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Die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt, meint Politikberaterin Dr. Sara Husseini.

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Sara Husseini,

Die Analystin Dr. Sara Husseini beriet u.a. den palästinensischen Chefunterhändler und die palästinensische Botschafterin in Deutschland.
Die Analystin Dr. Sara Husseini beriet u.a. den palästinensischen Chefunterhändler und die palästinensische Botschafterin in Deutschland. Foto: privat

Florian Höllen, Rosa-Luxemburg-Stiftung: US-Präsident Trump erklärte seine Absicht, die US-Botschaft aus Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Dies wäre die Umsetzung einer entsprechenden Entscheidung des US-Kongresses von 1995, die bisher verschoben wurde. Wie beurteilen Sie diese Ankündigung und was würde ihre Umsetzung für den Status Jerusalems und die intensivierte israelische Siedlungs-Politik  in (Ost-)Jerusalem und dem Westjordanland – einschließlich der Annexion von Siedlungen – bedeuten?

Dr. Sara Husseini: Die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem würde eine signifikante Veränderung einer jahrzehntelangen US-Politik bedeuten – sollte Präsident Trump diesen Schritt umsetzen. Die USA – gemeinsam mit der gesamten internationalen Gemeinschaft – haben die israelische Besatzung und Annexion Ost-Jerusalems niemals anerkannt und traditionell die Position vertreten, dass Jerusalem eine Frage ist, die im Rahmen einer politischen Lösung diskutiert werden muss. Die Verlegung der US-Botschaft würde offen der Zwei-Staaten-Lösung widersprechen und wäre ein entscheidender Schritt weg von jeder möglichen Lösung.

Auch ohne die Umsetzung dieses Schrittes hat seine Ankündigung es der israelischen Regierung schon jetzt erlaubt, noch kühner in ihren Versuchen der vollständigen Einverleibung Jerusalems in Israel zu sein sowie den Siedlungsbau im ganzen besetzten Palästina zu beschleunigen – beides nach dem Völkerrecht illegal. Seit der Amtseinführung von Präsident Trump wurden die Ankündigungen zum Siedlungsbau häufiger und umfangreicher. Die erste war die Errichtung von 566 Einheiten in Ost-Jerusalem, die zwei Tage nach der Amtseinführung bekanntgegeben wurde. Die jüngste erfolgte am 1. Februar 2017, als die israelische Regierung Pläne für 3.000 neue Einheiten im gesamten besetzten Westjordanland bekannt gab. Israel hat in der Vergangenheit gezeigt, dass es jede Möglichkeit nutzt, sein Siedlungsprojekt voranzutreiben – sei es als Vergeltung für Entscheidungen der Vereinten Nationen, direkt nach dem Abbruch von Verhandlungen oder bei der Wahl eines neuen Präsidenten in den USA. Die Ernennung von David Friedman als neuem US-Botschafter in Israel, einem Siedlungs-Hardliner, der Israels Anspruch auf ganz Jerusalem unterstützt, wird die Situation weiter verschärfen, egal ob die Botschaft selbst verlegt wird oder nicht.

Florian Höllen: Im Unterschied zu Hillary Clinton, die in ihrem Wahlkampf Israel einen Loyalitätsbesuch abstattete, tat Trump dies nicht. Nichtsdestotrotz versuchte Trump später, deutlich mehr Nähe zu Israel zu zeigen. Gab es eine Veränderung in Trumps Haltung zu Israel und falls ja, durch wen oder was kam sie zustande?

Sara Husseini: Die unkritische Unterstützung Israels bleibt eine Grundbedingung der US-Politik, insbesondere in Zeiten von Wahlen. Die Tatsache, dass Trump in Bezug auf die Nähe zu Israel lauter wurde, als er die Notwendigkeit dieser Unterstützung begann zu verstehen, um zu Hause Stimmen zu gewinnen, überrascht wenig.

Florian Höllen: In den letzten Tagen waren einige neue Töne von US-amerikanischen und israelischen Stellen zu hören. So erklärte der Sprecher des Weißen Hauses, Sean Spencer, nach dem ersten Telefonat zwischen Netanjahu und Trump nach dessen Amtseinführung „Wir sind ganz am Anfang der ersten Schritte, dieses Thema überhaupt zu besprechen.“ (Reuters / Guardian 22. Januar 2017). Und laut der gleichen Quelle informierten israelische Amtsträger, dass Netanjahu nicht um eine Zusage Trumps zur Verlegung oder einen Zeitplan hierfür ersucht habe. Könnten Sie diese jüngsten Entwicklungen für uns analysieren?

