Dokumentation Globale Zivilgesellschaft und Internet

Wie lassen sich Macht und Herrschaft in der digitalen Sphäre demokratisieren? Mit einer alternativen Medienpolitik beschäftigte sich die Podiumsdiskussion »Globale Zivilgesellschaft und Internet«.

Information

Zeit

16.02.2007

Mit

Heiko Hilker, Medienpolitischer Sprecher Linkspartei.PDS; Prof. Dr. Hans-Jürgen Krysmanski, Soziologe (em.) Universität Münster

Dass es Zeit wird für die linke Medienkritik, über die Frage von Besitzverhältnissen und Konzentrationsprozessen im Mediensystem  hinauszublicken, bildete den Ausgangspunkt für die Podiumsdiskussion zwischen dem Medienforscher Prof. Dr. Hans-Jürgen Krysmanski und dem medienpolitischen Sprecher der Linkspartei Heiko Hilker. Die Veranstaltung »Globale Zivilgesellschaft und Internet« (am 16.2.07 in Hamburg) beschäftigte sich mit den emanzipatorischen Potenzialen neuer Medien, einem virtualisierten Kapitalismus und Grundsätzen einer alternativen Medienpolitik.

In seinem einleitenden Vortrag war es Krysmanski wichtig, nicht nur auf die Risiken der neuen Kommunikationstechnologien hinzuweisen, sondern gleichzeitig deren Potentiale für emanzipatorische und systemkritische Bewegungen zu verdeutlichen. Er ging der Frage nach, wie eine Medienpolitik, die Prinzipien wie sozialer Gerechtigkeit und Emanzipation des Individuums folgt, mit Hinblick auf die neuen Medien zu gestalten sei. Nicht nur demokratieschädlichen Entwicklungen, die sich aus neuen technischen Möglichkeiten der Überwachung und Manipulation ergeben, gilt es zu begegnen. Erwähnt sei hier nur die ständig von Innenminister Wolfgang Schäuble aufgewärmte Debatte zur staatlichen Überwachung von heimischen PCs. Für linke MedienpolitikerInnen sollte es daneben wichtig sein,  zivilgesellschaftlichen Potenziale des digitalen Mediensystems zu erkennen und zu fördern. Dabei mahnte Krysmanski, dass die Linke und anti-systemische Bewegungen in der neuen Medienwelt – von Blogs bis Web 2.0 - bei weitem noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, unabhängige Medienformen und Gegenöffentlichkeiten aufzubauen. Die Linke solle sich mit den Inhalten und Werkzeugen der mächtigen neuen digitalen Medien auseinandersetzen.

So wurde gefragt, wie Regulierungs- und Steuerungsinstrumente für das Web aussehen, wie Besitzkonzentration und Macht über die Inhalte und Kommunikation im Netz eingedämmt werden könnten. Nachgedacht wurde auch darüber, wie zukünftig der freie Zugang zu Information, der die Grundlage für eine moderne demokratische Gesellschaft bildet, durch eine linke Medienpolitik gesichert werden kann. Als bedenklich bewertete Krysmanski, dass sich in der digitalen Medienwelt eine neue Klassengesellschaft mit Internet-Usern erster und zweiter Klasse abzeichnet. Ursachen sind u.a. die unterschiedlichen finanziellen Ressourcen und die vorhandene Bildung der User, die das Nutzungsverhalten erheblich beeinflussen.

Krysmanski erläuterte, dass in technischer Hinsicht die Entwicklung der Zivilgesellschaft und des Kapitalismus durch die Computerrevolution bestimmt wird. Während Zeitung, Telefon oder Fernsehen Jahrzehnte brauchten, um sich als Massenmedium zu etablieren, so hat das Internet in nur wenigen Jahren eine sehr große Bedeutung erlangt. Nutzten 1996 nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung das Internet, sind inzwischen rund 60% Prozent der Deutschen online. Die Sphären von Politik, Ökonomie und Kultur werden immer mehr von der Digitalisierung durchdrungen. Symbol dieser Revolution ist das Internet als ein System weltweit verknüpfter Computernetzwerke. Unter dem Schlagwort „neuen Medien“ ist das Phänomen zu verstehen, dass die klassischen Medien wie Telefon, Fernsehen oder Printmedien durch die digitalen Technologien aufgesogen und in das Super-Medium Internet integriert werden. Die „alten“ Formen der Massenmedien wie TV, Zeitungen und Hörfunk werden von immer mehr Rezipienten und zeitgleich von der Werbeindustrie zugunsten der Onlinemedien verlassen. Die etablierten globalen Player der Off-Medien sind mit Milliardeninvestitionen dabei, auch in den Onlinemedien dominierende Positionen einzunehmen. So schlucken sie munter >mega social networking sites< wie MySpace oder Youtube.

