung «Höherwertung» zu verwenden, ist für Birkwald aber irreführend. Sogar das jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz spreche nur von einer «Umrechnung». Werde diese gestrichen - und das «Abschlussgesetz» der Bundesregierung will das in mehreren Schritten bis 2025 tun - würden zwar alle, die bis dahin in Rente gehen, höhere Bezüge bekommen, der Preis dafür sei aber, dass deren Kinder und Enkel dann mit deutlich niedrigeren Renten auskommen müssten.
Darüber hinaus plädiert die Fraktion DIE LINKE, so Birkwald, dafür, die Rente nach Mindestentgeltpunkten auszuweiten. Das würde besonders den Menschen im Alter helfen, die zeitlebens zu Niedrigeinkommen arbeiten mussten. Dieses Problem betreffe dabei West wie Ost. Gegenwärtig wird bei dieser Rentenart das Alterseinkommen auf maximal 75 Prozent der Durchschnittsrente hochgerechnet, sofern mindestens 35 Jahre Beitragsjahre in der Rentenkasse vorliegen. Die Fraktion DIE LINKE will diese Bedingung auf 25 Beitragsjahre senken und zugleich das Niveau der Rente auf 80 Prozent des Durchschnitts anheben.
Birkwald kam auch auf den engeren Punkt der «Rentenüberleitung» zu sprechen. Noch immer seien 16 Berufsgruppen der ehemaligen DDR in ihrem Rentenbezug - verglichen mit denen im Westen - schlechter gestellt. «Dazu steht im Überleitungsgesetz kein Wort», kritisierte er. Die Fraktion DIE LINKE erarbeite dazu erneut einem Antrag. Ob dieser aber angenommen werde, da sei er sehr pessimistisch.
Man will diesen Fehler der Einheit einfach nicht revidieren.
Auch Diana Golze, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landes Brandenburg, hatte gehofft, dass mit den jetzigen Rentenabschlussgesetz beispielsweise geschiedenen Frauen aus der ehemaligen DDR Gerechtigkeit widerfahre. Dass dies nicht geschehe, sei für sie nicht nachzuvollziehen, sagte die Ministerin bei der Veranstaltung.
Golze erinnerte daran, dass die Linksfraktion im Bundestag zu dieser Rentenüberleitung einmal insgesamt 17 Anträge im Bundestag eingebracht hatte, die aber allesamt keine Mehrheit fanden. «», resümierte sie.
Die Landesministerin kritisierte auch, dass mit Abschlussgesetz noch mehrere Generationen Nachgeborener anhand ihrer Rentenbescheide werden feststellen können, ob sie aus dem Osten oder aus dem Westen des Landes kommen. Auch für Golze ist der geplante Zeitraum von sieben Jahren zur Rentenangleichung viel zu lang. Leider gebe es, gab sie einen Blick hinter die Kulissen frei, bei den Forderungen zur Ostrente wenig Einigkeit unter den ostdeutschen Ländern. Einig seien sich diese nur darin, dass die Angleichung der Rente steuerfinanziert werden soll. Danach endeten die Übereinstimmungen.
Die Rente werde für die Gewerkschaften im Bundestagswahlkampf das Thema Nummer Eins werden.
Der stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin Brandenburg, Christian Hoßbach, betonte in Potsdam, man mache das nicht aus Gründen von Angstmacherei, sondern aus denen der Gerechtigkeit.
Der DGB-Vize machte insbesondere auf die reale Lage der heutigen Rentner aufmerksam. 2015 habe die Durchschnittsrente bei 895 Euro gelegen. Vor 17 Jahren, im Jahr 2000, seien es 785 Euro gewesen. Nominal sei die Rente zwar um 100 Euro gestiegen, berücksichtige man aber Inflation und Kaufkraftverlust, hätten die Rentner heute real 100 Euro weniger in der Tasche als im Jahr 2000 - und das mache bei einer Rente von monatlich 800 oder 900 Euro «richtig was aus», sagte der Gewerkschafter.
