Dieses Buch des 1967 geborenen Albrecht von Lucke ist der Versuch, Wirkung und Bedeutung, die »den 68ern« im bundesdeutschen Feuilleton und damit, so die Annahme des Autors, auch in der Gesamtgesellschaft in den letzten 30 Jahren zugeschrieben wurde, zu beleuchten.
Denn hinter der Beurteilung von 1968 stand immer die Frage nach der Selbstverortung der Republik, nach der Selbstdefinition ihrer Bürger und der Sichtweisen auf die Intellektuellen.Das Schlagwort von »den 68ern« als eine Generation bildet sich erst Ende 1978 heraus. Im Zuge der Debatten um Gewalt, um die neu entdeckten Widersprüche jenseits des Widerspruchs von Kapital und Arbeit wird diese Generation erfunden. Man war älter geworden, der Protest war gegangen, die Menschen sind geblieben. Statt »die Linke«, sagte man jetzt öfter »die 68er«. Bis 1989 zog sich die Resozialisierung hin, nach anderer Lesart: der Verrat. 1998 kommen die »68er«, kurz vor ihrer Rente, auch kurz an die Macht; kritische Stimmen würden sagen: nur an die Regierung.
Die zentrale Frage – die passenderweise auf Seite 68 dieses Büchleins zu finden ist – lautet: War 1968 eher ein Ereignis der Selbstbefreiung und Selbstentfaltung und damit ein kulturell-ästhetisches oder war es eines der Solidarisierung und damit ein vorrangig politisches? Der Autor, der seit 2003 Redakteur der »Blätter für deutsche und internationale Politik« ist, plädiert in seinem kurzen, aber dafür umso klügeren Buch für die zweite Sichtweise, zumal die Frage der Moral in der Politik heute von der »neuen Bürgerlichkeit« und ihrer antisozialstaatlichen »Privatisierung des Politischen« okkupiert sei. Nicht zuletzt zeige 1968, dass Geschichte machbar sei. Daran gelte es anzuknüpfen.
Albrecht von Lucke: 68 oder neues Biedermeier. Der Kampf um die Deutungsmacht. Wagenbach, Berlin 2008. 91 S., br., 9,90¤.