Bis zum Jahr 2010 soll in Europa ein einheitlicher Hochschulraum entstehen, indem die nationalen Hochschulsysteme miteinander in Einklang gebracht werden. Das ist das Ziel des Bologna-Prozesses.
Im Mittelpunkt des hochschulpolitischen Kurses, der dazu geführt wird, steht die Einführung einer zweistufigen Studienstruktur (Bachelor und Master) nach angelsächsischem Vorbild, die mit der Modularisierung von Studiengängen und die Anwendung einheitlicher Leistungspunktsysteme verknüpft werden soll. Zweifellos eröffnet dieser Prozess die Chance zu grösserer akademischer Freizügigkeit und damit zu einer Weiterentwicklung des europäischen Hochschulraumes. Doch perspektivisch geht es um mehr als um die Einführung neuer Studiengänge und Studienabschlüsse. Es besteht die Gefahr, dass mit dieser Entwicklung strukturelle Voraussetzungen für den neoliberalen Umbau des Hochschulwesens geschaffen werden.
Leitbild der neoliberalen Strukturreform ist der Umbau der Universitäten und Hochschulen zu marktwirtschaftlich verfassten Dienstleistungseinrichtungen. Damit würde man die klassische Universitätsidee nicht – wie vielfach behauptet - aktualisieren, sondern ausschlagen. Das aber hätte Konsequenzen nicht nur für die Universitäten und deren Bildungsauftrag, der sich bis heute an Wilhelm von Humboldt orientiert, sondern würde zu einem völlig neuen Verständnis von Bildung in Politik und Gesellschaft führen. Bildung, universitäre gar, als Menschenrecht und öffentliches Gut? Für Neoliberale ein faules Ei, das nach 19. Jahrhundert muffelt. Marktkundige sollen sagen, was gebraucht wird und sich rechnet.
Vor diesem Hintergrund wollen wir im Rahmen einer hochschulpolitischen Konferenz über Entstehung, Verlauf und Stand des Bologna-Prozesses informieren, die wesentlichen Inhalte und Bestimmungen kritisch reflektieren und Anforderungen diskutieren, die aus linker Sicht an die Schaffung eines europäischen Hochschulraumes zu stellen sind. Dabei werden wir auch auf die aktuellen Auseinandersetzungen im Hochschulbereich eingehen, so auf die Debatte um „Elite“-Universitäten, Studiengebühren und Hochschulfinanzierung, um nur einige der Stichworte zu nennen.
Mit der Konferenz möchten wir unmittelbar Betroffene, bildungspolitische AkteurInnen und sonstige am Thema interessierte Menschen ansprechen. Die Veranstaltung setzt unseren globalisierungskritischen Diskurs zum Thema „GATS und die Zukunft der öffentlichen Bildungssysteme“ fort.
mit:
Dr. Andreas Keller, Koordinator für Lehre und Auslandsaustausch Humboldt-Universität / Freie Universität, Berlin
Dr. Andrea Rohde, Mitglied des 133er Ausschusses bei den GATS-Verhandlungen in Genf, Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Berlin
Thomas Fritz, Attac, Berlin
David Hachfeld, Student
Prof.Dr. Morus Markard, Psychologe, Freie Universität Berlin
Prof.Dr. Hansgünter Meyer, Soziologe und Wissenschaftsforscher, Berlin
Markus Gilles, Stipendiat der RLS
Torsten Bultmann, Geschäftsführer des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Marburg
Prof.Dr. Chris Brückner, Fachhochschule München, FB Sozialwesen
Matthias Klaudius, Stipendiat der RLS
Benjamin Hoff, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin Wissenschaftspolitischer Sprecher der PDS-Fraktion
Artikel zum Thema:
- Volker Eichstedt: Bildung aus dem Warenkorb? GATS und die Zukunft der öffentlichen Bildungssysteme [pdf]
- Jürgen Klausenitzer: GATS, Pisa und die Entwicklung der Schule. Zur Restrukturierung des deutschen Bildungswesens im Kontext der internationalen Entwicklung [pdf]
- Christoph Scherrer: Bildungswesen unter Globalisierungsdruck. Die Kernbestimmungen des GATS und deren Folgen [pdf]
Bericht über die hochschulpolitische Konferenz am 5. und 6. November 2004 in Berlin
Im Mittelpunkt der Konferenz, die in Kooperation mit Helle Panke e.V. und der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus durchgeführt wurde, stand die kritische Bewertung des bisherigen Bologna-Prozesses, in dessen Ergebnis bis zum Jahr 2010 ein einheitlicher europäischer Hochschulraum entstehen soll. Dabei ging es einerseits um die Darstellung der Chancen, die sich mit dieser Entwicklung eröffnen, zum Beispiel hinsichtlich der akademischen Freizügigkeit. Andererseits wurde die Gefahr diskutiert, dass mit dem angestrebten Umbau der Universitäten strukturelle Voraussetzungen für die neoliberale Umgestaltung des gesamten Hochschulwesens geschaffen werden könnten. In diesem Kontext spielte auch der GATS-Prozess eine Rolle und also auch die Zukunft der öffentlichen Bildungssysteme.
