Dokumentation «Stürmischer Herbst. Wendezeit 1989»

«Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System»: Eine Konferenz aus Anlass des 25. Jahrestages des außerordentlichen Parteitags der SED/PDS im Dezember 1989.

Information

Veranstaltungsort

Jerusalem-Kirche
Lindenstraße 85
10969 Berlin

Zeit

27.11.2014 - 28.11.2014

Mit

Dietmar Bartsch, Michael Brie, Ellen Brombacher, Daniela Dahn, Peter-Michael Diestel, Dagmar Enkelmann, Gregor Gysi, Dieter Klein, Igor Maximytschew, Steffen Reiche, Sahra Wagenknecht, Bernd Riexinger u. a.

Themenbereiche

Geschichte, Parteien- / Bewegungsgeschichte, Deutsche / Europäische Geschichte, Soziale Bewegungen / Organisierung, 30 Jahre 89/90

«Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System». Unter diesem Motto fand, im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Stürmischer Herbst», am 27. und 28. November dieses Jahres in der Berliner Jerusalemkirche eine Konferenz aus Anlass des 25. Jahrestages des Sonderparteitags der SED/PDS im Dezember 1989 statt. Eingeladen hatten die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Michael-Schumann-Stiftung, die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, die Fraktion DIE LINKE. im Landtag Brandenburg sowie die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg.

Während eines Podiumsgesprächs am Abend des 27. November und dreier Diskussionsrunden am Tag darauf debattierten ehemalige Delegierte des Sonderparteitags, Wissenschaftler und Journalisten, die den Umbruchprozess 1989 auf ihre je spezifische Weise begleitet hatten, sowie jüngere Funktionäre der Partei DIE LINKE., die zwar selbst nicht an den damaligen Prozessen beteiligt waren, da entweder zu jung (wie Katja Kipping oder Sahra Wagenknecht) und/oder den westlichen Teilen des nachmals vereinten Deutschlands entstammend (Bernd Riexinger), über Ursachen der Krise des Sozialismus, die Rolle der SED darin, die Entwicklung der SED/PDS in und nach der Wende sowie linke Perspektiven der Partei DIE LINKE. im derzeitigen und absehbaren politischen Umfeld.


Der Außerordentliche Parteitag der SED/PDS war sowohl in der Geschichte der SED als auch in der Entstehungsgeschichte der PDS ein singuläres Ereignis. Erstmals wurde ein Sonderparteitag von der Mitgliedschaft erzwungen. Zugleich ging es um einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit des Staatssozialismus in der DDR und mit dem strukturellen Stalinismus der SED. Schließlich war der Sonderparteitag der erste Schritt auf einem langen Weg zu einer Modernisierung. Was bis heute Wirkung hinterließ, war der vom Parteitag ausgehende «antistalinistische Grundkonsens». Zeitzeugen aus der Politik erinnern sich, Wissenschaftler tauschen ihre Meinungen aus, Parteitagsdelegierte blicken nochmals zurück und Journalisten aus Ost und West werten, was geschah und Folgen hinterließ – all dies 25 Jahre nach den Ereignissen des Wendeherbstes von 1989.

Nach einem Vierteljahrhundert wurden auf der Konferenz drei Themenfelder diskutiert:

  • Ursachen der Entstehung des sowjetisch geprägten Staatssozialismus und die Gründe seines Scheiterns
  • Aktuelle Krise des Kapitalismus und der von ihm geprägten Zivilisation
  • Programmatische Erneuerung der Linken.

27. November 2014, 18 bis 20:30 Uhr:

28. November 2014, 10 bis 18 Uhr:

Eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe «Stürmischer Herbst. Wendezeit 1989».

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Eröffnet wurde die Tagung von Dagmar Enkelmann, die auf die großen Veränderungen der Partei seit 1989 verwies, was nicht zuletzt an der deutlich höheren Zahl von Frauen in repräsentativen politischen Funktionen ablesbar sei. In dem abendlichen, von Detlef Nakath und Gerd-Rüdiger Stephan moderierten Podiumsgespräch erinnerten sich Peter-Michael Diestel, Gregor Gysi, Steffen Reiche und Roland Wötzel auf sehr persönliche Weise an die Wendezeit, während Igor Maximytschew, zum damaligen Zeitpunkt Gesandter an der Sowjetischen Botschaft, auf die politische Situation in der Sowjetunion und die Haltung sowjetischer Politiker, insbesondere Michail Gorbatschows, verwies, die entscheidenden Einfluss auf die Umbrüche in der DDR hatten, die SED eingeschlossen.

