Rund 140 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten auf der Fachtagung «Rente mit Zukunft?» am 13. Januar 2017 in Köln über Problemursachen und Lösungswege in der Rentenpolitik. Im dicht besetzten Comedia Theater waren neben hochrangigen Kommunalpolitiker_innen auch fachpolitische Expert_innen aus der Wissenschaft und aus Sozial- und Interessensverbänden, darunter insbesondere zahlreiche Vertreter_innen der Gewerkschaften sowie Betriebs- und Personalräte aus der Region.
Das Auftaktpanel «Wo stehen wir – rentenpolitische Bilanz?» bot kontroverse Einschätzungen. Prof. Bert Rürup, Ökonom und Politikberater verteidigte die Teilprivatisierung der Alterssicherung und betonte die Überlegenheit eines «Mischsystems» von gesetzlicher und kapitalgedeckter Säule angesichts sinkender Lohnquoten. «In einer zunehmend postindustriellen» Welt mit prekären und diskontinuierlichen Beschäftigungsverhältnissen muss die Armutsvermeidung stärker im Mittelpunkt einer Rentenreform stehen als die ominöse Lebensstandardsicherung». Demgegenüber betonte Prof. Ursula Engelen-Kefer, Leiterin des AK Sozialpolitik im Sozialverband Deutschland (SoVD) die notwendige Verbindung beider Ziele: «Armutsbekämpfung ist für mich ganz klar verbunden mit einer lebensstandardsichernden, paritätisch finanzierten gesetzlichen Rente». Dafür gelte es den Sinkflug des Rentenniveaus zu stoppen und die Ansprüche aus Riester-Renten in die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) zurückzuführen. Sie verwies auf die politische Gestaltbarkeit der Rentenpolitik, die sich nicht durch demographische Sachzwänge, sondern durch Produktivitäts, Arbeitsmarkts- sowie Steuer- und Beitragsentwicklung bestimme. Der Politikwissenschaftler Prof. Christoph Butterwegge, Kandidat der LINKEN für die Wahl des Bundespräsidenten, betonte, dass eine armutsfeste Altersversorgung nicht in Abhängigkeit vom Kapitalmarkt zu realisieren sei, sondern nur durch die Umverteilung von Vermögen und Reichtum. Hierzu fehle in den vergangenen wie aktuellen Rentenreformen der politische Wille. «Die Reformen hatten nur das Ziel, die Lohnnebenkosten stabil zu halten und den Standort Deutschland konkurrenzfähiger zu machen – und die Profite der Konzerne und Finanzdienstleister zu erhöhen.» Mit den neuen Plänen der Bundesregierung werde die Privatisierung der Alterssicherung nach dem Riester-Modell weiter fortgeschrieben und - im Rahmen des neuen Betriebsrentenkonzeptes - sogar ausgeweitet. Auch Prof. Matthias Zimmer, MdB und stellv. Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) betonte die zentrale Rolle der GRV im Drei-Säulen-Modell, in dem die private Vorsorge nur ergänzende Funktion haben solle. Er forderte nicht den Rückbau, sondern die Reform der Riester-Rente in einem Fonds mit staatlichen Leistungsgarantien. Einig waren sich die vier Referent_innen über die notwendige Ausweitung des Versichertenkreises der GRV in einer Erwerbstätigenversicherung, wobei Bert Rürup nur den Einbezug von prekären Selbstständigen, Ursula Engelen-Kefer und Christoph Butterwegge jedoch auch den Einbezug von Beamten nach dem Prinzip einer Bürgerversicherung ins Spiel brachten.
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Dr. Peter Schwark, Geschäftsführer des Gesamtverbandes der dt. Versicherungswirtschaft, kritisierte das «Schlechtreden» der Riester-Rente, die eine notwendige Ergänzung zur sinkenden gesetzlichen Rente darstelle. Eine Rücknahme von Riester «zerstöre das Vertrauen in die Rentenpolitik» und schade damit auch der gesetzlichen Rente. Prof. Camille Logeay von der HTW Berlin betonte demgegenüber die mangelnde Leistungssicherheit kapitalmarkgedeckter Vorsorge angesichts der anhaltenden Liquiditätskrise und der damit verbundenen Niedrigzinspolitik. Sie stellte die wichtige Funktion des Solidarausgleichs in der GRV (Gesetzlichen Rentenversicherung) heraus, die auch der Geschlechterdiskriminierung entgegenwirke: «In der Gesetzlichen Rentenversicherung sind Pflege- und Care-Tätigkeiten wesentlich besser abgesichert. Der Gender Pension Gap ist hier um 10-20 Prozent niedriger als in der Betriebs- oder privaten Rente.» Das Beispiel Österreich zeige, wie eine Stärkung der gesetzlichen Rente funktionieren könne: mit einer überparitätischer Arbeitgeberbeteiligung und dem Einbezug aller in eine Erwerbstätigenversicherung sei es möglich, den Rentner_innen bei nur geringfügig höheren Beiträgen deutlich bessere Leistungen auszuzahlen..
