Ausschreibung | Ausschreibung von Aufsätzen für einen Sammelband: Europäische Bildungssysteme im Vergleich

Bewerbungsschluss: 15.5.2024

Internationale Vergleichsuntersuchungen wie PISA, TIMMS oder IGLU zu Schulleistungen zeigen regelmäßig, wie unterschiedlich die Kompetenzen von Schüler*innen in den Kernkompetenzen Lesen, Schreiben, Mathematik und Naturwissenschaften in den untersuchten Staaten sind. Auffällig dabei ist, dass es offensichtlich keinen systematischen Zusammenhang zwischen Finanzkraft oder Entwicklungsgrad eines Staates und den Bildungserfolgen seiner Kinder gibt. Nicht unerwartet schneiden Staaten, die einen größeren Teil ihres BIP in das Bildungssystem investieren, besser ab als Länder, die dies in geringerem Maße tun, aber dieser Zusammenhang ist nicht zwingend.

Auffällig ist auch, dass der Zusammenhang zwischen familiärem Hintergrund (Bildungsgrad, Einkommen, Migrationsgeschichte) und dem Bildungserfolg der Kinder in den Staaten unterschiedlich stark ausgeprägt ist. So sind z.B. Kanada, Singapur und Hongkong als Staaten mit einem hohen Anteil migrantischer Bevölkerung sehr erfolgreich bei PISA.

Auf der anderen Seite wird in den Vergleichsuntersuchungen deutlich, dass insbesondere die Qualität der Lernzeit, das Qualifikationsniveau der Lehrkräfte und die Länge des gemeinsamen Lernens entscheidend zum Bildungserfolg der Staaten beiträgt.

Auch wenn der Zusammenhang zwischen Finanzierung, sozialer Heterogenität und Qualität von Lehrkräften nicht zwingend ist so ist offensichtlich, dass eine auf Abbau sozialer Ungleichheiten orientierte Bildungspolitik und eine auskömmliche Finanzierung des Bildungssystems förderlich sowohl für die Kompetenzentwicklung von Kindern und Jugendlichen wie für die Entkopplung von Herkunft und Bildungserfolg ist.

Die Ergebnisse der ersten PISA-Studie mit deutscher Beteiligung im Jahr 2000 lösten hierzulande einen regelrechten Schock aus: gegen jede Erwartung wurde zum einen offensichtlich, dass die Kompetenzen deutscher Schüler*innen in Kernbereichen im internationalen Vergleich unter dem OECD-Durchschnitt lagen. Zum anderen stellte sich heraus, dass in keinem anderen OECD-Staat der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg so stark ist wie in Deutschland. Seit diesen Ergebnissen wurden in Deutschland eine Reihe von Bildungsreformen auf den Weg gebracht: so wurde 2003 das teuerste Bildungsprogramm Deutschlands von Bildungsministerin Bulmahn (SPD) aufgesetzt. Mit 4 Mrd. wurde der Aufbau von Ganztagsschulen begonnen. Zum anderen haben sich während der letzten Jahre die meisten Bundesländer (mit Ausnahme Bayerns) vom dreigliedrigen Schulsystem verabschiedet und bieten nach Abschluss der Grundschule, i.d.R. nach Klasse 4 nur noch zwei Schularten an: die Schule der Sekundarschule I, in der i.d.R. alle Abschlüsse erworben werden können, und das Gymnasium. Einige Bundesländer (Berlin, Thüringen, Sachsen) haben als zusätzliche Schulformen die Gemeinschaftsschule von Klasse 1-12 eingeführt. Doch während sich die Kompetenzen im Lesen, in Mathematik und Naturwissenschaften bis 2012 deutlich verbesserten, fallen sie seitdem wieder deutlich ab und haben 2022 einen historischen Tiefststand erreicht.

