Kaum ein Wirtschaftszweig kann mehr als Inbegriff der wissens- und High-Tech-basierten Globalisierung gelten als die Computer-Industrie. Eine der ersten Leidtragenden des massiven Preis- und Konkurrenzkampfes in der PC-Industrie sind die Beschäftigten. Unter dem Motto „High-Tech-Sweatshops in China. Neue Arbeitssubjekte und Organisierung in Weltmarktfabriken“ lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit WEED, der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW und der IG Metall Jugend Berlin, Brandenburg und Sachsen Ende November zu Podiumsdiskussion und Workshop nach Berlin und Köln ein. Zu Gast waren zwei Aktivistinnen aus China, die über die Arbeits- und Lebensbedingungen der zum großen Teil weiblichen Beschäftigten in den chinesischen Weltmarktfabriken und ihren Erfahrungen, Gegenstrategien und alternativen Modelle zur Interessensvertretung der Arbeiterinnen aufzubauen, berichteten. May Wong ist durch ihre Tätigkeit bei der NGO Labor Action China und dem Asia Monitor Resource Center (AMCR) mit den Problemen der Durchsetzung von ArbeiterInnen- und Menschenrechten in China bestens vertraut. Pun Ngai kennt die destraströse Situation der vor allem jungen weiblichen Migrantinnen aus eigener Erfahrung. Sie hat selbst ein Jahr lang in der Elektronikindustrie gearbeitet. Derzeit ist sie Assistant Professor an der Hong Konger Universität und Mitbegründerin des Chinese Women Network (CWWN). Das CWWN arbeitet vor allem mit Arbeiterinnen, die in den Fabriken der globalen Textil- und Elektroindustrie in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen beschäftigt sind. Gemeinsam versuchen sie, Selbstorganisierungsprozesse von Arbeitsmigrantinnen in China durch Beratung, Trainings, Vernetzung und Organizing-Projekte in Fabriken zu unterstützen.Die Podiumsdiskussionen, die in beiden Städten von rund 80 Personen besucht wurden, thematisierten in erster Linie die Arbeitsbedingungen und neue Formen der Organisierung. Die Arbeiterinnen haben eines gemeinsam: sie sind jung, kommen aus ländlichen Gebieten, kennen demzufolge ihre Arbeitsrechte nur marginal und sind nicht gewerkschaftlich organisiert. So berichtete May Wong zum Beispiel über eine Kampagne gegen den Konzern Gold Peak, der durch zahlreiche Cadmiumvergiftungen der in diesen Fabriken arbeitenden Frauen in die Schlagzeilen geraten war. Mit Hilfe von Straßenkampagnen gelang es schließlich, (wenn auch niedrige) Entschädigungen für die Arbeiterinnen, die zum Teil heute noch mit den Folgen der Vergiftungen zu kämpfen haben, zu erreichen. Pun Ngai verhandelt zurzeit mit acht chinesischen Universitäten, dass diese im Rahmen ihrer jährlichen Computerneuanschaffung Druck auf die Hersteller ausüben, die Arbeitsbedingungen in ihren Fabriken zu verbessern. Ihnen geht es darum, die menschenrechtsverletzenden Konsequenzen der Globalisierung auf die politische und gesellschaftliche Tagesordnung zu setzen – in China, aber auch in den Ländern, die weiter davon profitieren: zum Beispiel durch billige Computer, Spielzeuge unter deutschen Weihnachtsbäumen. Dabei geht es jedoch nicht nur um das Öffentlichmachen dieser katastrophalen Zustände, sondern darum, Strategien und Handlungsfähigkeit zu entwickeln, um die Firmen mit Kampagnen unter Druck setzen und so reale Veränderungen vor Ort in den Fabriken herbeiführen zu können. Deshalb sprach sich Pun Ngai insbesondere für eine bessere Vernetzung und für “more