Klaus Ernst: Politischer Streik muss organisiert werden!
Eröffnet wurde die Konferenz prominent vom Parteivorsitzenden der LINKEN, Klaus Ernst. Als jahrelanger 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt war Ernst an politischen Streiks etwa gegen die Rente mit 67 beteiligt gewesen. Ernst ging zunächst auf die gegenwärtige Euro-Krise ein. In ihr würden Unternehmen und Regierungen eine „Zerschlagung des europäischen Sozialstaates“ versuchen. Gleichzeitig würden wesentliche Elemente der Demokratie geschliffen, wenn zunehmend demokratisch nicht legitimierte Technokraten-Regierungen ans Ruder kommen. Vor diesem Hintergrund bekämen politische und Generalstreiks eine zunehmend wichtige Rolle in der Verteidigung des Sozialstaates und der Demokratie. In Deutschland sei das Recht auf politische Streiks eine zentrale Forderung der LINKEN. Es genüge aber nicht, dieses Recht einfach nur zu fordern. Die Inhalte müssten in den Vordergrund gestellt werden, damit die Menschen auch streiken wollen, denn auf die Beteiligung käme es an. Ein zentrales Moment beim politischen Streik sei da gegeben, wo die politischen und wirtschaftlichen Eliten des Landes ein- und angreifen: In der Verteilungsfrage. Ernst mahnte: Ohne Bündnispartner in der außerparlamentarischen Linken wird die Parteilinke in Europa nichts erreichen. Es brauche den Druck auf der Straße und die massive Beteiligung der BürgerInnen, damit ein politischer Streik Erfolge zeigen kann.
Konkrete Erfahrungen mit Generalstreiks in Europa
Anschließend standen in zwei aufeinanderfolgenden Panels die Erfahrungen europäischer Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter mit politischen und Generalstreiks im Zentrum der Konferenz.
Frankreich
Christine Lafont von der Gewerkschaft Solidaires aus Frankreich gab einen Überblick über die zahlreichen gewerkschaftlichen Mobilisierungen und politischen Streiks in den vergangenen drei Jahren. Sie schilderte, wie trotz oft großer Beteiligung viele dieser Mobilisierungen in Niederlagen endeten. Ihrer Analyse nach lag dies auch daran, dass die Abstände zwischen den einzelnen Mobilisierungen häufig zu groß waren, um eine echte Dynamik zu entfalten. Deshalb orientiert ihre Gewerkschaft auf eine engere Taktung und bessere Verzahnung der Proteste. Ein großes Problem sei gewesen, dass die großen Gewerkschaften CGT und CFDT in den vergangenen Monaten den Ausgang der Präsidentschaftswahlen abwarteten und auf weitere Mobilisierungen verzichteten.
Portugal
Deolinda Martin, Mitglied im Vorstand des größten portugiesischen Gewerkschaftsdachverbandes CGTP und der Lehrergewerkschaft FENPROF, schilderte, wie hart die portugiesischen Arbeitnehmer durch die Krise getroffen wurden und wie sehr die Wirtschaft durch die Kürzungspolitik abgewürgt wurde. So gäbe es 1,2 Mio. Arbeitslose, weitere 900.000 Beschäftigte arbeiten in prekären Jobs. Gegen diese Entwicklungen wehrten sich die Gewerkschaften mit verschiedenen Generalstreiks. Dabei, so Deolinda, sei die sorgfältige Vorbereitung eines Generalstreiks sehr wichtig. Es gelte, die verschiedenen Gewerkschaften, aber auch soziale Bewegungen, Arbeitslose und v.a. die Beschäftigten selbst mit einzubeziehen. Dies sei gerade beim letzten Generalstreik schlecht gelungen, der daher ein Misserfolg gewesen sei. Eine neue Entwicklung ist, dass portugiesische Gewerkschaften anders als früher an den Tagen eines Generalstreiks große Demonstrationen organisieren, um den Druck zu erhöhen und der wachsenden Wut Ausdruck zu verleihen. Notwendig wären europaweit koordinierte Proteste gegen die Kürzungspolitik und für gute Arbeit, faire Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Möglichkeiten der demokratischen Partizipation.
