Wenn in Erzählungen über die Jagd immer die Jäger über die Löwen triumphieren, dann deshalb, weil die Jäger und nicht die Löwen die Geschichten erzählen. So lautet ein afrikanisches Sprichwort, das sich auch auf die Historiographie übertragen lässt. Auch die Geschichtsschreibung wird von denen geprägt, die über die Macht und die Mittel dazu verfügen. In kolonialen Zeiten waren dies die Kolonialherren, weshalb es in postkolonialen Gesellschaften wichtig ist, Geschichtsschreibung zu entkolonialisieren und einen Perspektivwechsel vorzunehmen.
So lautete der Tenor der Reden, als am 28. Februar die von dem Kölner Verein „recherche international“ erarbeitete Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ erstmals in einer englischsprachigen Version im Castle of Good Hope in Kapstadt eröffnet wurde.
Das von niederländischen Kolonisatoren 1666 erbaute und bis heute militärisch genutzte mächtige Fort ist das ältestes Gebäude des Landes und schon deshalb ein passender Ort für die Ausstellungspräsentation, weil hier ein Teil der insgesamt 335.000 südafrikanischen Männer und Frauen für Einsätze im Zweiten Weltkrieg rekrutiert wurden. Doch ihre Kriegsdienste sind in der gängigen Geschichtsschreibung größtenteils vergessen, ebenso wie die von Millionen anderen
aus Afrika, Asien, Ozeanien und Südamerika. Die nun in Kapstadt eröffnete Ausstellung, die in Deutschland und der Schweiz bereits an 60 Orten zu sehen war, erinnert mit Text- und Bildtafeln, Hörstationen und Videos an die „vergessenen Befreier“ Europas und an den Preis, den sie für den Kampf gegen den Faschismus zahlen mussten: Weite Teile der Dritten Welt dienten als Schlachtfelder und blieben nach Kriegsende verwüstet und vermint zurück. Auf allen Kontinenten wurden Rohstoffe für die Rüstungsindustrien der kriegführenden Mächte ausgeplündert und allein in Afrika mussten Hundertausende dafür Zwangsarbeit leisten. Insgesamt gab es in der Dritten Welt mehr Tote im Zweiten Weltkrieg als in Deutschland, Italien und Japan zusammen.
Seit ANC-Veteran Denis Goldberg diese Ausstellung vor sechs Jahren erstmals in Deutschland sah , verfolgte er die Idee, sie auch in Südafrika zu präsentieren. Denn sie gebe, wie er nun in seiner Eröffnungsrede vor mehr als 100 BesucherInnen in Kapstadt erklärte, „Menschen in Afrika und anderswo, die für die Befreiung der Welt von Naziterror und Faschismus gekämpft haben, ihre Würde zurück“. Für Denis Goldberg passt die Ausstellungspräsentation zu der an südafrikanischen Universitäten aktuell geführten Diskussion um eine „Entkolonialisierung der Bildung“: „Viele reden darüber, wir präsentieren mit der Ausstellung ein Beispiel für entkolonialisierte Geschichtsschreibung.“ Gerade für ein Land wie Südafrika, das erst vor zwei Jahrzehnten das rassistische Kolonialregime der Apartheid habe abschütteln können, sei es notwendig, sich der Beiträge bewusst zu werden, die Afrikaner und Afrikanerinnen zur globalen Geschichte der Menschheit beigetragen hätten. Deshalb soll die Ausstellung jetzt auch in anderen südafrikanischen Städten gezeigt werden - Anschlusstermine im Freedom Park von Pretoria (ab Juli 2017) und im Holocaust & Genocide Centre in Johannesburg (ab Januar 2018) stehen bereist fest.
Speziell für diese Ausstellungstournee hat Denis Goldberg ergänzende historische Informationen über die Rolle Südafrikas im Zweiten Weltkrieg zusammen gestellt. Sie erinnern u.a. an die Diskriminierung schwarzer Kriegsteilnehmer, die schlechter bezahlt und ausgerüstet wurden als weiße Soldaten, keine Waffen bedienen und lediglich Hilfsdienste etwa als Träger und Fahrer leisten durften.
