Nachricht | International / Transnational Left Forum 2006

Mit transatlantischen Beziehungen hat die Linke ein Problem. Rainer Rilling über eine der Ausnahmen, das New Yorker »Left Forum«

Seit Anfang des Jahrzehnts organisiert die RLS die Teilnahme von WissenschaftlerInnen und politischen Aktivisten an dem Treffen in New York, das bis zum vorletzten Jahr »Socialist Scholars Conference«, und nun »Left Forum« heißt. Das diesjährigen Forum fand  vom 10. bis 12. März  2006 unter dem Titel »Gefährliche Zeiten – Globaler Widerstand & der Niedergang des Empire« in der Cooper Union in New York statt.

Eine vergessene Linke?

von Rainer Rilling

Wo von einer neuen Zeit des Aufschwungs der Linken gesprochen wird, stehen immer die lateinamerikanische Linke und – zuweilen – auch Abteilungen der europäischen Linken im Blickfeld. Die Rede von der Rifondazione der Linken lässt die Linke in den USA oder Kanada außen vor. Schließlich ist das mit dem Sozialismus in Amerika bekanntlich so eine Sache: letztlich gelang es nur zweimal in diesem Jahrhundert des langen Machtaufstiegs der USA, eine unabhängige politische Option jenseits des bis heute durch die Partei der Demokraten repräsentierten politischen Liberalismus stark zu machen. Stanley Aaronowitz hat im eben erschienenen zweiten Heft der Zeitschrift Situations in einem Beitrag „On Political Organization“ auf die Geschichte der amerikanischen politischen Linken zurückgeblickt und vor allem ihre organisatorischen Differenzierungen im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts nachgezeichnet, die hierzulande kaum bekannt sind. Deutlich wird dabei, welch breites Feld an politischen Vorschlägen, Konzeptionen und Organisationstechnologien die Linke durchgearbeitet hat, ohne entscheidend voranzukommen.
Freilich operiert sie dabei im Unterschied zur Linken in Europa oder Lateinamerika erstens in einem Raum, der immer faktisch nicht nur regional bzw. klein- und mittelstaatlich, sondern kontinental war; und dieser Raum war auch zweitens von Beginn an geprägt durch imperiale Ambition. Diese doppelte Herausforderung wird diese Linke immer prägen. Sie war von Beginn an mit einem Nationalstaat konfrontiert, dessen schiere Größe und Machtkonzentration von ihr Ressourcen und Perspektiven in einer Größenordnung abforderte, welche im Grunde eine europäische Linke bis heute nicht aufgebracht hat. Aktuell ließe sich dies am Projekt der Europäischen Linkspartei im Detail ablesen. Erst recht gilt dies für die Dimension des American Empire: eine amerikanische Linke sieht sich spätestens seit Mitte des letzten Jahrhunderts herausgefordert, die transformative Aneignung des weltweit Lokalen zum ständigen Reload des Globalen der Macht des amerikanischen Kapitalismus zu konterkarieren. Die lange Erfolgsgeschichte des amerikanischen Kapitalismus hat ja seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts damit zu tun, dass er es wie keine andere kapitalistische Formation verstanden hat, sein „Modell“ und seine spezifische „Varietät“ zu globalisieren, seine Waren und Werte so zu designen und zugleich zu assimilieren, dass sie überall auf der Welt lokal kulturell anschlußfähig und damit auch marktfähig wurden. Er exportierte nicht nur Waren, Produktionsweisen, Distributionsmuster und Regulationsregime („Fordismus“), sondern auch soziale Gebrauchswerte und Modellpakete, Gesellschaftsregeln und ökonomische Praxen („Konsumgesellschaft“), kulturelle Sets, urbane Lebenswelten wie auch politische Ideale („Demokratie“), die sich in einer kulturell äußerst attraktiven Ideologie („Amerikanismus“) verdichteten. Victoria de Grazia hat in ihrem glänzenden Buch „Irrestible Empire: America`s Advance through 20th Century Europe” (Harvard University Press: Cambridge 2005) diesen Prozess des Aufbaus des amerikanischen Market Empire untersucht, das wie kein anderer Kapitalismus sich befähigte, ständig neu die lokalen Märkte und ihre kulturellen Formationen zu verstehen, zu beeinflussen, zu adaptieren und umzubauen. Dass die Sprache und Bilder der großen Marktidole Hollywoods von Mr Smith goes to Washington bis Basic Instinct weltweit „funktionieren“, reflektiert diese erfahrungsgesättigte Kompetenz.

