Dokumentation Armut – Arbeit – Ausweglos? Alternativen zum Ende des Sozialen

Die Zukunftsfähgigkeit der Sozialsysteme und Alternativen für eine menschenwürdige Existenzsicherung sind die Themen dieser Konferenz. In Kooperation mit der Erwerbsloseninitiative BAGShi

Information

Zeit

09.06.2006 - 11.06.2006

Themenbereiche

Ungleichheit / Soziale Kämpfe

Die Systeme sozialer Sicherung (Stichwort: Hartz IV) verändern sich momentan ebenso einschneidend wie die Formen von Erwerbsarbeit. Beispiele sind etwa die zunehmende Ersetzung regulärer Beschäftigungsverhältnisse durch nicht sozialversicherungspflichtige, oder die Ablösung der Qualifikationsmaßnahmen im Bereich des SGB III durch den Zwang zur Aufnahme so genannter zusätzlicher Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (SGB II §16). Dieser Wandel wird meist als Anpassung an ökonomische oder demografische »Sachzwänge« erklärt.

Sind die bestehenden Formen der sozialen Sicherung, ein soziokulturelles Existenzminimum  gekoppelt an die Anforderungen des ‚aktivierenden Sozialstaats‘,  weiterhin realisierbar und nachhaltig zukunftsfähig? Sind sie einer an der Würde des Menschen orientierten Gesellschaft angemessen? Oder existieren alternative Vorstellungen gesamtgesellschaftlicher Absicherung, die einen Weg aus der bestehenden Krise weisen, wie  z.B. erwerbsarbeitsunabhängige Grundeinkommensmodelle? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die Konferenz »Armut – Arbeit – Ausweglos«.

Seit etwa eineinhalb Jahren ist Hartz IV in Kraft. Eine Fachkonferenz der Bundesarbeitsgemeinschaft der Arbeitslosen- und Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI) in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung beschäftigte sich am 9. und 10. Juni 2006 mit den Veränderungen, die sich in der Situation der Leistungsberechtigten vollzogen haben und mit den Veränderungen, die sich als Konsequenzen der jüngsten Vorhaben der Bundesregierung vollziehen werden. Dabei ging es auch um Formen des Widerstandes gegen diese Vorhaben, um Möglichkeiten der Verteidigung von Rechten gegen Willkür auf den Ämtern und die Beförderung alltäglicher Solidarität. In einem der einleitenden Beiträge beschäftigte sich Prof. Grottian mit einer Analyse der Situation im Widerstand gegen Hartz IV und in diesem Zusammenhang auch mit der Frage, wie der Situation entsprechende Protestformen entwickelt werden könnten. Seine Analyse war wenig optimistisch. Zwar seien diejenigen, die sich gegen Hartz IV und den generell damit verbundenen Veränderungen des bundesdeutschen Gesellschaftssystems engagieren, in der programmatischen Diskussion weitergekommen, so vor allem die Etablierung der Forderung nach einem Mindestlohn in der öffentlichen Debatte. Er stellte jedoch kritisch fest, dass die Protestformen bei der Demonstration »hängen geblieben« seien. Aus seiner Sicht eigentlich notwendiger und legitimer ziviler Ungehorsam sei kaum zu beobachten.Diese Fragestellungen markieren die Breite der Diskussion in diesen zwei Tagen. Neben fundierten Analysen zur Situation stand eine intensive Diskussion um Bündnisfragen, vor allem hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Bewegungen und Gewerkschaften. Veränderungen in den Gewerkschaften wie auch in den Bewegungen seien nötig, um sozialen Protest wirkungsvoller zu machen. Dies vollziehe sich vor dem Hintergrund der Veränderung der Lohnarbeit selbst und einer weiten Aufsplitterung von Interessen sowohl unter den Lohnarbeitenden als auch unter den Erwerbslosen und Prekarisierten. Organisationsformen jenseits der klassischen Gewerkschafts- und Bewegungsformen, die diese Vielfalt von Interessen aufnehmen können, seien nötig. Selbstorganisation verlaufe heute anders als früher. Lokale, oft nur kurzzeitig aktive Netzwerke müssten in breite politische Kampagnen eingebunden werden. Dabei komme der tagtäglich erlebbaren Solidarität in „kleinen“ Dingen, wie etwa der Rechtsberatung und der Begleitung von Leistungsberechtigten auf die Ämter, als Ausgangspunkt für Politisierung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Die im Rahmen der Veranstaltung vorgelegten Analysen und Überlegungen gaben den TeilnehmerInnen vielfältige Anregungen für weitere Überlegungen. Wichtig wird vor allem sein, inwieweit es den verschiedenen Richtungen im Kampf gegen die weitere Zerstörung des Sozialen gelingt, die bestehenden Berührungspunkte in neue Organisations- und Aktionsformen umzusetzen.(Bericht: Lutz Brangsch)