Etwa 180 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter diskutierten auf der gewerkschaftspolitischen Aktionskonferenz «Gemeinsam stark!» von Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Bundestagsfraktion DIE LINKE am 20. Oktober in Kassel über die Kräfteverhältnisse nach der Bundestagswahl.
Die gewerkschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Jutta Krellmann, begrüßte die Versammelten: «Lasst uns gemeinsam über die Durchsetzungsperspektiven für die Themen der Beschäftigten unter einer Jamaika-Koalition diskutieren». Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter könnten sich auf die Unterstützung der Fraktion in ihren Arbeitskämpfen verlassen.
«Gewerkschaften müssen auch das große Ziel einer grundlegenden Veränderung verfolgen», stellte Sybille Stamm aus dem Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung in ihrem kurzen Eingangsstatement klar, in dem sie die schleichende Entpolitisierung der Gewerkschaften kritisierte. Sie warb dafür, das politische Mandat offensiv zu nutzen und weitere Schritte der gewerkschaftlichen Erneuerung zu gehen.
Nicole Mayer-Ahuja, Direktorin am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen, referierte über die jahrelange Deregulierung des Arbeitsmarktes unter anderem durch die Maßnahmen der Agenda 2010 unter der Regierung Schröder/Fischer. Sie betonte die Notwendigkeit einer Leitidee für eine neue Regulierung im Sinne der Beschäftigten. Ein so verstandenes Konzept eines «neuen Normalarbeitsverhältnisses» könne eine wichtige strategische Perspektive für die Gewerkschaften bieten und als Klammer verschiedener Kämpfe fungieren.
In der Debatte nahmen viele TeilnehmerInnen positiv Bezug auf diese Leitidee und unterfütterten und ergänzten sie mit eigenen Erfahrungen. Als Leerstelle wurde dagegen vor allem das Thema Ökologie genannt, das verstärkt von der LINKEN und den Gewerkschaften aufgegriffen werden müsse.
In Arbeitsgruppen zu den Themen Rente, Arbeitszeitverkürzung, prekäre Beschäftigung, Ausbau öffentlicher Daseinsfürsorge und Umgang mit Rassismus in Betrieb und Gewerkschaft wurden konkrete Handlungsperspektiven diskutiert. Verschiedene Anregungen für die Arbeit der Fraktion DIE LINKE in der kommenden Legislaturperiode gingen aus den Arbeitsgruppen hervor. Insbesondere wichtig war den Kolleginnen und Kollegen der politische Einsatz der Fraktion für eine Änderung des gesellschaftlichen Klimas, um langfristig die Privatisierungen der Altersvorsorge und öffentlicher Dienstleistungen rückgängig zu machen, eine verkürzte Vollzeit als Rechtsanspruch durchzusetzen, Tarifflucht zu erschweren und eine Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen zu erreichen. Besonders groß war der Bedarf nach Austausch zum Kampf gegen Rassismus und die AfD. Hier wurde von der Linksfraktion ein entschiedenes Auftreten gegenüber der AfD eingefordert, der im Parlament ebenso wie in den Betrieben entschlossen begegnet werden müsse.
Abschließend moderierte Ulrike Eifler vom DGB Südosthessen eine Podiumsrunde zu der Frage, wie gewerkschaftliche und politische Kämpfe verbunden werden können.
Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei DIE LINKE und frischgewählter Abgeordneter des Bundestages, plädierte angesichts der Oppositionsrolle der SPD dafür, verstärkt auf die WählerInnen und Mitglieder der SPD zuzugehen, ihnen gemeinsame Aktivitäten vorzuschlagen und sie - und wenn möglich auch die SPD - in gemeinsamen sozialen Auseinandersetzungen wieder nach links zu ziehen. Er machte an Beispielen aus prekären Bereichen klar, dass eine grundsätzliche politische Wende nicht allein auf dem Feld der Tarif- und Betriebspolitik erstritten werden könne. Er plädierte dafür, das politische Mandat der Gewerkschaften offensiv für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung für ein neues Normalarbeitsverhältnis mit abgesicherten Arbeitsplätzen und einer kürzeren Vollzeit zu nutzen. Gerade für Branchen, in denen nur noch eine Minderheit der Beschäftigten von Tarifverträgen erfasst wird, müsse ein gemeinsamer Kampf von Gewerkschaften und der politischen Linken um eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen geführt werden. Der stellvertretende Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Andreas Keller, betonte die Notwendigkeit eines Ausbaus und der ausreichenden Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und des Bildungsbereichs. Dafür brauche es einen starken DGB, um gesellschaftliche Forderungen, die alle angehen, zusammen zu bringen und zu vertreten.
«Wir können als Gewerkschaften nur glaubwürdig auf der Straße demonstrieren wenn wir Kraft in den Betrieben haben», betonte Hans-Jürgen Urban aus dem Vorstand der IG Metall. Sonst habe man nicht die Wucht, die gebraucht werde. Im Umgang mit der AfD plädierte er für eine «Doppelstrategie von klarer Kante und offener Tür»: Gegenüber organisierten Nazis müssten die Gewerkschaften eine klare Kante zeigen. Aber all denen, die in erster Linie mit den Verhältnissen unzufrieden sind, müsse das Angebote gemacht werden, berechtigte Kritik an dieser Gesellschaft nach links und nicht nach rechts aufzulösen. Dabei gehe es nicht um inhaltliche Zugeständnisse, sondern um glaubwürdige, auch machtpolitische Alternativen von links. Als einzigen progressiven Anknüpfungspunkt in der Flüchtlingsfrage bezeichnete er die zivilgesellschaftliche Refugees-Welcome-Bewegung. Sie müsse durch Perspektiven einer echten Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt unterstützt werden.
Nach intensiver Analyse der voraussichtlich anstehenden Regierungskoalition und einer kontroversen Debatte über die fehlende Machtoption der LINKEN beendete Andreas Keller die Podiumsrunde mit einem optimistischeren Ausblick. Er halte die Macht im Sinne einer Regierungsbeteiligung für teilweise überbewertet denn «der Widerstand sozialer Bewegungen ist unter konservativen Regierungen oftmals viel größer».