Im folgenden dokumentieren wir Beiträge, die auf der Konferenz gehalten wurden:
- Dr. Andreas Keller: Chancen und Risiken des Bologna-Prozesses [pdf, 104KB]
- Prof. Dr. Morus Markard: „Elite“: Anti-egalitaristischer Kampfbegriff [pdf, 111KB]
- Prof. Dr. Hansgünter Meyer: Elite- oder Massenuniversität?
- Markus Gilles: Von begabten und unbegabten StudentInnen [pdf, 129KB]
- Dr. Roman Jaich: Bildungsfinanzierung im internationalen Vergleich [pdf, 128KB]
- Benjamin-Immanuel Hoff: Konsequenzen aus GATS und Bologna für eine linke Hochschulpolitik [pdf, 115KB]
Programm
Freitag, 5. November 2004 | |
13.30–14.00 Uhr | Begrüßung Dr. Evelin Wittich (RLS) |
14.00–15.30 Uhr | Entstehung und Verlauf des Bologna-Prozesses und seine Auswirkungen auf die Hochschulen Dr. Andreas Keller (HU/FU, Berlin) Moderation: Volker Eichstedt (RLS), Horst Bethge (AG Bildung bei der PDS) |
15.30–16.00 Uhr | Kaffeepause |
16.00–18.30 Uhr | Auswirkungen der Ökonomisierung der Gesellschaft auf die Hochschulen (GATS, TRIPS) Bericht von den GATS-Verhandlungen, an denen sie als Mitglied des 133er Ausschusses teilnimmt Dr. Andrea Rohde (Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Berlin) Folgen von GATS auf die Hochschulen Thomas Fritz (attac) Auswirkungen von GATS/TRIPS auf die Studienbedingungen von Studierenden David Hachfeld (Student) Moderation: Julia Scharf (ehem. Stipendiatin RLS) |
Anschließend: | Stehempfang und informeller Erfahrungsaustausch |
Sonnabend, 6. November 2004 | |
10.00–12.30 Uhr | »Elite-« versus »Massenuniversität«
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12.30–13.30 Uhr | Mittagspause |
13.30–16.00 Uhr | Internationale Erfahrungen in der Bildungsfinanzierung / Debatten um die Wissensgesellschaft postfordistische Bildungsökonomie Torsten Bultmann (BdWi) Bildungsfiinanzierung Prof. Chris Brückner (FH München) Ausbildungsfinanzierung in Europa – Irland und Deutschland im Vergleich Matthias Klaudius (Stipendiat RLS) Moderation: Carmen Ludwig (Studentin) |
16.00–16.30 Uhr | Kaffeepause |
16.30–18.00 Uhr | Konsequenzen aus GATS und Bologna für eine linke Hochschulpolitik Benjamin Hoff (MdA) Moderation: Tobias Schulze (Stipendiat RLS) |
Artikel zum Thema:
- Volker Eichstedt: Bildung aus dem Warenkorb? GATS und die Zukunft der öffentlichen Bildungssysteme
- Jürgen Klausenitzer: GATS, Pisa und die Entwicklung der Schule. Zur Restrukturierung des deutschen Bildungswesens im Kontext der internationalen Entwicklung
- Christoph Scherrer: Bildungswesen unter Globalisierungsdruck. Die Kernbestimmungen des GATS und deren Folgen