Michael Fischer, Leiter des Bereichs Politik und Planung in der Bundesverwaltung von ver.di, referierte zu gewerkschaftlichen Strategien in der Rentenpolitik. Mit der DGB-Rentenkampagne sei ein wichtiger Schritt der gewerkschaftsinternen Verständigung und Mobilisierung genommen: nun gelte es, nach dem Vorbild der Mindeslohn-Kampagne einen breiten gesellschaftlichen Druck für die Stärkung der gesetzlichen Rente aufzubauen und die Politik vor sich herzutreiben. Die Rentenkonzepte der Bundesregierung bewertete er verhalten als vorsichtige Kurskorrektur, die jedoch im Rahmen eines wettbewerbskorporatistischen Korsetts verbleibe. Das Betriebsrentenkonzept der Bundesregierung kritisierte er scharf als «unberechtigte Bereicherung» der Arbeitgeber, die einseitig aus der Beitrags- und Leistungspflicht entlassen würden.
Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der LINKEN im Bundestag stellte die elf Eckpunkte eines Konzepts zum Umsteuern in der Rentenpolitik vor, von der Anhebung des Rentenniveaus unter Rücknahme aller Kürzungsfaktoren, der Umstellung der Finanzierung auf eine paritätische Basis bis hin zum Einbezug aller Beschäftigten in eine Erwerbstätigenversicherung. Ergänzend kommt eine Solidarische Mindestrente hinzu, die niedrigere Rentenansprüche aus Steuermitteln aufstockt und alle vor Armut schützen soll. «Selbst mit einer moderaten Erhöhung der Beiträge müssten die Beschäftigten unterm Strich weniger zahlen als heute – weil die Riesterbeiträge wegfallen und die Unternehmen sich wieder zur Hälfte an den Kosten beteiligen müssten». Im Konzept der Mindestrente sah Prof. Gerhard Bäcker, Sozialwissenschaftler und Rentenexperte in seiner Replik einen Widerspruch zum Äquivalenzprinzip und einen Bruch mit dem Lohnabstandsgebot. Zudem riet er zu einer strategischen Priorisierung von Kernforderungen, die stärker mit sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen und Effekten verzahnt werden müssten.
Schließlich diskutieren Anna Detlefsen (ver.di Bundestarifkommission) und Antonia Rabente (DGB-Jugend Köln) sowie Janis Ehling (DIE LINKE.SDS.) und Kevin Kühnert (Jusos) über die Interessen von jüngeren Beschäftigten, von Studierenden und Auszubildenden in der Rentenpolitik. Sie wiesen die herrschende Erzählung eines «Generationenkonflikts» zurück: Gute Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse und eine lebensstandardsichernde gesetzliche Rente seien für alte wie junge Beschäftigte zentral. Prekäre Zukunftsperspektiven und die Individualisierung sozialer Risiken seien prägend für die jüngere Generation. Hinzu komme die mangelnde Erfahrung politischer Wirksamkeit und das Gefühl einer politischen Alternativlosigkeit: «Natürlich verfängt dieses ständige Mantra: Das können wir uns nicht leisten, es gibt keine Alternative. Da wird Leuten suggeriert, es sei in ihrem eigenen Interesse, den Generationenvertrag aufzukündigen. Aber was sie selber später bekommen sind schlechtere Renten, längere Lebensarbeitszeiten und mangelnde Aufstiegschancen.»
Rente mit Zukunft?
Lösungsansätze für eine gerechte Alterssicherung diskutierten ExpertInnen auf der Fachtagung von Rosa-Luxemburg-Stiftung und DGB Köln-Bonn in Köln am 13.1.2017