Sara Husseini: Es gibt einen oder zwei mögliche Gründe, sich von diesem Schritt fernzuhalten. Eine Möglichkeit ist, dass Präsident Trumps Berater ihn über den hoch sensiblen Charakter der Jerusalem-Frage informiert haben sowie über mögliche Gegenreaktionen, die eine solche Entscheidung sowohl in Palästina als auch in der Region hervorrufen könnte. Dass Netanyahu diese Sache nicht weiterverfolgt kann ein Anzeichen dafür sein, dass die Verlegung der Botschaft für Israel keine Priorität hat oder die möglichen Gegenreaktionen nicht wert ist. Einige Analysten nehmen an, dass Netanyahu versuchen wird, diese Zusage (der Verlegung der Botschaft) gegen etwas anderes einzutauschen, was für Israel vorteilhafter ist.

Florian Höllen: Die Stellungnahme des Weißen Hauses zu den Siedlungen (2. Februar 2017) kam für einige Beobachter überraschend, da sie viel näher an der Obama-Administration zu sein scheint als erwartet. Was ist Ihre Reaktion hierauf?

Sara Husseini: Die Stellungnahme war vorsichtiger formuliert, als man es von der Trump-Administration erwarten mag, aber von der Sache her ist es eine ganz andere Position als die der früheren Regierungen. Zuerst ist festzuhalten, dass Obama, Kerry und andere bei vielen Gelegenheiten klar gemacht haben, dass die Siedlungen das Haupthindernis für Frieden sind. Das zu verstehen ist wesentlich, wenn es darum geht, an einer Lösung zu arbeiten. Die Trump-Administration verlautbarte das genaue Gegenteil. D.h. sie glauben nicht, dass die Siedlungen – von denen sie wissen sollte, dass sie völkerrechtswidrig sind – ein Hindernis für Frieden sind. Weiterhin wird die sehr nuancierte Wortwahl, die vom Bau neuer Siedlungen abschrecken will, aber den Bau in den „bestehenden Grenzen“ zugesteht, von der israelischen Regierung als grünes Licht interpretiert werden, im gesamten von Israel kontrollierten Gebiet um die Siedlungen und zwischen den Siedlungen (d.h. in den sogenannten „Blocks“, wie sie heißen um mehr Land zu enteignen) zu bauen.

Florian Höllen: Lassen Sie uns einen Blick auf die regionale Dimension werfen: Israel hat hier seine Beziehungen zu autoritär regierten Staaten wie Saudi-Arabien und der Türkei verbessert. Könnte die Zurückhaltung beim politischen Druck für eine Verlegung der US-Botschaft dadurch motiviert sein, diese Beziehungen aufrecht zu erhalten? Und würde dies bedeuten, dass die regionalen Machtambitionen Israels seine Haltung gegenüber den Palästinensern relativieren?

Sara Husseini: Die israelische Regierung ist sich definitiv der Bedeutung Jerusalems in der Region bewusst. Die Vorstellung, dass dieses Bewusstsein die israelische Unterdrückung der Palästinenser zügeln könnte, ist nichtsdestotrotz zu optimistisch.

Wäre Israel stärker über regionale Ambitionen besorgt, dann hätte es die Arabische Friedensinitiative angenommen. Diese bot die Normalisierung der Beziehungen mit 57 arabischen und muslimischen Staaten im Austausch mit dem Rückzug Israels in die Grenzen von 1967, die Anerkennung des Staates Palästina mit Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt und eine gerechte und vereinbarte Lösung der Flüchtlingsfrage an – kurz gesagt, die Zwei-Staaten-Lösung. Stattdessen mussten wir sehen, wie die Besatzung sich weiter verschanzt, Jahr für Jahr Siedlungen gebaut werden und sich die Lebensqualität der Palästinenser drastisch verschlechtert. Laut „Defence for Children International“ war 2016 das tödlichste Jahr für palästinensische Kinder im Westjordanland. Die UN haben vorausgesagt, dass Gaza im Jahr 2020 unbewohnbar sein wird. Diese Vorhersage wurde vor dem letzten Krieg im Jahr 2014 getroffen, in dem über 2000 Personen einschließlich fast 500 Kinder getötet wurden. Auch wenn also die Verlegung der US-Botschaft eine rote Linie in der Region sein möge, Israels Verhalten im Allgemeinen – und insbesondere das seiner jüngsten Regierungen – wird aktuell durch keine andere Macht oder Beziehung relativiert.

