Hermann Henselmann – Würdigung eines widersprüchlichen Menschen
Am 03.02.05 jährte sich zum 100. Mal der Geburtstag von Hermann Henselmann. Diesem Anlass war eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 5. Februar gewidmet. Anliegen war es, an das Schaffen des engagierten und politisch parteinehmenden Architekten zu erinnern, sich mit dessen gesellschaftlichen Wirkungen auseinander zusetzen und den heutigen Umgang mit seinen Idee und Bauten zu diskutieren. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung wurde im Foyer des Hauses der Lehrers am Alexanderplatz, einer Arbeit Henselmanns, eine von der „Initiative zur Gründung einer Henselmann-Stiftung“ erarbeitete Ausstellung zu Leben und Wirken des Architekten gezeigt. Die Ausstellung ist nun im Foyer des ehemaligen ND-Gebäudes am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin-Friedrichshain zu sehen.
Die Veranstaltung stieß auf eine in diesem Umfang nicht unbedingt erwartete breite Resonanz. Über 90 TeilnehmerInnen verschiedener Herkunft und unterschiedlicher Generationen waren gekommen. Nicht zu vergessen dabei Mitglieder der Familie Henselmann, so auch seine Witwe Irene Henselmann.
Die Einführung zur Diskussion gab Wolf Eisentraut, Architekt und einige Jahre Mitarbeiter von Henselmann. Er zeichnete das Bild eines widersprüchlichen, kreativen, anregenden, suchenden und komplizierten Menschen. Eisentraut stellte Hermann Henselmann in den historischen Kontext seines Schaffens und skizzierte so sehr plastisch die Wechselwirkungen zwischen der Persönlichkeit Henselmanns, dem gesellschaftlichen Umfeld nach 1945 und den aus dieser Wechselwirkung heraus von Henselmann entwickelten stadtplanerischen und architektonischen Vorstellungen. Deutlich wurden der politische Widerstreit, in die stadtplanerische und architektonische Konzepte gestellt sind und die Probleme, die sich aus dem Zusammenstoß verschiedener Kulturen und Sozialisierungen bei der Entwicklung von Konzeptionen zur Stadtentwicklung ergaben. Dieser Zusammenprall von avantgardistischen Traditionen, denen sich Henselmann verpflichtet fühlte und den aus den Lebensumständen in Mietskasernen erwachsenden Werten eines an den Fassaden der Vorderhäuser und ihren hohen Fenstern orientierten Raumgefühls für besseres Leben (wie sie von vielen Funktionären vertreten wurden) waren für den Architekten nicht einfach Begrenzung, sondern vor allem Herausforderung. Eisentraut beschrieb dies nicht als Schwäche oder Opportunismus, sondern vor allem als Suche nach Formen, die der neuen Gesellschaft entsprachen und aus ihr selbst erwuchsen. Gerade in diesem Suchen liegt die bleibende Bedeutung Henselmanns in Ost wie auch in West, ist doch diese Suche noch nicht abgeschlossen. Auch die gegenwärtige Gesellschaft, so die Meinung der DiskussionsteilnehmerInnen, konnte ihre Entsprechung in Architektur und Stadtgestaltung noch nicht finden.
TeilnehmerInnen, die Henselmann noch aus gemeinsamer Arbeit kannten, gingen auf diese Widersprüchlichkeit der Persönlichkeit und die daraus resultierende, andere Menschen inspirierende Wirkung ein. Dies machte aus ihrer Sicht die Bedeutung wie auch die Spezifik des Schaffensprozesses in seinem Umfeld aus. Seine beißende Kritik war Ansporn, nicht Zerstörung von Kreativität. Oft, so die DiskussionsteilnehmerInnen, waren es kleine Anregungen und Hinweise, die seine MitarbeiterInnen zu völlig neuen Ansätzen und Lösungen führten. Insofern geht sein Einfluss weit über die Projekte, die er selbst schuf und realisierte, hinaus.
Jüngere TeilnehmerInnen stellten dar, welche Rolle die Auseinandersetzung mit den Ideen Henselmanns für sie in ganz konkreten Projekten spielte. Olaf Gibbens (Potsdam) berichtete über die Rekonstruktion mehrerer Häuserblocks in der Karl-Marx-Allee, Oliver Dahm (Berlin) über seine Arbeit an der Rekonstruktion des Hauses des Lehrers und der Kongresshalle.
Bemerkenswert an dieser Diskussion war die hohe Wertschätzung der Widersprüchlichkeit der Persönlichkeit Henselmanns als positiver und bleibender Wert. Die oft übliche Würdigung von Persönlichkeiten unter Ausschluss bestimmter Seiten war hier nicht anzutreffen. Insofern zeichnete sich die Diskussion durch eine hohe Lebendigkeit und Lebensnähe aus.
Zum Abschluss der Veranstaltung wurde durch Andreas Henselmann, einen der Söhne Hermann Henselmanns, die Gründung der Hermann-Henselmann-Stiftung bekannt gegeben. Ihr Ziel ist es, Fragen der Stellung von Architektur und Architekt in der Gesellschaft, die Widerspiegelung von deren Verfasstheit im Städtebau sowie die Möglichkeiten, Effekte und Grenzen des Eingreifens von Architekten und Städtebauern in diese Verhältnisse zu diskutieren. In diesem Zusammenhang sollen auch Fragen der Arbeitsweise in den Kollektiven um Henselmann weiter untersucht werden. Die neue Stiftung wird dabei eng mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammenarbeiten.
>>Download des Einladungsflyers [pdf, 240kB]