Dokumentation Genug für Alle - sozial.öko.logisch

Stiftung befeuert mit einer Tagung in Essen eine breite gesellschaftliche Debatte um sozialökologische Transformation

Information

Veranstaltungsort

Zeche Zollverein
Gelsenkirchener Str. 181
45309 Essen

Zeit

27.01.2017 - 28.01.2017

Veranstalter

Steffen Kühne,

Themenbereiche

Sozialökologischer Umbau, Gesellschaftliche Alternativen, Klimagerechtigkeit

Panel auf Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Bundestagsfraktion DIE LINKE zum sozial-ökologischen Umbau in Essen, 27./28.1.2017

Allein schon der Auftakt des zweitägigen Kongresses «Genug für alle - Sozial.öko.logisch» Ende Januar in der Essener Zeche Zollverein war ein Statement der besonderen Art: Keine großen Reden und keine Podiums-Runde standen am Anfang, sondern unter dem Titel «Bunt, Aktiv, Global» eine vielseitige Schau aufsehenerregender Aktionen, Initiativen und Projekte der letzten Jahren, die sich gegen die Macht der großen Energiekonzern richtete.

So erinnerte Niema Mossavat von der Fraktion DIE LINKE an die mehr als hundertjährige Geschichte des Tagungsorts, der Zeche Zollverein, dem Weltkulturerbe des Ruhrgebietes. Bis 1986 war in der einst weltgrößten Steinkohlezeche der fossile Brennstoff gefördert worden. Die Kohle, einst Motor des wirtschaftlichen Aufschwunges in Deutschland, gefährdet heute das Weltklima und damit die Zukunft. 

Dann rückten - zumindest auf der Bühne - die Tagebau-Besetzungen von "Ende Gelände" ganz nah an den Protest gegen «Stuttgart 21» heran - Widerstand gegen undemokratische Großtechnologien und -Vorhaben lautete der gemeinsame Nenner.

Michael Efler, ehemals «Berliner Energietisch» und jetzt energiepolitischer Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte von einem anderen Kampf zu berichten, dem gegen die Reprivatisierung des hauptstädtischen Stromnetzes. Einst war es im Besitz der Berliner Stadtwerke gewesen und war dann an den Vattenfall-Konzern verscherbelt worden. Die Privatisierungswelle, die es zu der Zeit in ganz Deutschland gab, hatte Berlin nicht verschont und machte vor nahezu kaum einem kommunalen Besitzstand Halt. Ob Wasser, Strom oder Gas, nahezu alles, was zur Daseinsvorsorge gehört, sei verkauft worden, sagte Efler.

Der neue rot-rot-grüne Senats will nun das Berliner Stadtwerk revitalisieren und das Stromnetz in einem «demokratisch-antizipativen» Prozess rekommunalisieren. Geprüft werden auch Sozialtarife.

Und wieder wechselten die Akteure auf der Bühne und erinnerten nun an eine der größten Demos, die es in Deutschland je gegeben hat: Rund 250.000 Menschen waren im letzten Herbst nach Berlin gefahren, um sich gegen die umstrittenen Freihandels-Abkommen TTIP und CETA zu wehren und sich für einen fairen Welthandel und faire Arbeitsbedingungen einzusetzen. 

Der multimediale Einstieg stellte, so empfand es die Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dr. Dagmar Enkelmann, eine enge Verbindung zwischen der strategisch-konzeptionellen Debatte um eine ökologische Transformation  zu den Akteuren her, die vor Ort wirklich aktiv sind. Wenn man sich bewegt, kann man auch etwas verändern, gab Enkelmann einen weit verbreiteten Eindruck wieder.

Der «Genug für alle»-Kongress öffnete an beiden Tagen einen weiten Horizont von Klimagerechtigkeit, sozialer Umverteilung, Energiewende unter demokratischer Kontrolle und von dezentraler Energieversorgung durch einen Energie-Mix. Es gab Kritik am Ausspielen der sozialen gegen die ökologische Frage, an  Politikverdrossenheit und dem Wachstumsglauben, es ging um eine  "Restrukturierung" der öffentlichen Daseinsvorsorge, die bedarfsorientiert sein muss und bei der Profit und Wettbewerb nichts verloren haben. 
 
Einen großen Stellenwert nahm auch die Energie-Bürgerbewegung ein. Der auf Ausbeutung getrimmte Kapitalismus, der auf Mensch und Natur keine Rücksicht nimmt, gebe genügend Anlass, so die einhellige Ansicht, das große Potential der Bürgerbewegung für die sozial-ökologische Transformation zu nutzen. 

Der LINKEN-Vorsitzende Bernd Riexinger gab in Essen ein klares Bekenntnis zum nötigen sozial-ökologischen Umbau ab. Für ihn bedeute das zum Beispiel konkret, den Schadstoffausstoß gerade in Ballungsgebieten zu verringern, indem man einen Fahrscheinlosen öffentlichen Personen Nahverkehrs einführt. Auch für Riexinger gehörten Stadtwerke in kommunale Hand und müssen Stromsozialtarife geschaffen werden. Die Linke vertrete keinen grünen Kapitalismus, sondern müsse dessen Folgen verhindern, betonte er.