Florian Höllen: Um zur Ausgangsfrage zurück zu kommen: Könnten Sie Ihre Analyse der Wahrnehmung der angekündigten Verlagerung der Botschaft in der palästinensischen Führung und in der palästinensischen Bevölkerung darstellen?

Sara Husseini: Die palästinensische Führung und das palästinensische Volk haben sich schnell und klar diesem Schritt widersetzt. Präsident Abbas hat Herrn Trump persönlich geschrieben und ihn vor den Risiken für den Friedensprozess und die Stabilität in der gesamten Region gewarnt, während er gleichzeitig andere Staaten dazu drängte, diese Besorgnisse ebenfalls dem designierten Präsidenten zu vermitteln. Mittlerweile wurden in einer Vielzahl von palästinensischen Städten, u.a. Hebron, Nablus und Ramallah entsprechende Komitees gegründet und Demonstrationen durchgeführt.

Dies ist eine sehr sensible Angelegenheit. Für die Palästinenser kann es keine Lösung ohne Jerusalem als dem historischen, kulturellen und ökonomischen Herz Palästinas geben. Während der Verhandlungen wurden verschiedene Szenarien entworfen, so z.B. von Jerusalem als offener und gemeinsamer Stadt und Hauptstadt zweier Staaten. Dies wurde von aufeinander folgenden israelischen Regierungen zurückgewiesen, die Jerusalem als „ewige und unteilbare Hauptstadt des jüdischen Volkes“ beanspruchen und eine nach der anderen Maßnahme ergriffen haben, um diesen Anspruch wahr zu machen. Das ist eine große Besorgnis für die Palästinenser, für die Region und sollte eine Sorge der ganzen Welt sein. Jerusalem hat eine vielfältige Geschichte als Wiege der drei monotheistischen Religionen: Judentum, Christentum und Islam. Den christlichen und muslimischen Charakter der Stadt zu beseitigen bedeutet, das einzigartige Wesen dieser Stadt zu zerstören. Und da die Palästinenser dies tagtäglich erleben, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es einen Tropfen gibt, der das Fass zum Überlaufen bringt. Im Jahr 2000 unternahm Ariel Sharon einen provokativen „Besuch“ auf das Gelände der Al-Aqsa-Moschee – den Juden als Tempelberg bekannt – in der besetzten Altstadt von Jerusalem. Dieser Schritt entzündete die zweite Intifada (Aufstand). Es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass die Verlegung der US-Botschaft – ein weiterer, hochprovokanter Schritt – eine ähnliche Reaktion auslösen könnte.

Florian Höllen: Wie beurteilen Sie die “Internationalisierungs-Strategie” von Präsident Abbas vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen über die wir sprachen und generell der neuen Führung in den USA?

Sara Husseini: Ausgehend von der starken Asymmetrie zwischen Israel und Palästina bleibt die “Internationalisierung” eine wichtige Strategie. Dieses Machtungleichgewicht bedeutet, dass die internationale Unterstützung wesentlich ist, um irgendeine gerechte oder andauernde Lösung zu finden.

Trotz der jüngsten Entwicklungen hat diese Strategie einige positive Ergebnisse gebracht. Eine internationale Konferenz fand im Januar 2017 statt, die 70 Staaten zusammenbrachte als einen Schritt, das Paradigma des Friedensprozesses zu ändern – trotz starken israelischen Lobbyings gegen die Konferenz. Die Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu den israelischen Siedlungen wurde im Dezember mit 14 zu 0 Stimmen verabschiedet, nachdem die USA erstmals in 36 Jahren kein Veto einlegten. Auch wenn es nun eine neue Regierung im Weißen Haus gibt, ist dies ein wichtiger Schritt. Es scheint, dass die Rede von Außenminister Kerry ein Tabu in den USA gebrochen hat, sodass es nun mehr Raum für kritische Stimmen in der Öffentlichkeit gibt, insbesondere bezüglich der Siedlungen.

Und es gibt andere Hoffnungsschimmer. Jüngste Umfragen zeigen, dass eine steigende Zahl US-amerikanischer Juden eine kritischere Haltung zu den Maßnahmen der israelischen Regierung einnimmt, von denen sie denken, dass sie nicht ihren jüdischen Werten entsprechen. Zum ersten Mal scheint es, dass die US-amerikanischen Demokraten genauso stark mit den Palästinensern sympathisieren wie mit den Israelis.