Baskenland
Anschließend sprach Sabin del Bado von der baskischen Gewerkschaft LAB. Er schilderte die Kürzungspolitik in Spanien, die von der sozialdemokratischen Regierung begonnen nun von der konservativen Regierung fortgesetzt werde und die auf eine radikale Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, auf den Abbau des öffentlichen Dienstes und auf Privatisierungen abziele. Innerhalb der Gewerkschaften gäbe es zwei unterschiedliche Strategien gegen diese Entwicklung: Während die großen Verbände UGT und CC.OO auf Verhandlungen mit der Regierung und neue Kompromisse setzten, würden radikale Gewerkschaften wie die LAB versuchen, den entschiedensten Kampf gegen die Kürzungen mit einer Infragestellung des kapitalistischen Modells zu verbinden. Die baskischen Gewerkschaften riefen seit 2009 zu vier Generalstreiks auf. Zwei Generalstreiks fanden in dieser Zeit im spanischen Staat statt. Besonders wichtig war der LAB dabei die Verbindung mit sozialen Bewegungen und der linken Unabhängigkeitsbewegung im Baskenland. Die LAB würden sich dabei nicht auf Streiks innerhalb der Betriebe beschränken, sondern versuchen, Streikkomitees in den Stadteilen und Dörfern aufzubauen und Arbeitslose und Rentner in diese einzubinden. So sei es gelungen, den letzten Generalsteik im März zu einem großen Erfolg zu machen: er sei von 87% der Industriearbeiter und über 80% der Beschäftigten im öffentlichen Dienst befolgt worden, wodurch der landesweite Elektrizitätsverbrauch an diesem Tag um 40% einbrach. Über 100.000 Personen hätten sich an Demonstrationen während des Streiks beteiligt.
Griechenland
Die griechische Gewerkschafterin Olga Karyoti vertrat die noch kleine und neue Gewerkschaft der ÜbersetzerInnen. Sie berichtete von den Schwierigkeiten und Herausforderungen, unter den Bedingungen einer tiefen Krise und wachsender Armut meist junge und prekär Beschäftigte, die häufig als Selbstständige arbeiten müssen, zu organisieren. Gerade weil in dem geographisch versprengten Arbeitsfeld der ÜbersetzerInnen, die meistens von zu Hause aus arbeiten müssen, bisher keine ökonomischen Streiks möglich waren, sei die Vertretung und Sichtbarmachung der Interessen prekär Beschäftigter in größeren gesellschaftlichen Konflikten, etwa bei einem Generalstreik, eine wichtige Aufgabe ihrer Gewerkschaft. Ein großes Problem der vergangenen Generalstreiks in Griechenland sei gewesen, dass sie von den großen Dachverbänden „von oben“ ausgerufen wurden, ohne die Gewerkschaftsbasis aktiv einzubeziehen, und ohne die Generalstreiks mit den zahlreichen ökonomischen Streikbewegungen des Landes zu verknüpfen. Hierin läge ein wichtiger Grund für die bisher nicht durchschlagende Wirkung der gegenwärtigen Generalstreiks in Griechenland.
Österreich
Das es auch in Ländern mit einer Einheitsgewerkschaft und auch sonst vielen Ähnlichkeiten zur deutschen Gewerkschaftsbewegung (sehr formalisierte Tarifverhandlungen, lange Tradition der Sozialpartnerschaft, Dominanz der Sozialdemokratie in den Gewerkschaften) zu einem Generalstreik kommen kann, zeigte Michael Pieber von der österreichischen Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus und Papier (DPA – djp) auf. 2003 versuchte die damalige Rechtregierung einen Angriff auf die Rentenkassen. Die Gewerkschaften des ÖGB organisierten daraufhin eine Urabstimmung über einen möglichen Generalstreik und einen landesweiten Aktionstag. Da beides breit befolgt wurde und sich eine große Mehrheit für einen Generalstreik aussprach, wurde dieser schließlich in Angriff genommen. Pieber schilderte, wie schwierig es ist, einen schwerfälligen Apparat wie den ÖGB in Bewegung zu setzen, aber auch, welche Wucht er entfalten kann, wenn er einmal in Bewegung kommt. Auch aufgrund der staken Einbindung der Beschäftigen wurde der Generalstreiktag ein voller Erfolg und die Regierung zu Zugeständnissen gezwungen. Weitere Zugeständnisse konnten in der Folge durch die reine Androhung weiterer Generalstreiks erreicht werden.