Die Global Player der Medien und des Internets von AOL-Time Warner über Disney bis zu Sony Corp. entwickeln sich zu globalen Kontrolleuren des Zugangs zu kulturellen Erfahrungen: Tourismus, Freizeitparks, Mode, Sport, Bücher, Film, Fernsehen usw. Es wohnt dem Kapitalismus die Logik inne, alle Bereiche des menschlichen Daseins in Waren zu transformieren und zu verwerten. So schürfen auch die transnationalen Medienkonzerne weltweit die kulturellen Ressourcen ab und verpacken sie zu Kultur- und Unterhaltungsgütern. Durch die wachsende Kontrolle der transnationalen Medienkonzerne über die Netze und Kanäle, über die Menschen kommunizieren, und ebenso dadurch, dass sie die Inhalte formen, die gefilmt, gesendet oder ins Internet gestellt werden, können die Konzerne die Erfahrungen der Menschen überall auf der Welt immer mehr steuern.

Angelehnt an die Theoretiker des Cyberpunk, Arthur Kroker und Michael A. Weinstein, ging Krysmanski darauf ein, dass diese kapitalismuskritische Literaturform bereits das Entstehen eines neuen „Pan-Kapitalismus“ vorwegnimmt, der stark anti-demokratische Züge trägt. Was ist darunter zu verstehen? In Politik und Ökonomie wandert die Macht in die Hände einer neuen Managerklasse, die sehr genau mit den neuen Technologien umzugehen weiß und sich in informellen Netzwerken organisiert, die sich der Wahrnehmung entziehen. Nur eine äußerst schmale Schicht der Gesellschaft hat Zugang zu dieser neue Klasse. Diese Tendenz zur Zentralisierung von Macht im gegenwärtigen Kapitalismus wie u.a. im Unternehmensmanagement ist auch eine Folge neuer Kommunikations- und Informationstechnologien, die eine Überwachung und Steuerung aller Prozesse in Echtzeit erlauben. So können Wirtschaftsunternehmen in Echtzeit kontrollieren, wie an den auf dem Globus verteilten Produktionsstandorten produziert wird, welche Produkte sich wo besonders gut verkaufen oder ob sich irgendwo auch nur ein investierter Cent nicht rentiert.

Krysmanski kommt zu der Feststellung, dass sich auf der anderen Seite in einer sich virtualisierenden Gesellschaft vielfältige emanzipatorische Subkulturen mit kulturtechnischen Kompetenzen herausbilden, die subversiv als Hacker oder Cyberpunks die hochgradig vernetzte Welt stören. Es entwickelt sich insbesondere im Cyberpunk, aber auch in der PC-Game-Community zahlreich ein neuer Intellektuellentyp, der, mit bester Hardware ausgestattet, gegen hochtechnisierte Mächte der Finsternis zu Felde zieht, dabei vernetzt mit vielen seinesgleichen bis hinein in die Ghettos dieser Welt. Hierzu zählt etwa die globalisierungskritische Gruppe Yes Men (www.gatt.org). Deren AktivistInnen geben sich als VertreterInnen der Welthandelsorganisation WTO aus, erschleichen sich Einladungen zu Konferenzen der neoliberalen Machteliten, halten absurde Vorträge oder führen provozierende Happenings durch. So stoßen sie mit ihren systemkritischen Inhalten in die mediale Öffentlichkeit vor.

Auf der Basis der sich durch die neuen Medien verändernden Produktivkräfte und Produktionsbedingungen entstehen vielfältige Formen der Assoziation freier Produzenten, die sich aber nicht unbedingt immer als anti-systemische Kooperationen verstehen: Hierzu zählt Krysmanski u.a. die Open Source und Open Content-Bewegungen. Besonders hervorzuheben sind hierbei die „Formen der Assoziation freier Produzenten zwecks der Produktion freier Assoziationen“, die Krysmanski als „Experimente mit dem Sozialen schlechthin, mit Varianten des Ausstiegs“ bezeichnet. Dazu zählt etwa das Massachusetts Institute of Technology (MIT), dass erklärt hat, aus dem Netz keinen Profit mehr erwirtschaften zu wollen. So stellt es sein Netzangebot aus Kursen, Vorträgen, Examen und Vorlesungsvideos kostenlos zum Download zur Verfügung. Auch wenn es von den Urhebern gar nicht intendiert sein sollte, so wird von diesem OpenCourseWare-Projekt die Verwertungslogik von Content im Web unterlaufen.

(Veranstaltungsbericht: Jens Ilse)


Referenten:

Prof. em. Dr. Hans-Jürgen Krysmanski, bis 2001 Professor für Soziologie an der Universität Münster, Journalist und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac
Weitere Informationen: www.uni-muenster.de/PeaCon/krys.html

Heiko Hilker, Medienpolitischer Sprecher der Linkspartei, Mitglied des Sächsischen Landtages in der PDS-Landtagsfraktion, Mitglied des mdr-Rundfunkrat
Weitere Informationen: www.heiko-hilker.de