Da Bildung nicht nur ein zentrales Menschenrecht sondern auch Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, persönliche Entwicklung und auch Grundlage künftiger gesellschaftlicher Entwicklung ist, gerät das deutsche Bildungssystem unter erheblichen Transformationsdruck. Um die Diskussion um mögliche und notwendige Veränderungen im deutschen Bildungssystem zu befördern sollen in einem Sammelband einige europäische Staaten entlang zentraler Merkmale mit Deutschland verglichen werden. Dabei wurden zum einen Staaten ausgewählt, die in internationalen Vergleichsstudien besonders erfolgreich sind (Finnland und Estland) und zum anderen Staaten, die weniger erfolgreich sind (Deutschland, Polen, Spanien). Ziel dieser Vergleichsstudien ist es, Bedingungen für (mangelnden) Bildungserfolg und die Reduzierung sozialer Ungleichheiten herauszuarbeiten und zu zeigen, ob und wie linke Bildungspolitik einen Unterschied in den beiden zentralen Aufgaben von Bildungspolitik machen kann. Dabei wirken die ausgeschriebenen Bildungsstudien in zwei Richtungen: zum einen können sie Anstöße für linke Bildungspolitik in den jeweiligen Ländern geben, zum anderen soll die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden die linke bildungspolitische Debatte um internationale Erfahrungen erweitern.

Ausgeschrieben werden kurze Länderstudien für Deutschland, Estland, Finnland, Polen und Spanien. In diesen soll zunächst ein allgemeiner Überblick über bildungspolitische Entwicklungen seit 2000 herausgearbeitet werden: zentrale bildungspolitische Vorhaben (Gesetze, Reformen u.ä.) und deren Resultate bevor im Weiteren Informationen zu folgenden Fragen gegeben werden sollen:

  • Wie ist Bildungspolitik organisiert, wer ist verantwortlich (Staat, Land, Kommune)?
  • Wie sieht die Schulstruktur des Landes aus? Wie ist sie gegliedert? Ist sie als Ganztagsschule organisiert? Wie hat sich dies seit 2000 verändert?
  • Welche Ergebnisse erreicht das jeweilige Land in internationalen Vergleichsstudien (PISA, TIMMS und IGLU)? Wie hängen sie mit der sozialen Herkunft zusammen (Bildungsgrad, Einkommen und Migrationsgeschichte)?
  • Wie haben sich die öffentlichen und privaten Bildungsausgaben seit 2000 entwickelt (Anteil am BIP)? Wie werden die Eltern beteiligt bzw. sind Schulessen und Lernmittel unentgeltlich?
  • Wie hoch ist der Anteil privater Schulen? Und wie hoch ist deren staatliche Finanzierung?
  • Wie viele Kinder werden durchschnittlich von einer Lehrkraft unterrichtet?
  • Wie erfolgt die Ausbildung von Lehrkräften? Wie stellt sich ihr Einkommen und ihr Ansehen im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen dar?
  • Was sind die größten Herausforderungen für die Bildung Schule in den kommenden Jahren?

Anschließend soll sich ein kleiner Exkurs zur frühkindlichen Bildung (0-6 Jahre): wie hat diese sich quantitativ und qualitativ seit 2000 entwickelt (Betreuungsquote im Vergleich zum Betreuungsbedarf, Ganztag oder Halbtag, spezifische Förderangebote für Bildungsbenachteiligte, Herausforderungen für die kommenden Jahre)

  • Welche politischen Forderungen für eine linke Bildungspolitik lassen sich daraus ableiten?

Schließen sollen die Länderstudien mit einer Bewertung der Entwicklungen in Kita und Schule i.d.S., dass deutlich wird, welche politischen Entscheidungen und Akteure Unterschiede in der Kompetenzentwicklung und dem Abbau sozialer Ungleichheiten bewirken können. Welche Erfordernisse an linke Bildungspolitik ergibt sich in den jeweiligen Ländern?

Schlusskapitel: Konsequenzen für eine linke Bildungspolitik

Für die Erstellung eines Aufsatzes auf Deutsch bzw. Englisch stehen 1.500,- € (brutto) zur Verfügung. Die Länderstudien sollen eine Zeichenzahl von 30.000 Zeichen nicht überschreiten.

Bewerber*innen für die Studie sollten ihre Expertise im Feld der nationalen Bildungspolitik durch einschlägige Publikationen belegen. Auswahlkriterien sind neben dem eingereichten Exposé (kommentiertes Inhaltsverzeichnis) (70%) der Nachweis der fachlichen Eignung (30%).
 

Bewerbungen mit einem kurzen Exposé sowie Angaben zur Person richten Sie bitte bis zum 15.5.2024 an:

Dr. Katrin Schäfgen: katrin.schaefgen@rosalux.org

Die Textentwürfe sollen bis zum 15. Juli 2024 vorliegen; bis 31. August sollen dann Korrekturen mit den Autor*innen besprochen werden.

Die finale Abgabe der Länderstudien ist für den 30.9. 2024 vorgesehen.