In der von Dagmar Enkelmann moderierten Diskussionsrunde stellten Dieter Klein und Rolf Reißig Konzepte zur Transformation vor, mit welchen sie gegenwärtige und mögliche künftige Umbrüche in den sog. westlichen Gesellschaften zu erfassen bzw. zu prognostizieren suchen. Auf die aktuelle Debatte zum «Unrechtsstaat» gingen, mit unterschiedlichen Akzenten, Michael Brie, Daniela Dahn und Sahra Wagenknecht ein. Während Michael Brie sich gegen die globale Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat wandte, da der Begriff unscharf und weder die politische noch die Rechtslage in diesem untergegangenen Land zu erfassen in der Lage sei,[1] akzentuierte Sahra Wagenknecht, dass es bei den derzeitigen Diskussionen um den Unrechtsstaat im eigentlichen Sinne nicht um die Auseinandersetzung mit der DDR, also mit der Vergangenheit, gehe, sondern um sehr Gegenwärtiges, nämlich die Rolle der Partei DIE LINKE. im politischen System der Bundesrepublik. Damit handele es sich de facto um einen Kampfbegriff, was auch Daniela Dahn betonte. Allerdings sei es, so Wagenknecht, in den 1970er/1980er Jahren in der DDR schon, und zwar auf der Basis nicht ausreichender Wirtschaftskraft, zu repressiven Tendenzen von Seiten des Staates gekommen, mittels derer versucht wurde, die sich aus nichtbefriedigten Bedürfnissen entwickelnde Unzufriedenheit der Menschen in den Griff zu bekommen.

In der anschließenden, von Heinz Vietze moderierten Diskussionsrunde gaben ehemalige Parteitagsdelegierte ihre jeweils sehr spezifischen Erinnerungen an den Parteitag preis, und es war merklich, dass der unterschiedliche Entwicklungsweg von Persönlichkeiten wie Dietmar Bartsch, Wolfgang Berghofer, Ellen Brombacher, Roland Claus und Herbert Kroker nach der Wende die Sicht auf die damaligen Ereignisse zumindest mitprägt.

In der letzten Diskussionsrunde tauschten sich, moderiert von Brigitte Zimmermann, die Journalisten Hans-Jürgen Börner, Thomas Falkner und Jörg Hafkemeyer über die Berichterstattung über die Wendeereignisse in Print- und anderen Medien aus. Protest löste die Bemerkung Hafkemeyers aus, in der DDR habe es nur Propagandisten gegeben, keine Journalisten. Tom Strohschneider, selbst zu jung, um bereits damals politisch aktiv gewesen zu sein, ging auf den «Wendehype» in den diversen Medien im Herbst dieses Jahres und auf die darin virulente Auseinandersetzung mit der DDR ein.

Bei allen Auseinandersetzungen um die DDR, die Rolle der SED und anderer Institutionen und Organisationen darin, so Heinz Vietze, sollte es aber stets einen solchen Umgang mit der Vergangenheit geben, dass die Würde der einzelnen Persönlichkeiten nicht infrage gestellt wird, was allerdings in der Zeit nach 1989 immer wieder geschehen sei und derzeit noch geschehe.  Dabei zitierte er folgenden Satz aus der Rede Michael Schumanns auf dem Sonderparteitag: «Aber die Bürger unseres Landes und die Mitglieder unserer Partei, die sich allzeit guten Glaubens mit Herz und Hand für den Sozialismus auf deutschem Boden eingesetzt haben, brauchen die Gewissheit, dass sie eine gute Spur in der Geschichte gezogen haben»[2].

Zum Abschluss der Tagung betonte Katja Kipping die Notwendigkeit einer konsequenten Auseinandersetzung der Partei DIE LINKE. mit der eigenen Vergangenheit, um den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft selbstbewusst entgegen gehen zu können.

Effi Böhlke und Gerd-Rüdiger Stephan

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[1] Vgl. den Aufsatz von Michael Brie: Gauck, meine Katze und das Unrechtsregime, im ND vom 1.12.2014. Hier der Link: http://www.neues-deutschland.de/artikel/954024.gauck-meine-katze-und-das-unrechtsregime.html

[2] Hier zitiert nach: Michael Schumann: Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System.  Reprint. WeltTrends 2014, S. 8.

Mediathek

Von der Wende zum Ende

Von der Wende zum Ende

Einführung Heinz Vietze

Von der «Reform des Sozialismus» zu einer gesellschaftlichen Erneuerung im europäischen Maßstab

Delegierte des Parteitages zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Linken

Der Bruch mit dem Stalinismus – journalistische und publizistische Sichten gestern und heute

Schlusswort durch Katja Kipping