Nicht übereinander, sondern miteinander diskutieren wollte die über »Antiimperialismus « tief zerstrittene radikale Linke der Republik am Wochenende in Berlin. Das klappte ganz gut – weil man den notorischen linken Antisemitismus-Streit umschiffte.
Gegen Ende hätte es dann doch noch fast gekracht. Alex Callinicos, Professor in London und einer der Köpfe der trotzkistischen britischen »Socialist Workers Party« (SWP), hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass der »Widerstand in Irak« aus seiner Sicht den derzeit »wichtigsten Kampf gegen den Imperialismus« ausfechte und er »persönlich« sich auch und gerade vom »legitimen« und »sehr effektiven militärischen Widerstand« nie distanzieren werde – und musste sich prompt empörte Gegenreden anhören. Das sei »Feind-meines-Feindes-Politik«, fast wie in den Siebzigern, als Teile der westeuropäischen Linken mit Pol Pot sympathisiert hätten, warf jemand vom Aachener Friedensforum ein. Der Linkspartei-Europaabgeordnete Tobias Pflüger stellte klar, dass nur »demokratischer und ziviler Widerstand« Adressat linker Politik sein könne. Und ein weiterer Diskussionsteilnehmer warf der SWP mangelnde Distanzierung von antisemitischen Äußerungen auf englischen Anti-Kriegs-Demos vor und nannte die SWP – Schwesterorganisation von »Linksruck« in Großbritannien – »abgefuckt«.
Flucht in Theorie und Sachlichkeit
Hätte die Irak-Diskussion nicht in einem Seitenzimmer stattgefunden, sondern im Audimax der Berliner TU, wäre der Kongress »Kapitalismus reloaded – Imperialismus, Empire und Hegemonie« an dieser Stelle mit lautem Knall in die Luft geflogen. Zu polarisiert ist die linke Szene an diesem Punkt – der heftige Streit um die umstrittene Kampagne »Zehn Euro für den irakischen Widerstand« ist zum Beispiel noch längst nicht aufgearbeitet. Doch der Veranstalterkreis, dem mit »Linksruck« auf der einen und Gruppierungen wie dem Zirkel um den »Argument«-Verlag und der Berliner Theorie-Formation »Kritik und Praxis« (KP) auf der anderen Seite Protagonisten des in der deutschen Linken schon seit Jahren anhaltenden Streits um Antiimperialismus, Antiamerikanismus und Antisemitismus angehörten, hatte sich darauf verständigt, gerade diese Klippe zu umschiffen. Im großen Hörsaal fand parallel zum Irak-Panel eine Podiumsdiskussion über »Ideologie und Subjekt« statt, und das Gros der laut Mitveranstalter Oliver Nachtwey um die 700 Kongressteilnehmer bekam vom im Hinterzimmer anklingenden Dauerkonflikt nichts mit. Obwohl die Idee zum Kongress, wie Vorbereiterin Christina Kaindl von der KP-Gruppe eingangs sagte, in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Irakkrieg entstanden war, spielte dieser nach anderthalbjähriger Vorbereitung nur eine Nebenrolle. Ein Vorgang, der über den Zustand der deutschen Linken mehr sagt als viele Referate.
Vor diesem Hintergrund machte die Mammut-Theorieveranstaltung mit fünf prominent besetzten Podien und an die 30 Workshops den Eindruck einer Flucht in Theoriebildung – und Sachlichkeit. Und so wurde statt über Irak lange und auf hohem Niveau über zeitgemäße Begriffe von »Imperialismus« nach David Harvey oder aber »Empire« nach Michael Hardt und Toni Negri debattiert. Industriesoziologen wie Stefanie Hürtgen aus Frankfurt zeichneten detaillierte Bilder von Offshoring und Kontraktproduktion in Osteuropa oder Fernost. Polit-Ökonomen wie Giovanni Arrighi aus Baltimore debattierten über die Rivalität zwischen den USA und China und deren Bedeutung für das 21. Jahrhundert, andere gaben Einführungen in die Werttheorie. Kulturwissenschaftler widmeten sich dem Individuum im neoliberalen Kapitalismus. Gewerkschafter berichteten von ersten, noch wenig effektiven Schritten in Richtung einer wenigstens europaweiten Tarifkoordination. Und die Rosa-Luxemburg-Stiftung – die den Kongress neben der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung und dem Bildungswerk Berlin der grünen Heinrich-Böll-Stiftung unterstützte – suchte sich in einer Sonderveranstaltung die im angelsächsischen Raum populär werdende Debatte um »Power Structure Research« anzueignen, um weiter an einer »Reichtumsdebatte« zu basteln.
»Miteinander statt übereinander«, so die Einladung, sollte am Wochenende debattiert werden. Am Ende hat man eher nebeneinander konferiert – aber sich immerhin nicht beschimpft.
Antisemitismus – verschobener Streit
Mitorganisator Nachtwey jedenfalls ist zufrieden: Das »Experiment« eines gemeinsamen Auftretens der so lange verfeindeten linken Lager sei nicht konfliktfrei verlaufen, insgesamt aber doch geglückt. Wer schon mal sachlich debattiert habe, hofft er, werde sich bei nächster Gelegenheit zumindest weniger aggressiv beschimpfen. Es solle auch eine weitere Zusammenarbeit geben – vorstellbar sei etwa ein Nachfolgekongress in zwei oder drei Jahren. Vielleicht kann man ja dann auch über den linken Antisemitismus-Streit reden. Nötig wäre dies allemal. Und das längst nicht nur wegen der deutschen Geschichte.