Hatten sich am ersten Kongressabend schon 250 Teilnehmende aus ganz Deutschland in der Zeche Zollverein eingefunden, kamen am Samstag mehr als 400 Menschen zur Tagung. Die Resonanz auf den Kongress, darin waren sich am Ende alle einig, war viel größer als erwartet. 

Nur ein kleinerer Teil der Teilnehmende sei dabei, so der Eindruck von Dagmar Enkelmann, aus dem engeren linken Spektrum gekommen, der größere aus Bewegungen, die sich in ganz anderen Zusammenhängen dem Thema nähern. «Dass es tatsächlich gelang, diese Menschen zusammenzubringen, gemeinsam zu diskutieren und zu Ergebnissen zu kommen - das war ein großer Vorzug dieser Konferenz», betont sie. Das zeige, dass die Linke in diese Debatte weitergekommen ist.

Aus Sicht der RLS-Vorsitzenden traf die sozialökologische Konferenz den Nerv der Zeit. Allerdings hätte man schneller dahin kommen können. «Vor vier Jahren hatten wir im Hause unserer Stiftung bereits eine ähnliche Konferenz gemacht und haben schon zu der Zeit gespürt, dass wir am Themen arbeiten, die viele der Menschen bewegen, die sich im weitesten Sinne als Linke verstehen und die im Umweltbereich oder in sozialen Bewegungen tätig sind», erinnerte sich Enkelmann. Leider habe man dann zu viel Zeit bis zur Konferenz jetzt in Essen verstreichen lassen.

Einhelliger Höhepunkt der Essener Tage war der Vortrag des Direktors des Potsdamer Klimaforschungsinstituts PIK, Hans Joachim Schellnhuber, und die anschließende Debatte mit Katja Kipping. Der weltweit renommierte Wissenschaftler zeichnete in seinem Vortrag die drei großen Trends der Zeit nach: Die wachsende Ungleichheit, die Digitalisierung und den Klimawandel.

Dass Schellnhuber die Ungleichheit explizit mit einband, ist für Dagmar Enkelmann ein wichtiger Hinweis. Die Linke sage ja oft, Soziales und Ökologisches gehörten zusammen, das bleib aber oft eine Worthülse. «Die Konferenz zeigte konkret, welche Fragen sich tatsächlich alle andocken lassen an die sozialökologische Transformation - Fragen von Eigentum, von Wirtschaft, von Stadtentwicklung und Regionalplanung, von Steuerpolitik und andere mehr», betont die RLS-Vorsitzenden. 

Schellnhubers Plädoyer, mit kaum mehr als 20 Jahren bleibe nicht mehr viel Zeit, um den Klimawandel noch zu stoppen, beeindruckte auch Katja Kipping. Sie wies aber auch darauf hin, dass es bei ökologischen Fortschritten - wie die Geschichte des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes zeige - immer noch eine offene «sozial Flanke» gebe. Diese «Achillesferse» dürfe man sich bei grundlegenden wie nachhaltigen Umwälzungen nicht länger leisten. Die Linke, sagte sie, könne sich aber nicht nur darauf berufen, dass man den Kapitalismus als Verursacher ökologischer Probleme abschaffen wolle, sondern sie müsse schon jetzt und möglichst schnell praktikable Lösungen anbieten. Kipping appellierte hier auch an die gesellschaftliche Fantasie.

Ein Streitpunkt zwischen dem Wissenschaftler und der Politikern blieb, ob die Energiewende an sich nicht auch bereits zu demokratischen, wenn nicht sogar kapitalismusverändernden Verhältnissen führt, wenn zum Beispiels statt weniger großer Konzerne künftig Millionen kleiner Energieerzeuger das Sagen haben. Für Schellnhuber hat nicht der Kapitalismus die Nutzung der fossilen Energien, sondern diese haben eher den Kapitalismus hervorgebracht. Wenn jeder selbst genügend Energie aus seiner Umwelt ziehen könnte, würde das das ganze System umwälzen, ist er sich sicher.

Den Kongress, so Kipping, sehe sie als eine Art «Zwischenberatung» für die nächsten ökologisch-sozialen Debatten in der Linken. Das sieht auch Dagmar Enkelmann so. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung wolle dazu den Gesprächskreis zur sozialökologischen Transformation wiederzubeleben. «Der hat ein wenig im Dornröschenschlaf gelegen», sagte Enkelmann selbstkritisch. Auch gelt es, die Themenachse zur sozialökologischen Transformation zu stärken, indem mehr als bisher externer Sachverstand eingebunden wird. Auch die Weltklimagipfel werden von der Stiftung weiter aktiv begleitet werden. Bei kommenden im November in Bonn werde man zusammen mit der Landesstiftung Nordrhein-Westfalen vor Ort präsent sein.

Mehr: www.sozial-oeko-logisch.de