Dokumentation «Hightech-Kapitalismus in der großen Krise»

«Luxemburg Lecture» mit Wolfgang Fritz Haug.

Information

Zeit

10.10.2012

Veranstalter

Mario Candeias,

Mit

Wolfgang Fritz Haug (Philosoph, Autor und Verleger; Esslingen)

Themenbereiche

Ungleichheit / Soziale Kämpfe, Kapitalismusanalyse, Globalisierung, Gesellschaftstheorie

Im seit der Großen Krise gut bevölkerten Terrain der Kapitalismuskritik ragen Wolfgang Fritz Haugs Bücher «High-Tech-Kapitalismus» (2003) und jetzt «Hightech-Kapitalismus in der großen Krise» (2012) heraus. Sein Thema: die erste große Doppelkrise des Gegenwartskapitalismus, den er als transnational und hochtechnisch qualifiziert. Wie analysieren wir diese Krise? Was ist neu an ihr? Was meinen Finanzialisierung und Spekulation? Wie hängen Finanz- und Hegemoniekrise zusammen? Ist es nützlich, von Imperium und Imperialismus zu sprechen oder gar die Bundesrepublik Deutschland als ein «accidential empire» (The Guardian) zu bezeichnen?

Wolfgang Fritz Haug lehrte 1979 bis 2001 Philosophie an der Freien Universität Berlin und hatte unter anderem Gastprofessuren an den Universitäten Marburg, Zürich, Paris, Puebla (Mexico) und Roskilde (Dänemark). Er ist Herausgeber der Zeitschrift Das Argument und Mitherausgeber des «Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus», Wissenschaftlicher Leiter des Berliner Instituts für kritische Theorie (InkriT) sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät Berlin, der LINKEN und des wissenschaftlichen Beirats von Attac.

Moderation: Rainer Rilling (RLS)

Veranstaltungsbericht
RAINER RILLING
KRISE DENKEN EINE LUXEMBURG LECTURE ÜBER HIGHTECH-KAPITALISMUS IN DER KRISE


Seit einem halben Jahrzehnt schon gewöhnen wir uns an diese Krise. Ihre schiere Dauer macht sie zu einem historischen Ereignis in der Kapitalismusgeschichte. Die Analyse der Krise stand im Zentrum der Luxemburg Lecture am 10. Oktober 2012, die Wolfgang Fritz Haug gab.

In Anlehnung an sein gleichnamiges neues Buch ging es um den «Hightech-Kapitalismus in der Großen Krise» (Argument Verlag, 2012). Die Arbeiten an dem Buch wurden durch die Regierungszeit Bush motiviert, die den Übergang zu einer «direkten Herrschaft ohne Hegemonie» brachte. Die Krise seit 2007/08 nennt Haug «Groß» – eine Referenz auf die Weltwirtschaftskrise von 1929. Ähnlichkeiten gibt es: Krieg und Kriegsgefahr, Massenarbeitslosigkeit, ein Deutschland, das als Zwischenmacht agiert, labile Zwischenlösungen der ökonomischen Spannungen. Die Krise zu denken erfordert, sich als Subjekt in diese hinein zu begeben, sie als widersprüchlich zu begreifen und zugleich die Präsenz des Historischen im Jetzigen zu verstehen.

Die zum Mainstream gewordenen Redeweisen vom Finanzmarktkapitalismus oder der Finanzialisierung des Kapitalismus, welche das Ende des Industriekapitalismus einläuten, auch die Fokussierung auf einen neuartig «kreditbasierten Konsumkapitalismus» und die Explosion des Schuldenstaats greifen nach Haug zu kurz. Sie ließen die grundsätzliche Entwicklungsdialektik von hochtechnologischen Produktivkräften und transnationalen Produktionsverhältnissen in bemerkenswerter Weise beiseite. Für ihn geht es um den «Hightech-Kapitalismus» und seine Durchsetzung seit den 1970er Jahren. Haug beschreibt folglich eine Periodisierung, bei der der Hightech-Kapitalismus den Fordismus ablöst – nicht der Neoliberalismus oder Finanzmarktkapitalismus.

In der gegenwärtigen Krise sieht er eine Umbruch- und Durchsetzungskrise eines hochtechnologischen Kapitalismus. Im Zuge dieses Umbruchs bilde sich eine neue Hegemoniekonstellation heraus: An die Stelle der führenden Nationalstaaten trete ein Imperium des transnationalen Kapitalismus: «Die konkurrierenden Kapitalinteressen werden im Zeichen der Verlagerung der Brennpunkte des Verwertungsprozesses auf den Weltmarkt nur mehr partiell von den Nationalstaaten gebündelt. Quer zu diesen dehnt sich eine Form globaler Herrschaft im Interesse des transnationalen Kapitals aus, die von den Einrichtungen der Weltmarktregulation flankiert ist und als deren bewaffneter Arm zunächst vor allem der US-Militärapparat und die NATO fungierten (…). Dieses transversale Herrschaftsgebiet ist es, was wir als Imperium des transnationalen Kapitals beschrieben haben.» (S.250)

RAINER RILLING IST FELLOW AM INSTITUT FÜR GESELLSCHAFTSANALYSE DER ROSA-LUXEMBURG-STIFTUNG

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Hightech-Kapitalismus in der großen Krise

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