Ich will alles festhalten, von Anfang an – bevor die Jahre den Blick, der sich zurückwendet, trüben. Bevor sie den Lärm der Stimmen und Waffen dämpfen, das Lachen und die Schreie…
Mit diesen Worten verkündet der Erzähler bereits zu Beginn der Szenischen Lesung seine Intention. Er möchte schonungslos die aufreibenden Geschichten erzählen, die er zwischen 1517 und 1555 erlebt hat.
Thomas Ebermann und Berthold Brunner inszenierten im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung anlässlich des Reformations-Jubiläums und als Beitrag zum Kirchentag eine szenische Lesung auf Grundlage des Romans «Q» von Luther Blissett. Es ist deutschlandweit der erste Versuch, die Themen des 800-seitigen historischen Thrillers auf einer Theaterbühne darzustellen. Die Premiere besuchten am 22. Mai 2017 im Festsaal Kreuzberg rund 250 Zuschauende.
Bevor die zweieinhalbstündige szenische Lesung beginnt, betritt Thomas Ebermann die Bühne. Mit seiner tiefen, ruhigen Stimme erklärt er den aufmerksamen Zuschauer*innen die Besonderheiten des Werkes. Im Gegensatz zu dem Roman gibt es beispielsweise die zentrale Frauenrolle Beatriz, welche sich nicht davor scheut, kritische Bemerkungen zu äußern. Diese Frauenrolle, gespielt von Ruth Marie Kröger, soll auch den Zuschauer*innen dabei helfen, den Geschehnissen auf der Bühne besser folgen zu können.
Deutschlandweit finden weitere Aufführungen statt, die Termine werden hier laufend aktualisiert:
- Freitag, 13. April im Kafe Marat in München
- Samstag, 14. April im Bahnhof Langendreer in Bochum
Trailer Q – Szenische Lesung
Nach der kurzweiligen Einführung durch Thomas Ebermann beginnt die szenische Lesung. Der Erzähler, gespielt von Matthias Kelle, betritt gemeinsam mit Beatriz die Bühne. Sie setzen sich an einen Tisch, auf welchem Datteln und Weintrauben liegen. Diese Requisiten stellen gemeinsam mit einem dahinterstehenden Sofa und einer Palme auf dem rechten Bühnendrittel das Jahr 1555 in Konstantinopel dar. Von dort aus führen die beiden Figuren das Publikum retrospektiv durch die Erlebnisse des Erzählers.
Auf dem linken Bühnendrittel befinden sich, zur örtlichen und zeitlichen Abgrenzung der verschiedenen Ereignisse, ein päpstlicher Stuhl und ein goldgerahmtes Porträt Ratzingers. Von hier aus liest der spätere Papst Carafa, gespielt von Denis Moschitto, die Briefe seines Spions Q vor.
Alles gehört allen!
Während der Erzähler das Credo «Alles gehört allen!» verkündet und damit für das radikale Gleichheitsversprechen des reformierten Glaubens kämpft, setzt sein Widersacher und Verfolger Q alles daran, diese Bestrebungen zu verhindern und stattdessen die Macht und Lehre der katholischen Kirche zu verteidigen.
Der Erzähler, ein junger Theologiestudenten und Unterstützer Thomas Müntzers, führt die Zuschauer*innen von Wittenberg, über Mühlhausen und Münster, bis nach Antwerpen und Italien.
In der Bühnenmitte nehmen die verschiedensten Figuren aus den Erzählungen Gestalt an. Insbesondere wechselt der vierte Schauspieler des Ensembles, Sebastian Straub, häufig seine Rollen. Er verkörpert verschiedenste Figuren während der Reformation und der Gegenreformation, in Bauernkriegen und als Wiedertäufer, als Prediger und Trunkenbold.
Neben der Bühnengestaltung werden in der szenischen Lesung kaum Requisiten verwendet. Außer einer Papstmütze und einer funkelnde Halskette ist die Kleidung auffällig unauffällig. Das ermöglicht den Zuschauenden, die häufigen Rollenwechsel schnell zu verstehen. Es genügt ein Fingerzeig auf den Schauspieler mit der Nennung seiner Rolle und schon ist aus dem Papst ein Zuhälter geworden.
Fotos der Q-Premiere am 22. Mai 2017 in Berlin
Wittenberg wird auch in 500 Jahren hässlich sein.
Trotz der spannungsgeladenen und oftmals brutalen Geschichten ist es den Autoren der szenischen Lesung auch gelungen, das Publikum zum Lachen zu bringen. So unterhalten sich Beatriz und der Erzähler beispielsweise im Jahre 1555 über die Zukunft Wittenbergs, wobei Letzterer sich sehr sicher ist: «Wittenberg wird auch in 500 Jahren hässlich sein.»
Als zwischenzeitlich das Mikrofon ausfällt, reagiert die Künstlergruppe sehr gelassen und entscheidet sich schnell dazu, einfach weiter zu spielen. Aufgrund der aufmerksamen und gespannten Stimmung des Publikums ist es problemlos möglich, dem Stück weiter zu folgen.
Zum Schluss wird applaudiert, das Ensemble und die Autoren der szenischen Lesung versammeln sich auf der Bühne und verbeugen sich bescheiden. Der Versuch, einen gewaltigen Roman szenisch umzusetzen, ist geglückt.
Am 17. Juni wird es im Grünen Salon in Berlin eine weitere Aufführung geben. In Hinblick darauf bat Thomas Ebermann das Publikum: «Wenn es Ihnen gefallen hat, schicken Sie Ihre Freunde. Falls nicht, schicken Sie Ihre Verwandten.»
Text: Mareike Heiss
Von der ungebrochenen Freude an der Rebellion
Der linke Publizist Thomas Ebermann hat den Roman »Q« von Luther Blissett als szenische Lesung auf die Bühne gebracht
Von Ruth Oppl, Neues Deutschland, 24.10.2017
Q. Gespräch mit Thomas Ebermann aus Anlass einer szenische Lesung des Romans von Luther Blissett
Interview des freien Radios Corax Halle
Verdient der Reaktionär und Antisemit Luther einen Feiertag?
Dagegen aber die Muslime in Deutschland nicht? Wenn es um arbeitsfreie Tage geht, gäbe es sicher viele andere Anlässe
Von Peter Nowak, Telepois, 31.10.2017