Das Jahr 1975 war innenpolitisch stark von zwei Ereignissen geprägt, die heute im Zuge der neuerlich aufgeflammten RAF-Debatte wieder in Erinnerung gerufen werden. In beiden Fällen, schreibt Michael März in seiner nun als Buch erschienenen Magisterarbeit, hätten Angehörige bewaffnet agierender Gruppen aus der Linken "den Rechtsstaat herausgefordert" und "die Machtfrage gestellt".
Die ersten Aktionen sind die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz mitten im Wahlkampf im Februar und die in einem Fiasko endende Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm zwei Monate später. Peter Lorenz wurde von der "Bewegung 2. Juni" entführt, einer eher sozialrevolutionären militanten Gruppe, die sich nach dem Todestag von Benno Ohnesorg im Jahr 1967 benannt hatte.
Seine Entführung war, schreibt März, die erste eines Politikers in der bundesdeutschen Geschichte, durch sie sollten politische Gefangene freigepresst werden. Innerhalb des ohne gesetzliche Grundlagen gebildeten Krisenstabes war man uneins, schließlich wurde einem Austausch zugestimmt, der dann auch erfolgte. Fünf Gefangene wurden in Begleitung des ehemaligen Bürgermeisters von Berlin, Heinrich Albertz, in den Südjemen ausgeflogen - die an den eigenen Zielen gemessen erfolgreichste Aktion des bundesdeutschen bewaffneten Kampfes.
Ein ganz anderes Ergebnis hatte der Überfall in Stockholm. Er dauerte nur zwölf Stunden, in denen zwei der Botschaftsangehörigen und zwei Angehörige des "RAF-Kommandos Holger Meins" starben.
Seit Mai 1972 saß die erste Generation der Roten Armee Fraktion nahezu komplett im Gefängnis, der Überfall in Stockholm wurde von einer Zwischengeneration verübt, bevor dann die sogenannte "zweite Generation" mit dem "Deutschen Herbst" 1977 das bis heute gültige Bild von der Roten Armee Fraktion prägte.1980 löste sich dann die Bewegung 2. Juni selbst auf und einige ihrer Mitglieder schlossen sich der RAF an.
Es ist beklemmend, zu lesen, wie jung die Beteiligten damals waren. Karl Heinz Dellwo, der sich bis heute öffentlich mit seiner Geschichte auseinandersetzt, war erst 22, als er an der Aktion in Stockholm teilnahm. Dass der Staat sich ihnen nicht beugen würde, hatten sie nicht vorgesehen und brachte sie aus dem Konzept. Das Kommando hatte keinen Alternativplan, sondern ging mit der Haltung "wir erreichen unsere Ziele oder wir gehen drauf" an die Sache heran. März schildert detailliert die Vorgänge auf staatlicher Seite, die vor allem aus der Lorenz-Entführung den Schluss zog, dass nicht nachgegeben werden dürfe.
Die mediale Darstellung, die Untersuchung der internen Dynamik unter den Militanten oder die Einordnung der Ereignisse in die allgemeine politische Entwicklung fallen demgegenüber weit geringer aus. Der 1981 geborene März hat die relevante Literatur bearbeitet und sich sehr stark auf archivalische Quellen gestützt. Die politischen Wertungen, zu denen März kommt, sind stellenweise etwas überzogen. Was allerdings weniger ins Gewicht fällt, wenn man bedenkt, dass hier erstmals eine eigenständige Publikation zu einem bisher in dieser Form nicht behandelten Thema vorliegt.
Michael März: Die Machtprobe 1975. Wie RAF und Bewegung 2. Juni den Staat erpressten; Forum Verlag, Leipzig 2007, 216 S., 16,80 Euro
Diese Besprechung erschien am 15. Juni 2007 auch in der Tageszeitung "Neues Deutschland".