national support“ aus, um beispielsweise Protestaktionen wie die gegen den Betreiber des vor einem Jahr in Hong Kong eröffneten Disneylands auf die Beine zu stellen. Darüber hinaus bot der Workshop die Möglichkeit eines interaktiven Austauschs zwischen Vertretern und Vertreterrinnen von entwicklungspolitischen Organisationen, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Die Teilnahme von rund 40 Aktiven bei attac, der Clean-Clothes-Campaign, des Asienhauses in Köln, Vertreterinnen von Brot für alle (Schweiz), GERMANWATCH, Inkota, ver.di, attac und anderen machte den Workshop zu einem der seltenen Ort gemeinsamer Diskussion. Es wurden Fragen nach Ansätzen und Perspektiven gewerkschaftlicher Solidarität, neuen Bündnispolitiken, globalen sozialen Rechten, nach Strategien zwischen freiwilliger Selbstverpflichtung und verbindlichen Regeln für multinationale Unternehmen aufgeworfen. Damit bot sich die Möglichkeit, über internationale Unterstützung und Solidarisierung nachzudenken und Schnittstellen für eine mögliche Zusammenarbeit zu finden – über die Grenzen traditioneller NGO- und Gewerkschaftspolitik hinaus. Weiterführende Informationen:www.amrc.orgwww.cwwn.orgwww.sacom.hkwww.pc-global.deBericht: Bianca Muschiol/Silke Veth. Bianca Muschiol war Praktikantin im Rahmen des „High-Rech-Sweatshops in China“ in der RLS, Silke Veth ist Referentin für Internationale Politik im Bereich Politische Bildung der RLS.Zu Gast waren zwei Aktivistinnen aus China:
Pun Ngai (Assistant Professor für Sozialwissenschaften/ Universität Hongkong; Vorsitzende des Chinese Women Working Network CWWN): Pun Ngai arbeitete für die Recherche zu ihrem Buch "Made in China" selbst acht Monate in einem Elektronik-Sweatshop. Sie wird von den Arbeits- und Lebensbedingungen der Dangongmei berichten. Pun Ngai geht auf die Zusammenhänge von Migrationsbewegung, Geschlechterverhältnissen und Arbeitsbedingungen im heutigen China ein und beschreibt Organisierungsansätze des CWWN.
May Wong (Asia Monitor Resource Center): May Wong schildert, wie sich die veränderte Position Chinas in der globalen Arbeitsteilung auf die Arbeits- und Lebenssituation im Land auswirkt. Auf der Grundlage der Erfahrungen in China mit Verhaltenskodizes multinationaler Unternehmen kritisiert sie die Begrenztheit freiwilliger Selbstverpflichtung und stellt Perspektiven von Unternehmenskontrolle und Organisierung entlang von Wertschöpfungsketten zur Diskussion.
Ablauf:
13.00 – 13.20
Begrüßung, Problemaufriss und Fragestellung: Sarah Bormann (WEED)
13.20 – 14.00
Pun Ngai und May Wong stellen die Arbeit ihrer Organisationen vor. Was ist
ihre Problemanalyse und ihr Handlungsansatz?
14.00 – 14.20
Fragen und Diskussion
14.20 – 14.30
Pause
14.30 – 15.30
Diskussion: Gewerkschaften und Globalisierung mit kurzen Inputs von:
Peter Franke (Asienhaus)/ Jochen Gester (IG Metall): Ansätze und Perspektiven gewerkschaftlicher Solidarität im Bezug auf China
Christoph Kröpl (IG Metall Jugend): China Politik der IG Metall, Gewerkschaft und soziale Bewegung
Pedram Shayer (ATTAC): Arbeitsrechte sind nicht nur ein Thema für die Gewerkschaft, neue Bündnispolitik und die Forderung nach „globalen sozialen Rechten“, Konzernkritik
Fragen an May Wong, Pun Ngai: Wie bewerten sie die Zulassung einer Gewerkschaft bei Foxconn infolge der starken Öffentlichkeit und Proteste? Wann machen internationale Proteste Sinn? Verhältnis NGOs und ACFTU in China?