Allerdings haben sich diese positiven Schritte noch nicht in einen realen Wandel vor Ort umgesetzt. Während die Internationalisierung eine wichtige Strategie bleibt, erfordern die jüngsten Entwicklungen in der Welt unzweifelhaft neues und kreatives Denken, zur Frage wie ein Ende dieser militärischen Besatzung erreicht werden kann - einer Besatzung, die genau im Juni das Leben der Menschen für 50 Jahre unterdrückt hat, ganz zu schweigen von jenen Palästinensern, die sogar noch länger im Exil leben.

Florian Höllen: Sollte diese Strategie kaum eine Wirkung hier im Land gehabt haben und ihr Funktionieren mit der immer offener pro-israelischen US-Regierung immer unwahrscheinlicher werden: Könnte Hamas aus dieser Situation neue Stärke ziehen und die Fatah-Herrschaft im Westjordanland in Frage stellen?

Sara Husseini: Es stimmt, dass die Menschen in Palästina immer verzweifelter und hoffnungsloser werden, so wie sich die Situation verschlechtert und eine noch offener pro-israelische US-Regierung es Israel erlaubt, seine Besatzung zu intensivieren. Wir sprachen schon über den Siedlungsbau und die mögliche Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Führende israelische Politiker, die Teil der rechtesten Regierung in der Geschichte des Landes sind, sprechen nun immer ernsthafter von der vollständigen Annexion eines Großteils des Westjordanlands. Herr Netanyahu schreibt Herrn Trump eine Twitter-Nachricht, um seine Entscheidung zum Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko zu loben. Aus palästinensischer Perspektive wird die Lage einfach nur schlechter.

Je weniger es Präsident Abbas gelingt, wirklichen Wandel zu schaffen, desto weniger glaubwürdig wird er in den Augen seiner Bürger. Allerdings denke ich, dass dies mehr mit der Glaubwürdigkeit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der Palästinensischen (Autonomie-)Behörde (PA) als Institutionen oder Strukturen zu tun hat und nicht mit irgendeiner politischen Partei. Was passiert, wenn die Menschen ihre Hoffnung ganz verlieren, kann man noch nicht sagen. Aber wenn die internationale Gemeinschaft nicht umgehend und entschlossen handelt, dann verschlechtert sich die Lage enorm.

Florian Höllen: Bezüglich des palästinensischen Volkes und des Abflachens der sogenannten “Dritten Intifada”: Haben die Palästinenser sowohl in den verschiedenen Teilen Palästinas wie auch im Ausland genug Kraft, um in einer Weise Widerstand zu leisten, dass die USA und Israel auch mittel- und langfristig dazu gezwungen sein werden, die US-Botschaft nicht nach Jerusalem zu verlagern?

Sara Husseini: Persönlich denke ich, dass wir bisher noch keine “dritte Intifada” gesehen haben. Es gab vereinzelte Reaktionen auf eine zunehmend aussichts- und hoffnungslose Situation, aber kein großflächiger und koordinierter Aufstand.

Definitiv haben die Palästinenser genug Kraft zum Widerstand, Kraft im Sinne von Resilienz, nicht jedoch physischer oder militärischer Stärke – einfach deshalb, weil sie keine andere Wahl haben. Was anderes kann man von Menschen in ihren eigenen Häusern, auf ihrem eigenen Land erwarten? Es ist weltweit eine schwierige Zeit: Eine Zeit, in der der Rechtsextremismus in erschreckender Weise zum Mainstream wird; eine Zeit, in der der US-Präsident Menschen nur auf Grund ihrer Religion und Nationalität die Einreise in die USA verweigert; eine Zeit in der Menschen in der ganzen Welt sich genötigt sehen, sich gegen jede Art von Diskriminierung zu erheben. Palästinensern ist weder Diskriminierung noch Protest fremd und es ist heute wichtiger als je zuvor, dass wir uns als Weltbürger zusammentun um diese Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, wo immer sie auftauchen.

Florian Höllen: Liebe Frau Husseini, vielen Dank für Ihre Analyse.


Zur Person:

Dr. Sara Husseini ist Politikberaterin und Analystin. Sie beriet u.a. den palästinensischen Chefunterhändler, die palästinensische Botschafterin in Deutschland und andere hochrangige Politiker. Ihr Schwerpunkt ist die internationale Verantwortung für die Palästina-Israel-Frage.

Übersetzung: Florian Höllen