Mit einem „Schalom“ begrüßt der 80jährige Zeitzeuge Sally Perel immer die jungen Leute, die zu seinen Lesungen kommen.
Sein Schicksal während der nationalsozialistischen Diktatur ist mit keinem anderen Schicksal der Überlebenden des Holocaust vergleichbar. Über vier Jahrzehnte verschwieg der seit 1948 in Israel lebende Perel selbst seinen Söhnen die Geschichte seiner Geschichte. In der Haut der Todfeinde seines Volkes, in einer Uniform der Nationalsozialisten – als „Hitlerjunge Jupp“ – rettete er sein Leben und liebt diesen Hitlerjungen dafür in einem ständigen Kampf mit seiner jüdischen Herkunft. In seiner Autobiographie nennt er ihn genauso wie Agnieszka Holland in ihrem Film, „Hitlerjunge Salomon“.
Perels streng religiös orthodox-jüdische Familie aus Peine, war schon nach den Nürnberger Rassengesetzen von 1935 in der vermeintlichen Hoffnung auf Sicherheit ins polnische Łodz übergesiedelt, wurde aber 1939, nach Beginn des II. Weltkriegs ins Ghetto getrieben. Vater und Mutter von Sally ahnten wohl, dass man in ein Ghetto hinein, aber nicht mehr lebend hinaus käme. Sie schickten ihren 14jährigen Sohn Sally mit seinem 16 Jahre älterem Bruder Isaak, in der Gewissheit, beide nie wieder zu sehen, auf die Flucht weiter nach Osten, nur, um deren Überlebenschance zu vergrößern. Vater Perel sagte zum Abschied: „Sally, mein Junge, vergieß nie, wer Du bist!“ Mutter Perel befahl ihrem Jüngsten: „Sally, mein Junge, Du sollst leben!“
Zwei Jahre verbrachte er in einem sowjetischen Waisenhaus in Grodno, bis er abermals auf der Flucht war, weil es hieß, die deutsche Wehrmacht mache keine jüdischen Gefangenen; sie tötet sie sofort. Sally Perel war 16, als eben diese Wehrmacht von Sieg zu Sieg marschierte und sich anschickte, mit Hitlers Plan „Barbarossa“ auch noch die Sowjetunion in einem Blitzkrieg zu unterwerfen und dem „tausendjährigem deutschen Reich“ einzuverleiben. Bei seiner Gefangennahme leugnete Perel: „Ich bin kein Jude, ich bin Volksdeutscher! Und das Wunder geschah. Man glaubte mir“. Gegen den letzten Wunsch des Vaters an ihn hatte er sich für den Befehl seiner Mutter entschieden: „Sally, mein Junge, du sollst leben. Die Vitalität dieser drei Worte- du sollst leben – gaben mir Mut und begleiteten mich durch die schrecklichste Zeit meines Lebens.“ Die vier Jahre, die Perel bis zum Ende des Krieges in einer Hitlerjugendschule in Braunschweig verbrachte, wurden für ihn aber „zu vier Ewigkeiten“. Zuweilen, so berichtet er, wird ihm auch vorgeworfen, dass er nicht „moralisch gestorben“ ist. Doch er wollte „moralisch überleben“ und stellt das Recht auf Leben über alles Andere – auch mit seinem leidenschaftlichen Friedensengagement gegen die Politik Israels gegenüber dem palästinensischem Volk, aber auch gegen die Selbstmordattentate junger Palästinenserinnen und Palästinenser.
Wenn Perel die aberwitzige Geschichte seiner Kindheit und Jugend, aber auch seine Gedanken und Gefühle, seine innere Zerrissenheit offen gelegt und sich mit bewegender Stimme hier und heute in die Herzen junger Menschen gesprochen hat, spricht er sie immer auch frei von der Verantwortung vor dem, was eine andere Generation nicht verhindert hat. „Aber, Ihr werdet schuldig, wenn es wieder passiert!“, fügt Perel hinzu. Deshalb will er die Jugend in Deutschland „impfen mit den Tränen der ein ein halb Millionen vergaster jüdischer Kinder“ und nicht zulassen, das Auschwitz ungestraft als Lüge bezeichnet werden darf.
Lesereisen von Sally Perel an Schulen überall in Deutschland, vorbereitet und realisiert mit Hilfe der „Medienagentur lansk mehr“, gibt es seit mehr als einem Jahrzehnt. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung konnte die Möglichkeit, mit dem Zeitzeugen Perel politische historische Bildungsarbeit vor allem an Schulen zu unterstützen, erstmals 2001 wahrnehmen. Seit 2003 bietet die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Zusammenarbeit mit den Landesstiftungen solche Bildungsmöglichkeiten im größeren Rahmen an. Ca. 2000 TeilnehmerInnen, die Sally Perel hören und fragen möchten, erreichen wir jedes Jahr.
Das diesjährige Programm führt Sally Perel nach Schönebeck, Magdeburg, Gera, Leipzig, Kremmen, Berlin, Bad Doberan und Stralsund:
Sally Perel (Israel) »Hitlerjunge Salomon« erinnert sich: Wie die faschistischen Rassegesetze vor 70 Jahren Kindheit und Jugend zerstörten.
Dienstag, 1. November
14.30–16.30 Uhr Aula Gebäude Johannes-R.-Becher-Straße 88 a,
Ehemals Gymnasium am Malzmühlenfeld des
Dr. Carl-Hermann-Gymnasiums in Schönebeck,
Berliner Straße 8 b, 39218 Schönebeck
18.30–20.30 Uhr Aula des Albert-Einstein-Gymnasiums Magdeburg,
Olvenstedter Graseweg 36, 39128 Magdeburg
Kooperation Bildungsverein ELBE-SAALE e. V.
Mittwoch, 2. November
10.00–12.30 Uhr Staatliches Gymnasium »Karl Theodor Liebe« Gera,
Trebnitzer Straße 18, 07545 Gera
Kooperation Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen
Donnerstag, 3. November
10.00–12.00 Uhr Haus des Buches Leipzig,
Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig
14.00–16.00 Uhr Anton-Philipp-Reclam-Schule,
Tarostraße 4, 04103 Leipzig
Kooperation Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen,
Haus des Buches Leipzig, BdA Leipzig
Sonntag, 27. November
11.00–13.00 Uhr 16766 Kremmen, Im Scheunenviertel, Museumsscheune
(Filmvorführung, Freitag 25.11. oder
Samstag 26.11., zu erfragen bei Frau Wendland)
Kooperation Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg und
Jugendeinrichtung der Stadt Kremmen
Montag, 28. November
10.00–12.00 Uhr Schiller-Oberschule,
Schillerstraße 125–127, 10625 Berlin
Kooperation Migrantenbeauftragte Charlottenburg-Wilmersdorf
15.00–17.00 Uhr Barnim-Oberschule Berlin-Hohenschönhausen,
Ahrensfelder Chaussee 41, 13057 Berlin
Dienstag, 29. November
19.00–21.00 Uhr Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung,
Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
Mittwoch, 30. November
ab 10.00 Uhr Film und Diskussion im Kino,
Severinstraße 4, 18209 Bad Doberan
ab 18.00 Uhr Film und Diskussion im Speicher,
Am Katherinenberg 35, 18439 Stralsund
Kooperation RLS-Büro Mecklenburg-Vorpommern
Information:
Dr. Cornelia Domaschke, Tel.: 030 44310-151, domaschke@rosalux.de