Dokumentation Adolf Hitler - Opfer des deutschen Faschismus?

Diskussion zum und über den Film "Der Untergang"

Information

Zeit

23.09.2004

Mit

Prof. Dr. Kurt Pätzold, Berlin; Prof. Dr. Dietrich Eichholtz, Borkheide; Detlef Kannapin, Spezialist für Filme über die NS-Zeit

Text zum Film

Mir nach, Kanaillen, in den Hitlerbunker

von Kurt Pätzold

Seit er der Presse gezeigt wurde, werden die Deutschen auf diesen Film vorbereitet. Mag die ihnen mehrfach bescheinigte Geschichtsversessenheit allein schon genügen, sie zu Millionen an Kinokassen zu bringen, dem Unternehmen, das 13, 5 Mill. Euro verschlungen hat, kann Reklame nicht schaden. So wird Kinogängern viel versprochen: Sie werden einen Hitler sehen, dem „ein Gesicht“ gegeben wurde (Die Welt), den Menschen hinter der Bestie erkennen (Berliner Morgenpost u.a.), überhaupt „Menschen im Bunker“ begegnen (Süddeutsche Zeitung“ und endlich erfahren, wie der Führer eigentlich so gewesen ist. Denn „Mehr Hitler war nie.“ (Die Zeit) Wieder werde ein Tabu gebrochen. Statt Vorverurteilung, Dämonisierung nun der ungetrübte Blick auf die Wirklichkeit.

Was das jenseits der Werbephrase konkret bedeutet, vermerkte eine russische Stimme, es werde Hitler nun als Mensch gezeigt, „der Schokoladentorten liebt“. Eine britische meinte, er erscheine als „der nette Tatteronkel von nebenan“. Es ist das die des Korrespondenten der Daily Mail, Allen Hall, der den Film in die vorherrschenden Geschichtsbetrachtung einordnet und ihn als Endpunkt einer Entwicklung ansieht, in deren Verlauf mit der Darstellung der Leiden der deutschen Soldaten (Stalingrad) und unter dem Bombenkrieg, der Erinnerung an Flucht, Vertreibung und Kriegsgefangenschaft die Opferrolle der Deutschen hervorgehoben wird und sich vor die Frage nach der Kriegsschuld schiebt.

Die Deutschen werden ab dem 16. September nach der Absicht seines Darstellers, mit dem „Führer“, für einen Moment, Mitleid empfinden können, der doch ein „erbärmlicher Mensch“ und  „armseliger“ und elender Mann war. (Die Welt) Ein Vorbericht trug den Titel „Ohne Herz mit Seele“. (Frankfurter Rundschau) Wen diese Aussichten schrecken, der wird beruhigt. Nicht nur die ominöse Zeit war für diesen Film reif, wie Drehbuchautor und Regisseur Eichinger versichert (Süddeutsche Zeitung), auch die Deutschen sind es geworden. Sie könnten sich mit dem Hitler jetzt „Auf Augenhöhe“ einlassen, ihm „in die Augen schauen“ (Die Welt).. Sie und ihr „Land sind gefestigt genug, den Film auszuhalten“, stehen sie doch fest in Lehren, die sie „aus ihrem politischen Versagen“ gezogen haben. (Die Welt)

Wer sich für eine Filmlänge im Bunker der Reichskanzlei niedergehockt hat, werde besser verstehen, was das war, das Naziregime versichert der Autor, der in 200 bis 250 Büchern, die er zu Hause griffbereit hatte,  „nachschaute“. Nichts von allem war ihm so hilfreich, wie ein Buch Joachim Fests und die Äußerungen der Hitler-Sekretärin Traudl Junge. Die kannte den Führer als Menschen, der zu Frauen immer so nett sein konnte.

Die Rede ist von dem Film „Der Untergang“. Sein Titel ist von Fest übernommen und, indem er an Erdbeben, Flut- und Schiffskatastrophen erinnert, gibt dem Geschehen ein hinreichend weit von der historischen Wirklichkeit abgehobenes Etikett. Offenherzig Eichinger: „Irgendwann hat sich das Interesse mehr und mehr auf die Person konzentriert, weg von dieser allgemeinen Betrachtung von Terrorsystemen.“ (Frankfurter Allgemeinen Sonntagzeitung). War das die Alternative und kein Drittes denkbar? Nicht für einen Regisseur, der sich „ins Innerste der Geschichte“ begeben will, „wo sich ihr die Sinnfrage nicht mehr stellt“. (Süddeutsche Zeitung) Das ist Gelaber. Die Geschichte stellt sich keine Frage. Die nach ihrem Sinn haben Menschen formuliert und zu beantworten gesucht. Wer wann und wo immer sich mit Geschichte befasste, tat das  „von außen“.

