Der Aufstand der Demokratiebewegung 2011 in Syrien setzte auch für die kurdische Minderheit im Norden Syriens (kurdisch «Rojava») etwas in Gang, das bis heute hält. Aus dem demokratischen Experiment, wie medico die Entwicklungen Rojavas lange beschrieb, ist inzwischen eine autonome Selbstverwaltung geworden. Der Idee eines eigenen, kurdischen Nationalstaates ist ein sogenanntes demokratisches konföderales System gewichen, in dem Minderheitenrechte, Gleichberechtigung und Demokratie das Handeln leiten.
Die Konferenz fand in Kooperation mit medico international statt.
Am 19. Juli 2012 zogen sich die Kräfte des geschwächten Baath-Regime aus Kobanê auch infolge von lokalen Protesten zurück. Kurdische Kräfte übernahmen die Stadtverwaltung und stießen damit die Übernahme der Institutionen auch in anderen Teilen in der Region an. Es folgte ein Krieg gegen den Islamischen Staat (IS), dessen Folgen bis heute gewaltvoll im Gedächtnis der Bevölkerung verankert sind. Unter widrigsten Umständen, Bedrohungen und wiederholten Angriffen durch die Türkei ist dennoch eine lebendige Zivilgesellschaft entstanden: eine demokratische Selbstverwaltung wurde geschaffen und ein neues Gesellschaftsmodell entwickelt, dem sich nach der Zerschlagung des IS auch mehrheitlich arabische Gebiete wie Raqqa, Tal Abyad und Teile Deir-Ez-Zors anschlossen.
medico hat Rojava von Beginn an begleitet. Flüchtlingshilfe, Aufbau des Gesundheitssystems und Menschenrechtsarbeit sind bis heute zentrale Bestandteile der Arbeit von medico-Partner:innen vor Ort.
Zehn Jahre nach der friedlichen Übernahme Kobanês ist das «demokratische Projekt Rojava» jedoch mehr als bedroht, Ankündigungen eines erneuten militärischen Angriffes der Türkei überschatten die lokalen Entwicklungen. Seit Monaten finden außerdem gezielte türkische Drohnenangriffe im Grenzgebiet statt. Hinzu kommt eine drohende Wasserknappheit durch Dürre (Klimawandel) und Begrenzung des Zuflusses durch die Türkei. Ungelöst ist zudem die Frage wie ein angemessener Umgang mit den über zehntausend (internationalen) IS-Kämpfern und Angehörigen aussehen kann. Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen und Gerechtigkeitsprozesse sind in der Kriegsregion ebenso offene Prozesse. Bis heute gibt es keine politische Perspektive für die Region, die fehlende internationale Anerkennung führt immer wieder an Grenzen, die besonders im Bereich der humanitären Hilfe schwer wiegen.
Am 10./11. September wurde diesen Entwicklungen nachgegangen und gemeinsam mit Vertreter*innen aus Rojava, Wissenschaftler*innen, Expert*innen und Politiker*innen aus Deutschland mögliche Perspektiven diskutiert.
Das detaillierte Programm und mehr Information findet sich auf der Website von medico international.
10 Jahre Rojava
Vom demokratischen Experiment zum Hoffnungsträger einer Region. Video-Dokumentation der Tagung von medico international in Frankfurt, 10./11.9.2022.