Nachricht | Zwei Bücher über "1968"

Erinnerungen an den deutschen Aufruhr vor 30 und vor 40 Jahren.

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Gottfried Oy,

Dreißig Jahre Deutscher Herbst, vierzig Jahre 68: Wie schon die Jahrzehnte zuvor tobt der Deutungskampf - deutlich müder allerdings als noch vor einigen Jahren. Während sich der omnipräsente Daniel Cohn-Bendit im Vorgriff des 68er-Jubiläums mit der Co-Herausgeberrolle eines Sammelbandes begnügt, legt Ex-RAF-Kader Karl-Heinz Dellwo ein ausführliches biographisches Gespräch vor. Das Jahr 1968 sei "ein schwieriger, ein schillernder, ein umstrittener Erinnerungsort”, so Cohn-Bendit und Rüdiger Dammann in ihrer Einleitung. Der Kampf um die Deutungshoheit beginnt hier schon bei der Eingrenzung: Für die beiden ist 68 in Anlehnung an Gerd Koenen Chiffre für das "Rote Jahrzehnt” zwischen dem 2. Juni 1967 - dem Todestag von Benno Ohnesorg - und dem 18. Oktober 1977 - dem Todestag von Gudrun Ensslin, Jan Carl Raspe und Andreas Baader.

Innerhalb dieser Zeitmarken machen sie ein Aufbegehren aus, das in der von ihnen behaupteten Allgemeinheit allerdings die Richtung verliert: "Im Kapitalismus begehrte die Jugend gegen den Kapitalismus auf, im Kommunismus gegen den Kommunismus und in Spanien oder Griechenland gegen die Diktatur. Zwar ging es überall gegen die Macht der ‚alten‘ Ordnungen, aber diese Ordnungen waren durchaus unterschiedlich, und entsprechend variierten auch die Zielrichtungen der Protestbewegungen.”

Gabriele Gillen widmet sich in dem interessantesten Beitrag des Bandes der sexuellen Revolution und entdeckt gerade in diesem, gemeinhin mit Freiheit und der Bekämpfung von Moral gleichgesetzten Themenfeld die erzieherischen und wertebildenden Aspekte der 68er. Sie unterstützt damit die derzeit populäre These von der Entstehung einer alternativen Bürgerlichkeit durch die Revolte: "Die Idee der antiautoritären Erziehung, zu der die sexuelle Revolution, also der Widerstand gegen eine als Herrschaftsinstrument missbrauchte Sexualmoral gehört, hat ihre Betonung nicht nur auf ‚antiautoritär‘, sondern auch auf ‚Erziehung‘. Dahinter steht die Hoffnung, zerstörte Werte zurückzugewinnen, das heißt, jenen Fähigkeiten und Eigenschaften erneut einen Wert zuzuschreiben, die in der Gehorsamskultur des Nationalsozialismus erstickt worden sind.”

Viele Beträge fallen durch Wiederholungen auf: Immer wieder der Schah-Besuch, die Kommune I und der Vietnamkongress. Überhaupt verhindert der Lesebuchcharakter - keine Fußnoten, keine Quellenangaben oder Literaturlisten -, Zitate, Nacherzählungen oder vermeintliche Fakten zu überprüfen.

Auf was Cohn-Bendit und Dammann verzichtet haben, kommt bei Tina Petersen und Christoph Twickel, den beiden Journalisten, die den Gesprächsband mit Karl-Heinz Dellwo initiiert haben, deutlicher zum Tragen: eine editorisch strenge Hand. Dellwo gelingt es so, fokussiert auf zentrale Fragen zu seinem persönlichen Werdegang wie dem der RAF einzugehen. Er selbst gerät im Zuge einer Hausbesetzung in Hamburg Anfang der siebziger Jahre in den Bann der bewaffneten Gruppe und schließt sich 1975 den Besetzern der bundesrepublikanischen Botschaft in Stockholm an. Die Aktion kostet zwei Botschaftsangehörige sowie zwei Besetzern das Leben, Dellwo sitzt darauf 21 Jahre im Gefängnis. Auf den ersten Blick ein nahezu klassischer Werdegang: Repressions- und Hafterfahrungen als Hausbesetzer, Rote Hilfe- und Anti-Folterkomiteearbeit, Weg in die Illegalität, eine gescheiterte Aktion und Jahre der Haft unter mehr als fragwürdigen Bedingungen.

Dennoch, Dellwos Geschichte verdeutlicht, dass es keineswegs bloß jenes diffuse "Dagegen” war, das Cohn-Bendit und Dammann in ihrem Buch benennen, das Jugendliche nahezu aller sozialer Schichten antrieb. Es gab nicht nur sehr konkrete Vorstellungen eines Lebens jenseits der "formierten Gesellschaft”, jenes Kompromisses zwischen bürgerlichem Lager, Sozialdemokratie und Gewerkschaften, sondern auch ausreichend Erfahrungen mit repressiver Erziehung, Polizei und "gesundem Volksempfinden”, die in die Fundamentalopposition trieben. Dellwo gelingt es im Unterschied zu den professionellen Zeitzeugen, rationale Begründungen wie emotionale Motivationen des Widerstands einzufangen. "68” auf Fragen von Gefühl und Stimmung zu reduzieren, ist dann doch etwas zu einfach.


DANIEL COHN-BENDIT / RÜDIGER DAMMANN (HG.): 1968. Die Revolte. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 256 Seiten, 14,90 Euro.

KARL-HEINZ DELLWO: Das Projektil sind wir. Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen. Gespräche mit Tina Petersen und Christoph Twickel. Edition Nautilus, Hamburg 2007. 224 Seiten, 14,90 Euro.

Süddeutsche Zeitung, 29.01.2008.
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Peter Nowak hat den Band "Wir sind das Projektil" (Interview mit Karl-Heinz Dellwo) ebenfalls besprochen und meint: "Am Ende doch enttäuschend", Der Text der Kritik findet sich auf TREND unter http://www.trend.infopartisan.net/trd0108/trd360108.html