England
Auch der letzte Redner der Nachmittagspanels kam aus einem Land, dass keine ausgeprägte Tradition an Generalstreiks hat: England. Sean Vernell vom Vorstand der University and College Union (UCU) berichtete, wie sich dennoch eine Protestdynamik entfalten konnte, die zum größten politischen Massenstreik im Öffentlichen Dienst seit Jahrzehnten führte. Inspiriert von einer großen Studierendenbewegung gegen die Erhöhung der Studiengebühren, die in einer Verwüstung der Tory-Parteizentrale mündete, entschlossen sich auch die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zu entschiedeneren Protestmaßnahmen. Im Frühjahr 2011 organisierten sie die größte gewerkschaftliche Demonstration seit Jahrzehnten. Davon ausgehend kam es im Sommer zu einem Teilstreik und am 30. November zu einem Massenstreik im öffentlichen Dienst in England. Weitere Proteste dieser Art seien dringend notwendig, denn bisher habe sich noch keine Abkehr der Regierung von ihrer Kürzungspolitik durchsetzen lassen.
Abschlusspodium zu gewerkschaftlichen Strategien
Auf dem Abendpodium stand dann die Frage nach gewerkschaftlichen Strategien gegen die Kürzungen in Europa im Zentrum. Nuria Montoya von der größten spanischen Gewerkschaft, den Comisiones Obreras (CC.OO), Generalsekretärin der CC.OO in der Region Barcelona und Aktivistin im Netzwerk linker Gewerkschafter bei der Europäischen Linkspartei, plädierte leidenschaftlich für eine bessere Koordinierung der Proteste in Europa. Die Kürzungspolitik in den verschiedenen Ländern habe überall dieselben Wurzeln und erfordere gemeinsame Antworten der Gewerkschaften. Der europäische Gewerkschaftsverband ETUC habe auf seinem letzten Kongress in Athen die richtige Richtung eingeschlagen und gemeinsame Proteste anvisiert. Notwendig sei auch ein einheitliches progressives Streikrecht in Europa, in dem politische Streiks ausdrücklich als legal erklärt werden müssen.
Während sich Olga Karyoti auf dem Abendpodium für europaweite wildcat-Streiks und Generalstreiks aussprach, warnte Sean Vernell vor verbalem Radikalismus: So lange viele Gewerkschaften schon nicht in der Lage seien, etwa eine längere Tee-Pause durchzusetzen, bräuchten sie sich über einen Generalstreik erst gar keine Gedanken zu machen. Ökonomische und politische Streikbewegungen würden untrennbar zusammen gehören. Gleichzeitig betonte er, dass die Entwicklung sozialistischer Alternativen kein Luxusproblem der Linken, sondern eine bittere Notwendigkeit seien: Ohne glaubwürdige gesellschaftliche Alternativen würden die Gewerkschaften die Beschäftigen nicht erfolgreich in größere Auseinandersetzungen führen können.
Als Abschlussredner der Konferenz richtete Detlef Hensche als ehemaliger Vorsitzender der IG Medien den Blick wieder nach Deutschland, wo der politische Streiks weiterhin nach vorherrschender Rechtsauffassung als verboten gilt. Hensche zeigte auf, auf was für wackeligen juristischen Beinen dieses Verbot steht. Allerdings seien politische Streiks keine primär juristische Frage, sondern in erster Linie eine Frage gewerkschaftlicher Praxis. Die Begrenzung der Gewerkschaften auf reine Lohnpolitik unter Ausklammerung weiterer politischer Fragen sei ein Fehler und würde die Gewerkschaften schwächen, zumal sie lohnpolitisch in der vergangenen Dekade wenig erreicht hätten. Hensche plädierte für mehr Mut und Experimentierbereitschaft. So müsse künftig mit Streiks reagiert werden, wenn neue Privatisierungen durchgesetzt werden sollen. Der zunehmende Ruf in den deutschen Gewerkschaften, wie er auch in dem kürzlich veröffentlichten „Wiesbadener Appell“ für ein umfassendes Streikrecht zum Ausdruck kam, sei eine positive und zu unterstützende Entwicklung.