Für Hoßbach muss insbesondere der Sinkflug der gesetzlichen Rente gestoppt werden. Diese könne bekanntlich, gesetzlich gedeckt, bis auf ein Niveau von 43 Prozent des Durchschnittseinkommens gesenkt werden. Da müsse eine Bremse her. Das sei gerade für den Osten doppelt und dreifach wichtig, weil die Menschen dort viel stärker als im Westen im Alter auf die gesetzliche Rente angewiesen sind, betonte Hoßbach. Während im Westen nur etwa 75 Prozent der Alterseinkünfte aus der gesetzlichen Rente stammten, seien es im Osten 98 Prozent.
Bei der Beibehaltung der Höherwertung der ostdeutschen Löhne machte Hoßbach darauf aufmerksam, dass diese Forderung in viele Regionen im Westen «so nicht mehr vermittelbar ist» und eher Regelungen für alle schwächeren Regionen der Bundesrepublik notwendig sind. Sozial sei er, sagte der Gewerkschafter, für die Höherwertung, aus steuerlichen, politischen und taktischen Gründen aber halte er es für klüger, sich bei der Diskussion um die Zukunft der Rente auf zwei große Gemeinsamkeiten zu konzentrieren: auf das Anheben des allgemeinen Rentenniveau und auf die rentenrechtliche Aufwertung von Geringverdienern.
Es gibt eine Armut im Dunkeln.
Für eine schnellere Angleichung der Ostrenten ans Westniveau setzte sich in Potsdam auch Joachim Rock ein, Leiter der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa im Paritätischen Gesamtverband. 1991 habe man noch gedacht, 1997 sei die Rentenüberleitung abgeschlossen - und dann tauchte das Thema praktisch in allen Koalitionsverträgen folgender Bundesregierungen auf. Viele Menschen würden aber die Angleichung nicht mehr erleben.
Bei der umstrittenen Höherwertung der Ost-Löhne sprach sich auch Rock für eine gesamtdeutsche Lösung aus. Neben den 76 Landkreisen im Osten gebe es inzwischen auch im Westen 96 Landkreise, in denen das Lohnniveau unter dem Durchschnitt liege.
Rock kritisierte die Leugnung der Bundesregierung, dass es bei Rentnern irgendeine Altersarmut gebe. Tatsächlich sei der Anteil der Rentner, die in Armut lebten, von 10,7 Prozent im Jahr 2005 auf 15,9 Prozent im Jahr 2015 gestiegen. Viel Ältere würden zudem nur mit Müh und Not gerade so die Einkommensschwelle überschreiten, unter der sie eigentlich Anspruch auf Grundsicherung hätten.
Es gebe, sagte Rock, eine «Armut im Dunkeln.» Man müsse davon ausgehen, dass die allermeisten, die ein Recht auf die Grundsicherung hätten - Rock sprach von 68 Prozent -, diese gar nicht in Anspruch nehmen, vielfach aus Angst, die Kinder würden dann finanziell belastet. «Dabei greift diese Regelung erst jenseits des Einkommens von 100 000 Euro im Jahr.» Die Bundesregierung wäre eigentlich zuständig, die Menschen darüber in Kenntnis zu setzen, sagte Rock.
Matthias W. Bergwald von der Fraktion DIE LINKE verteidigte seinerseits die Forderung nach längerfristiger Höherwertung der Ost-Löhne mit dem Hinweis, dass ohne die Umrechnung selbst bei einem gleichen Rentenwert der Ost-Rentner eine um 70 Euro geringere Rente bekäme. Das sei eben kein Schritt zur Rentenangleichung. Deswegen wolle die LINKE den gleichen Rentenwert in Ost und West und die Höherbewertung der Löhne «zumindest so lange, bis die Löhne und Gehälter angeglichen sind.»
Wenn man für dieselbe Lebensleistung dieselbe Rente haben will, müsse man die Umrechnung noch einige Zeitlang aufrechterhalten, erklärte Birkwald.