15.30 – 15.45
Pause
15.45 – 16.30
Freiwillige Selbstverpflichtung oder verbindliche Regeln für multinationale
Unternehmen mit kurzen Inputs von:
Evelyn Bahn (Inkota und Clean Clothes Campaign): welche Lehren sind aus den Erfahrungen der Clean Cothes Campaign auf die Elektronikindustrie zu übertragen?
Cornelia Heydenreich (Germanwatch): öffentliche Beschaffung, die Forderung nach Beschwerdeverfahren
Peter Fuchs (WEED): die Grenzen freiwilliger Selbstverpflichtung
Chantal Peyer (Brot für Alle, Schweiz): Von der Cafod Kampagne zum Electronic Industry Code of Conduct (EICC), Vorstellung des Electronic Network sowie der für die Schweiz geplanten Kampagne zu Arbeitsrechten in der Elektronikindustrie
May Wong, Pun Ngai: Erfahrungen mit Codes of Conduct in China
16.30 – 17.00
Was sind sinnvolle Kampagnenforderungen, wie kann eine Bündnisarbeit
zwischen NGOs, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gestaltet werden; wie kann eine internationale Vernetzung organisiert werden?
17.00
Schluss
Übersetzung: Die Beiträge aus dem Englischen werden konsekutiv in das Deutsche übersetzt.
Moderation: Sarah Bormann (WEED) und Silke Veth (RLS)
Veranstalter:
DBG Bildungswerk Nord-Süd-Netz
IG Metall Berlin/Brandenburg/Sachsen
Rosa-Luxemburg-Stiftung
Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW
WEED
Weitere Infos:
www.pcglobal.org
Die Termine:
27.11.06 Podiumsdiskussion in Köln
"High-Tech-Sweatshops in China. Neue Arbeitssubjekte und Organisierung in Weltmarktfabriken"
Referentinnen: Pun Ngai und May Wong
Wann: Montag, 27.11.06 19.30 Uhr
Wo: Alte Feuerwache, Köln
Moderation: Christa Wichterich (Journalistin und Wissenschaftlerin)
29.11.06 Podiumsdiskussion in Berlin
"High-Tech-Sweatshops in China. Neue Arbeitssubjekte und Organisierung in Weltmarktfabriken"
Referentinnen: Pun Ngai und May Wong
Wann: Mittwoch, 29.11.06 19.00 Uhr
Wo: HAU1 (U-Bahn: Hallesches Tor)
Moderation: Sarah Bormann (WEED)
30.11.06 Workshop in Berlin
"Organisierungsansätze und Unternehmenskontrolle in Wertschöpfungsketten"
Referentinnen: Pun Ngai und May Wong
Wann: Donnerstag, 30.11.06 13.00 - 17.00 Uhr
Wo: Rosa Luxemburg Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1 (S-Bahn: Ostbahnhof)
Welche Ansätze und internationalen Strategien können einem 'race-to-the-bottom' in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Umwelt und Entwicklung in globalen Wertschöpfungsketten der Elektronikindustrie entgegen gesetzt werden? Der Workshop richtet sich an Aktive in Gewerkschaften, entwicklungspolitischen Organisationen und sozialen Bewegungen.
(Teilnahme kostenlos, Anmeldung erforderlich bis 25.11.; veth@rosalux.de)
Materialien
Pun Ngai: The Precarious Employment and Hidden Costs of Women Workers in Shenzhen Special Economic Zone, China [pdf, 132KB]
Pun Ngai: A New Practice of Labor Organizing: Community-based Organization of Migrant Women Workers in South China [pdf, 191KB]
Pun Ngai: China as a World Factory: New Practices and Struggles of Migrant Women Workers [pdf, 200KB]