Pressemeldung | Nicht Ikone, sondern Stichwortgeberin

Berlin: Rosa-Luxemburg-Konferenz suchte nach Anknüpfungspunkten für aktuelle linke Debatten (Neues Deutschland, 6.3.2006)

Mit Rosa Luxemburg beschäftigte sich am Wochenende eine Konferenz in Berlin. Anlässlich ihres 135. Geburtstags ging es dabei nicht nur um die Würdigung einer der wenigen »unbeschädigten« sozialistischen Ikonen. Das von der PDS-nahen Stiftung veranstaltete Expertentreffen machte sich vielmehr auf die Suche nach Anknüpfungspunkten für die »Diskussion der Linken in der Gegenwart«.


»Wer würde heute noch von Rosa Luxemburg reden, wenn sie nicht im Januar 1919 ermordet worden wäre?« Ihr Werk stand, befand der Historiker und Verleger Jörn Schütrumpf zu Beginn der Konferenz, stets im Schatten ihres Todes: Zu DDR-Zeiten wurde sie als »Märtyrerin des Sozialismus missbraucht«, in deren »Glanz sich die SED-Führung auf beheizten Tribünen« sonnen konnte. »Von ihrem Werk gereinigt« war kaum mehr als eine »Ikone des Sozialismus« geblieben.

Die hohe Zeit der ungeschönten Aufarbeitung des Staatssozialismus ist zwar schon ein paar Jahre vorbei. Schütrumps Kritik öffnete am ersten Tag der Konferenz aber am eindringlichsten den Blick auf jene Rosa Luxemburg, die heute oft nur noch in der Formel von der »Freiheit der anders Denkenden« bekannt ist: Eine Autorität ohne autoritäre Vorstellungen, eine Revolutionärin und radikale Demokratin, eine Suchende ohne ewige Wahrheiten. Und auch wenn manche Begriffe sich wie Relikte aus dem frühen 20. Jahrhundert anhören – Proletariat, Revolution, Klassenverhältnis – sind doch die Debatten, die mit und um Luxemburg geführt werden können, aktueller denn je. Die Konferenz versuchte diese Aktualität in vier, wie es inzwischen gern heißt, »Modulen« einzufangen. Dass in Luxemburgs Denken die Revolution Dreh- und Angelpunkt ist, mag zwar heute hinderlich sein – man sagt nun lieber »über den Kapitalismus hinaus weisende gesellschaftliche Alternativen«. Bei näherer Betrachtung gewänne aber die parlamentarische Linke, wenn sie sich diesen Begriff »in einer demokratischen, antitotalitären Lesart« wieder aneignen würde, wie die Norwegerin Tanja Storlokken empfiehlt.

Dabei ginge es nicht darum, »eine richtige Theorie« bloß ins Heute zu versetzen. Die Fragen, die Luxemburg schon vor mehr als 100 Jahren diskutierte, sind nicht nur aktuell, sondern weiterhin unbeantwortet. Das gilt auch für die Diskussionen um linke Regierungsbeteiligungen, politische Strategien und das Verhältnis von Parteien zu sozialen Bewegungen und »der Masse«. Luxemburgs Kritik an der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, die sie zusehends in einer parlamentarischen Eigendynamik gefangen sah, führte Ende 1918/19 zum organisatorischen Bruch.

Man mag, wenn man will, eine Parallele zum aktuellen Berliner Streit zwischen Linkspartei und Wahlalternative erkennen. Ähnliche Fragen tun sich aber auch mit Blick auf die neuen Regierungen in Lateinamerika auf. Luxemburg hat ihren Schritt von 1918/19 nie als »objektiv richtige« Entscheidung verstanden. Politik, revolutionäre zumal, sollte in ihren Augen immer auch Versuch und Irrtum sein, eine Praxis, in der die Erfahrungen gesammelt werden können, die für »die andere Welt« unabdingbar sind. Auch was nach dem Bruch mit der SPD folgte, wurde wenig später – Luxemburg selbst war längst ermordet – zum Irrtum. Ein paar Jahre nach ihrer Gründung war die KPD stalinisiert, gesäubert von libertären Vorstellungen, von Demokratie und Menschenrechten. Ein »Zurück« zu Luxemburg sollte es bis 1989 nicht mehr geben.

Nicht zuletzt aus dem heutigen Umgang mit dieser Erfahrung der eigenen, linken Niederlage schöpfte auch die Berliner Konferenz Optimismus. »Eine neue Linke ist möglich!«, war einer der Veranstaltungsblöcke überschrieben – nicht eben von wissenschaftlicher Zurückhaltung geprägt. Hoffnung wird dabei nicht zuletzt auf die »Formierung von Elementen einer neuen Linken« gesetzt, den Sozialforumsprozess etwa oder Bewegungen im Gefolge des Aufstands der Zapatisten in Mexiko.

Mit Blick auf ein Element aus Luxemburgs Denken, die Frage der Spontaneität und Selbstbeteiligung der Massen, finden sich dann Gemeinsamkeiten, wo man zunächst keine vermutet: zwischen der scharfen Kritikerin der Verteilung von Land an Bauern durch die Bolschewiki, Rosa Luxemburg, und der Landlosenbewegung MST in Brasilien zum Beispiel. »Der Gedanke, dass sich die Subjekte im Kampf aufbauen, dass der Kampf die Subjekte formt«, sei eine Gemeinsamkeit, so die portugiesische Philosophin Isabel Loureiro. Und sie macht noch zwei weitere Übereinstimmungen aus: Die Verteidigung der radikalen Demokratie und das Ziel des Sozialismus.