Als Kampfgefährte Nelson Mandelas hat Denis Goldberg selbst Geschichte geschrieben und musste dafür 22 Jahre Haft im Zentralgefängnis von Pretoria ertragen, bis er 1985 endlich entlassen wurde und im Londoner Exil weiter für die Abschaffung der Apartheid kämpfen konnte. Die Anerkennung, die er dafür heute in Südafrika genießt, zeigte sich an der großen Zahl der geladenen Gäste bei der Ausstellungseröffnung in Kapstadt, die im großen Innenhof des alten Kolonialgebäudes unter freiem Himmel stattfand. So waren unter den Besuchern ehemalige Untergrundkämpfer des ANC, die inzwischen hohe Positionen in den südafrikanischen Streitkräften einnehmen, Politiker und Museumsdirektoren, diplomatische Vertreter, Künstler, Journalisten und Fotografen, die zur Zeit der Apartheid für legendäre Zeitschriften wie die „Drum“ gearbeitet haben.
Zum Einstieg traten Dutzende Kinder und Jugendliche der „Kronendal Music Academie“ auf, einer Musikschule, die Denis Goldberg in seinem Wohnort Hout Bay mit gegründet hat. Sie boten zur Ausstellungseröffnung ein jazziges Medley aus Liedern des südafrikanischen Befreiungskampfes und Beethovens „Ode an die Freude“ als Ausdruck der Hoffnung auf die Überwindung der rassistischen Spaltung der Gesellschaft und eine bessere Zukunft.
Calvyn Gilfellan, Direktor des Militärmuseums im Castle of Good Hope, betonte, wie wichtig es sei, gerade an einem Ort, der „das Zeitalter des Kolonialismus und Imperialismus repräsentiere“, andere Sichtweisen auf die Geschichte anzubieten. Deshalb sei auch die Einrichtung eines anti-kolonialen Dokumentationszentrums im Castle of Good Hope in der Diskussion.
Mit Colonel de Castro, Oberst der südafrikanischen Luftwaffe und Kommandant der Air Base in Kapstadt, plädierte auch ein hochrangiger Militär für ein Umdenken und einen anderen Umgang mit Geschichte.
Das Militär steuerte historische Gegenstände für die südafrikanische Abteilung der Ausstellung bei, so zum Beispiel ein Armeefahrrad des Typs, mit dem Kriegsheimkehrer abgespeist wurden, denen Rentenzahlungen für ihre Kriegsdienste verwehrt blieben.
Für die Initiatoren von „recherche international“ erklärte der aus Köln angereiste Kurator Karl Rössel, dass es eine große Auszeichnung und die Erfüllung eines lange gehegten Wunschs sei, die Ausstellung endlich auch in einem der Länder vorstellen zu können, in dem die Recherchen für dieses Projekt vor mehr als 20 Jahren begannen. Schließlich sei ein globales Geschichtsverständnis auch für die Entwicklung eines solidarischen Miteinanders in der Gegenwart von zentraler Bedeutung. Vor dem Hintergrund, dass Hunderttausende Afrikaner für die Befreiung Europas vom Faschismus gekämpft hätten, sei es „beschämend, mit welcher Hysterie das reiche Europa heutzutage auf die Ankunft afrikanischer Flüchtlinge an seinen Grenzen reagiere“. Selbst die Kinder und Enkel der Afrikaner, die für Europas Freiheit ihr Leben ließen, erhielten heute kein Visum mehr, um die Gräber ihrer Vorfahren auf europäischen Friedhöfen zu besuchen. Historische Ignoranz dieser Art zu überwinden und das Bewusstsein für die Verantwortung der Industrienationen zu fördern, die ganze Kontinente durch Kolonialismus und Krieg verwüstet haben, sei deshalb ein hoch aktuelles Ziel der Ausstellungspräsentation, ob in Deutschland, Südafrika oder anderswo.
Für Tina Jerman von der EXILE Kulturkoordination in Essen, die sich mit um Fördergelder für die englischsprachige Ausstellungsversion für Südafrika bemüht hat, ist dieses Projekt ein Beispiel für gelungenen Kulturaustausch. Denn nachdem seit der Zeit der Anti-Apartheid-Bewegung viele Ausstellungen und Gäste aus Südafrika in Deutschland vorgestellt wurden, werde nun erstmals ein Projekt nach Kapstadt vermittelt, das Aspekte der Zeitgeschichte zur Diskussion stelle, die für beide Länder von großer Bedeutung seien.
recherche international e.V., Köln/Kapstadt