Was hat der Filmemacher dafür mitgebracht? Den Entschluss, nichts zu kommentieren und zu interpretieren, sich jeder Botschaft zu enthalten. Das wird als Vorzug angesehen. „Wenn der Film einen Wert hat,“ so Eichinger, „dann ist es der, dass er keine Wertung hat.“ (Frankfurter Allgemeinen Sonntagzeitung) Eben erzählen, wie es so im Führerbunker gewesen ist - düster, schaurig, gespenstisch. Wer an dieser Hand geht, wird ins Staunen geraten, sich verwundern, das ihm Gezeigte unbegreiflich und sinnlos finden. Er wird ihm kein Maß angeboten, mit dem er feststellen könnte, wie nah oder wie fern er den Zuständen ist, die da aufscheinen. Damit reiht sich das Werk in die vorherrschende Tendenz, mit der das verflossene Jahrhundert in Büchern und Fernsehfilmen betrachtet wird. Es ist der Blick auf der Erscheinungen Flucht. Doch wird Objektivität nur vorgetäuscht. Selbst wenn der Film „in  den wesentlichen Passagen nichts erklärt“, werden Inhalte „dazugeschmuggelt“. (Frankfurter Rundschau) Indessen: Rerum cognoscere causa – das war einmal. Die eingebunkerten fluchwürdigen Gestalten, die Ende April 1945 ihr Leben um Stunden zu verlängern wünschten und gegen die der Film gewiss Abscheu und Ekel erzeugt, sind der deutschen Gesellschaft ja ohnehin weit genug entrückt. Deren Mehrheit scherte sich um den Hitler schon nicht mehr. Die Szenen von draußen, vom Sterben in den Straßen der gewesenen Reichshauptstadt, holen von der Realität der Nazigesellschaft nichts Erhellendes auf die Leinwand.

Das Verfahren, sich den Fragen nach Zusammenhängen und Ursachen zu verweigern, hat freilich einen großen Haken. Der ist Köpfen, die sich hierzulande strategisch ums rechte Denken kümmern, nicht entgangen. Nicht jeden sättigt geistige Schmalkost. Und Politiker tun viel, Leute auf die Frage nach dem Woher und dem Warum zu stoßen. Wer, kaum dass er seine Lehre abgeschlossen hat, sich in Arbeitslosigkeit geworfen sieht, mag sich in Wittenberg oder Wittenberge fragen, warum die Vater und Großvater erspart blieb, kann ins Nachdenken über Geschichte geraten und sich mit der Beschreibung von Wandlitz nicht mehr zufrieden geben und eben auch nicht mit dem Blick in den Führerbunker. Das geschieht derzeit nicht massenhaft, aber, sagen sich Weiterblickende, die Zeiten ändern sich. Auf Dauer ist kein Verlass auf den „mündigen Bürger“, und das meint doch immer den von den Herrschenden gelenkten? Verzicht auf Botschaften, auf die nun bis zur Oder ausgedehnte Deutungshoheit?

Solchem Unbehagen gab Die Zeit Ausdruck: „Dieses Deutschland, in dem Hitler möglich war, erscheint dem Zuschauer gänzlich verschwunden.“ Ein Film mit diesem Gegenstand dürfe nicht nur Staunen machen, müsse zum Verstehen beitragen, wozu es auch der „Rekonstruktion der politischen Strukturen“ bedürfe. Dieser Film werde auch niemanden besorgt machen, „dass Ähnliches noch einmal kommen könnte“. Die Analyse schließt mit einem Appell an „alle Historiker“, die sich empören müssten, weil sie doch „hoffen und wünschen, dass aus der verbrecherischen Entgleisung (na ja, K.P.) eines ganzen Landes doch etwas gelernt und gezogen werden müsse, und sei es nur eine erhöhte Empfindlichkeit für Tendenzen, die abermals zu vergleichbaren Verbrechen führen könnten.“ So notwendig der Ruf, so notwendig der Zusatz, dass derartige Verbrechen täglich geschehen, und so wenig wahrscheinlich, dass er gehört werden wird. Aber und frei nach Peter Hacks: Heute nicht – morgen doch?