65 Leute füllten den Willi-Bleicher-Saal im Frankfurter Gewerkschaftshaus am 17.Juni 2017 – gewerkschaftliche Aktive aus Betrieben, WissenschaftlerInnen und FunktionärInnen aus den Gewerkschaftszentralen. »Digitale Revolution – wer sagt, wo‘s langgeht?«, war der Titel der Konferenz, zu der RLS, IG Metall und ver.di eingeladen hatten. Damit war schon mal angedeutet, »dass nicht alles konfliktfrei läuft und auch etwas mit Machtstrukturen zu tun hat«, wie Sabine Pfeiffer, Soziologieprofessorin an der Uni Hohenheim, in ihrer Keynote betonte.
Wenn seit einem halben Jahrzehnt in Deutschland kaum eine wirtschaftspolitische Debatte ohne den Verweis auf »Industrie 4.0« auskommt, sei das nicht zuletzt einem professionellen Agenda-Building von Think-tanks wie dem World Economic Forum oder PR-Agenturen wie Roland Berger geschuldet, so Pfeiffer. Letztere hätten sogar die entsprechende Road Map für die Politik formuliert. Der Staat soll in diesem Szenario vor allem:
- das Thema in den Köpfen verankern,
- die nötige Infrastruktur bereitstellen (Breitbandausbau),
- politische Plattformen zur Vernetzung von Akteuren schaffen,
- für die Deregulierung von Arbeit sorgen.
Vor allem den letzten Punkt sehen GewerkschafterInnen kritisch. Digitalisierung sei »eher eine Klassen- als eine Technikfrage«, meinte Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, der die zweite Keynote präsentierte. Die real stattfindende »kapitalistische Digitalisierung« sei nicht nur rentabilitätsgetrieben, sondern für die Beschäftigten weitgehend fremdbestimmt: Drei Viertel aller Beschäftigten gaben bei Umfragen an, gar nicht oder nur in geringem Maß Einfluss auf die Art und Weise des Einsatzes der Digitalen Technik an Ihrem Arbeitsplatz nehmen zu können. Dem entgegen setzte Urban den Begriff der »Digitalen Humanisierung« als möglichen Leitbegriff einer politischen Alternative. Diesen müssten erkämpft werden, wobei Urban, Paul Mason zitierend , einräumte, dass wir »kein Modell für den Übergang« haben.
In zwei Workshops wurden Erfahrungen mit dem Einsatz digitaler Technologien in Industrie und Dienstleistungssektor, insbesondere im Gesundheitswesen diskutiert. Stefan Härtel, Betriebsratsvorsitzender am Klinikum Frankfurt/Oder stellte Erfahrungen aus Japan vor, wo der Einsatz von Robotern in der Alten- und Krankenpflege weit fortgeschritten ist. Letztlich müsse die Frage beantwortet werden, wo dem Einsatz von Technik in der Pflege »Grenzen gesetzt« werden, so Härtel. Dies könne nur unter Beteiligung von Patienten, Pflegebedürftigen und Pflegenden geschehen.
Auch Florian Butollo, Soziologe von der Uni Jena, plädierte dafür, sich Gestaltungsoptionen nicht zu verweigern«, warnte aber vor unrealistischen Illusionen in die tatsächlichen Machtkonstellationen und Interessenlagen. Soll Digitalisierung nicht allein kapitalistischer Logik folgen, bleibe gewerkschaftliche Durchsetzungsmacht die »entscheidende Währung« dafür, dies durchzusetzen. Hier hakte Michael Heldt, IG BCE-Vertrauensleuteleiter bei einem hessischen Kunststoffhersteller ein. Gegenmacht, so Heldt, müsse vor allem über Aufbau und Stärkung aktiver und konfliktbereiter gewerkschaftlicher Kerne in den Betrieben erfolgen. Betriebsräte seien hierfür nicht die erste Adresse.
Dennoch können sie eine wichtige Rolle spielen, wie im Workshop von Adrian Mengay und Maike Pricelius deutlich wurde. Auch wenn das Betriebsverfassungsgesetz nicht perfekt ist, bietet es, intelligent genutzt, eine Vielzahl von Einflussmöglichkeiten – etwa beim Einsatz digitaler Technik, die zur Überwachung und Leistungskontrolle geeignet ist.
Wie nun könnte eine Strategie aussehen, mit der die Gewerkschaften aus der »Falle des Agenda-Buildings« der Unternehmer herauskommen? Darüber diskutierten zum Abschluss Felix Stumpf Bereichsleiter Arbeitsgestaltungs- und Qualifizierungspolitik beim Vorstand der IG Metall, Nadine Müller, Referentin für Gute Arbeit und Innovation bei ver.di und Christian Krähling, ver.di-Vertrauensmann bei Amazon Bad Hersfeld. Dass es auch hier mehr Fragen als Antworten gab, lag in der Natur der Sache. Einig war man sich, dass Auseinandersetzung um die Themen Überwachung und Controlling, Leistungsverdichtung (etwa durch Algorithmen) und Arbeitszeit zunehmen werden werden. Gewerkschaften müssten sich offensiv in diese Konflikte einbringen, betonte Krähling, »und dabei eine Sprache finden, die die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben verstehen«.