Fazit
Insgesamt vermittelte die Konferenz ein umfangreiches Bild der Realität politischer Streiks im Europa der Krise. Deutlich wurde, dass das Mittel des politischen und Generalstreiks für die Praxis der Gewerkschaften vieler europäischer Länder eine immer größere Bedeutung bekommt. Ebenso deutlich wurde, wie wichtig die intensive Vorbereitung und aktive Einbeziehung der Gewerkschaftsbasis für einen erfolgreichen Generalstreik ist. Auch spielt die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen in vielen Ländern eine zunehmend wichtige Rolle. Deutlich wurde aber auch, vor welch großen Schwierigkeiten die Gewerkschaften in Europa stehen: Die gegenwärtige Krise führt aufgrund der neuen Massenarbeitslosigkeit in vielen Ländern keineswegs automatisch zu einer wachsenden Streikbereitschaft. Vielerorts gibt es weiterhin große Probleme eines koordinierten Handelns der oft zersplitterten Gewerkschaften. Die häufig nur auf einen Tag beschränkten Generalstreiks konnten bisher keinen ausreichenden Druck entfalten, um eine wirkliche Abkehr von der Kürzungspolitik durchzusetzen. Von einer europaweiten Synchronisierung ihrer Proteste und Streiks sind die Gewerkschaften noch immer sehr weit entfernt. Deutlich wurde auch die Notwendigkeit der Entwicklung positiver gesamtgesellschaftlicher Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus, um die Beschäftigen für weitere Kämpfe begeistern zu können. Dies ist eine Aufgabe, die die Gewerkschaften nicht alleine meistern können, sondern die von der gesamten gesellschaftlichen Linken in Europa in Angriff genommen werden muss.
Die Konferenz im Kontext weiterer Aktivitäten
Die Konferenz steht im Kontext weiterer Aktivitäten der RLS zu dem Thema „Politische Streiks im Europa der Krise“. Bereits im Januar hatte der Gesprächskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf einem von 70 Personen besuchten Treffen in Frankfurt/M den britischen Generalstreikforscher Prof. John Kelly und den IG BAU-Sekretär und langjährigen Streiter für den politischen Streik, Veit Wilhelmy, als Referenten dazu eingeladen (Bericht). Im Anschluss an die Konferenz ist die Veröffentlichung eines Sammelbandes mit einer aktuellen Studie, einem Text von John Kelly, verschiedenen Beiträgen aus der deutschen Gewerkschaftsbewegung und Beiträgen der Konferenz zu „Politischen Streiks im Europa der Krise“ geplant.
(Bericht: Florian Wilde, als PDF)
Programm
- 11 Uhr: Begrüßung
Florian Wilde (Referent für Gewerkschaftspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung) - 11:10 Uhr: Eröffnung:
Klaus Ernst (MdB, Parteivorsitzender DIE LINKE, ehem. 1. Bevollmächtigter IG Metall, Schweinfurt) - 11:30 Uhr: Nach dem Generalstreik ist vor dem Generalstreik?
Olga Karyoti (Gewerkschaft der ÜbersetzerInnen, Griechenland), Sabine del Bado (LAB; Baskenland) und Christine Lafont (Union Syndicale Solidaires, Frankreich)
- 13:30 Uhr: Mittagspause
- 14:30 Uhr: Generalstreik als Ausnahmeerscheinung
Michael Pieber (Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier GPA-djp, Österreich), Deolinda Martin (Mitglied im Vorstand der Lehrergewerkschaft FENPROF und des Dachverbandes CGTP, Portugal) und Sean Vernell (Mitglied im Vorstand der University and College Union UCU, England) - 16:30 Uhr: Kaffee-Pause
- 17 - 19 Uhr: Abschlussveranstaltung: How to win – Strategien gegen Kürzungspolitik in Europa
Olga Karyoti (Gewerkschaft der ÜbersetzerInnen, Griechenland), Sean Vernell (Mitglied im Vorstand der University and College Union UCU, England), Nuria Lozano Montoya (2. Vors. CC.OO Katalonien, Spanien) und Detlef Hensche (ehem. Vorsitzender der IG Medien, Deutschland)
Interviews mit Florian Wilde, Organisator der Konferenz:
- «Massive Welle von Generalstreiks in Europa»
junge Welt, 17.4.2012 - «Generalstreiks sind wichtige Waffen»
Neues Deutschland, 27.4.2012
Berichte über die Konferenz:
- Politischer Streik gegen die Krise, in: neues deutschland, 07.05.2012
- Heilmittel oder Mythos? In: junge Welt, 08.05.2012
- Und keiner geht hin, in: Jungle World Nr.19, 10.05.12http://jungle-world.com/artikel/2012/19/45415.html
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