Dokumentation Der verpasste Frühling

Woran die Arabellion gescheitert ist. Buchvorstellung, Marionettenspiel und Gespräch mit Julia Gerlach, Rania Shahin und Soha Saad.

Information

Zeit

25.01.2016

Veranstalter

Verena Liebel,

Mit

Julia Gerlach, Rania Schahin, Soha Saad, Tanja Tabbara

Themenbereiche

Ungleichheit / Soziale Kämpfe, Soziale Bewegungen / Organisierung, Krieg / Frieden, Westasien im Fokus

 

Über 120 Gäste im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung und noch ca. 30 weitere, die aus Platzgründen nicht mehr in den Raum gelassen werden konnten und dann die Veranstaltung vor offenen Türen verfolgten: mit einem solchen Andrang hatten die Organisatorinnen der Veranstaltung «Der verpasste Frühling» nicht gerechnet. Sarkastische Stimmen aus dem Publikum ließen verlauten, dass hier wohl mehr Menschen zusammenkämen, um über die ägyptische Revolution vor fünf Jahren zu diskutieren, als es zum selben Zeitpunkt in Kairo seien.

Der ägyptische Humor – auch in Zeiten politischer Desillusion, lässt zumindest er sich nicht unterkriegen. Wie weitgehend humorfrei die derzeitige politische und gesellschaftliche Lage in Ägypten faktisch jedoch ist, schilderte Autorin Julia Gerlach. Sie stellte am Abend des 25.1. ihr neues Buch «Der verpasste Frühling – woran die Arabellion gescheitert ist» (erschienen beim Ch. Links Verlag) vor. Darin zeichnet die seit vielen Jahren als Korrespondentin verschiedener deutscher Tageszeitungen arbeitende Gerlach den Verlauf der Revolution und der Zeit danach anhand von sehr persönlichen Porträts einiger Persönlichkeiten nach.

Seit dem Sturz Mubaraks im Januar 2011, Verfassungsreferendum, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012 ist viel passiert. Der erste frei gewählte Präsident Mohamed Mursi wurde gestürzt und durch ein Militärregime ersetzt, die zwischenzeitlich staatspolitisch etablierte Muslimbruderschaft zurück in die Illegalität gedrängt, große Teile ihrer Mitglieder getötet oder inhaftiert. Die Bevölkerung – in den ersten Monaten des Jahres 2011 noch solidarisch und eng zusammenstehend, ist mittlerweile tief gespalten und einander misstrauisch eingestellt – anhand religiöser, aber auch politischer Trennungslinien. Ökonomisch geht es einem Großteil der Menschen heute schlechter als es unter Hosni Mubarak der Fall war. Politischer (oppositioneller) Aktivismus wird im Ansatz verboten, die Arbeit von kritischen Nicht-Regierungsorganisationen oder Vereinen verhindert, unterbunden oder illegalisiert. Viele politische und kulturelle Akteure sind verschwunden, inhaftiert oder emigriert. Diejenigen, die noch im Land verblieben sind, verhalten sich zumeist unauffällig, zu groß ist inzwischen die Gefahr, von Sicherheitsbehörden abgeholt, verhört oder festgehalten zu werden.

Doch entgegen der derzeitigen, in vielerlei Hinsicht fatalen Situation, ist die Meinung, dass die Revolution gescheitert sei, nicht Konsens. Im Gegenteil: wie auch in Gerlachs Buch Aktivistinnen zu Wort kommen, die die derzeitige Lage zwar schlecht, aber als neue Herausforderung sehen, meldeten sich auch im Publikum der Veranstaltung in Berlin Stimmen, die vor allem die durch die Revolution von 2011 gewonnenen Erkenntnisse, Politisierungen, Bewusstsein für soziale (Un)Gerechtigkeit betonten. Und wenn sich auch der Rahmen, in dem politischer Aktivismus möglich ist, enorm verengt hat, so gebe es doch (nach wie vor) kulturelle Schlupflöcher, wo Kritik an gesellschaftlichen Missständen, politischer Willkür oder repressiven Sicherheitsorganen möglich sei.

Am Veranstaltungsabend in Berlin waren zwei Akteurinnen der (gesellschaftskritischen) Kulturszene aus Kairo zu Gast, die einen kurzen Einblick in ihre Arbeit gaben. Rania Shahin, Gründerin des «El Pergola Puppet Theatre» und ihre Kollegin Soha Saad spielten mit ihren aus Kairo mitgebrachten Marionetten eine Szene aus «Die Straße ist ein Königreich, Bruder». In dem Stück geht es um die ökonomischen und sozialen Zwänge, denen Menschen aus armen Verhältnissen in Kairo ausgesetzt sind und deren Ausweg oftmals nur das Leben auf der Straße ist, wo sie zum Spielball rivalisierender Banden werden.

Das El Pergola Theater tritt in Ägypten zumeist im öffentlichen Raum auf und versucht, mit der lokalen Bevölkerung ins Gespräch und Diskussion zu kommen, um sie spielerisch und verständlich über ihre Rechte aufzuklären. Shahin, von Haus aus Menschenrechtsanwältin, gab zusätzlich einen kleinen Einblick in ihre Arbeit als Anwältin, die ihr immer wieder auch für die eigene Arbeit nützlich ist. Dass es nicht unproblematisch für die beiden Puppenspielerinnen war, in Berlin aufzutreten, zeigte sich auch an ausweichenden Antworten auf Fragen aus dem Publikum zur «Brisanz» ihres Aufenthaltes in Berlin: nein, ins Gefängnis wolle sie nicht noch einmal, vor allem nicht jetzt im Winter, dort gäbe es nämlich keine Heizung. Da war er wieder, der ägyptische Humor.

Moderation: Tanja Tabbara, Referatsleiterin Afrika, Rosa-Luxemburg-Stiftung