Eine amerikanische Linke (und nicht nur sie) hat – ob sie will oder nicht – mit dieser globalen Dimension zu tun. Sie diskutiert sie auch in der Sprache der Wissenschaft, indem sie die Situation des American Empire erörtert und immer wieder die Frage der Selbstorganisation in den Mittelpunkt stellt. Das tut sie nun freilich oftmals mit kontinentaler Borniertheit, die auf verblüffende Weise ignoriert, was es jenseits der Grenzen des Nationalstaats USA an Problemen, Lösungen und Akteuren gibt – schließlich muss die Abarbeitung an den kontinentalen Problemen erst einmal geleistet werden. Auf der anderen Seite bezieht sie dann doch immer wieder mit hoher Selbstverständlichkeit Fragestellungen und Blickweisen ein, die auf der Höhe der Problemstellungen eines globalimperialen Projekts liegen. Verbunden werden diese Perspektiven selten (das ist schließlich auch schwer) und ihr Zusammenhang wird auch oft genug nicht einmal bedacht. Allerdings nun ist der bornierte Blick keine Spezifität der amerikanischen Linken. Auffällig ist vielmehr, dass die radikale Linke in Europa wie Lateinamerika zwar periodisch durchaus Kulturen des „anderen Amerika“ mitsamt den dazugehörenden Ikonen übernommen hat (von Angela Davis bis Noam Chomsky) und sie selbst (und gerade auch ihre bundesdeutsche Abteilung) spätestens seit 1968 als gründlich amerikanisiert gelten kann; dass sie aber auf der anderen Seite nicht einmal ansatzweise imstande war, substantielle, inhaltlich innovative und politisch machtrelevante Kooperationsbeziehungen aufzubauen, wie sie sich etwa zwischen dem amerikanischem Liberalismus und dem europäischen (wie deutschen) Sozialliberalismus seit nunmehr über 80 Jahren entwickelt haben. Auch davon hat sie oft genug kein Bewusstsein: interessante Kämpfe in Venezuela, Indien oder China liegen ihr da meistens viel näher als die Streiks im Nahverkehr von New York City.


Doch der Aufbau einer engen transatlantischen Verbindung und Zusammenarbeit der Linken, die einen Weg jenseits des imperialen Liberalismus und seiner langen politisch vielfältigen Ausläufer sucht, muss als ein wichtiges Schlüsselprojekt einer wirklichen Neugründung der Linken gelten, wobei durchaus an die kurze Blüte der Trikontinentalen angeknüpft werden könnte. Linke Transnationalität hat sich seit den 90er Jahren allmählich in Projekten wie der Europäischen Linkspartei oder dem Sao Paulo-Prozess und vor allem natürlich dem weltweiten (aber auch noch keineswegs globalen) Sozialforumsprozess kristallisiert. Der lebendige Unterbau dieser Dynamik sind vielfältige Netzwerke und Kooperationsstrukturen, die im wesentlichen in den letzten ein, zwei Jahrzehnten entstanden sind. Von sehr wenigen und fragilen Initiativen oder auch Kooperationen abgesehen ist jedoch für die Akteure dieser neuen linken Dynamik die US-Linke kein Thema.
Der Aufbau einer solchen Verknüpfung der us-amerikanischen und europäischen Linken könnte jedoch gleich mehrfach von Nutzen sein: die europäische Linke würde von der us-linken Bearbeitung der doppelten Problemstellung der Kontinentalität und Imperialität der historisch innovativsten, mächtigsten und erfolgreichsten Varietät des Kapitalismus zehren, die bisher existierte. Für Schlüsselthemen der globalen Linken (Medienkapitalismus, ownership society, Liberalismus, Rassismus, Migration) hat sich die amerikanische Linke hohe Kompetenz und Erfahrungen angeeignet. Diese einsame US-Linke wiederum könnte nicht mehr bloß sporadisch auf Erfahrungen des Machtgewinns und –verlusts der Linken in Europa zurückgreifen und auch so den in ihren Reihen weit verbreiteten Illusionismus über „Europa“ als Gegenmodell zur bushistischen USA korrigieren, der auch ein Ergebnis einer wirklich frappierenden Unkenntnis über die Entwicklung in Europa ist. Sie würde aber auch realistischer und selbstbewusster ihre im Vergleich zu Europa (oder, was das angeht, gerade auch zur Bundesrepublik) eigenen Stärken einschätzen können, wie sie sich etwa in der erstaunlichen Präsenz linker, marxistischer und radikaler Theorien und Akademiker im Hochschulwesen, ihren bemerkenswerten Verbindungen zur mittel- und lateinamerikanischen Linken oder an der Mobilisierungsfähigkeit der verschiedenen Einpunktbewegungen zeigt, in welche die organisierte Linke und ihr politisches Milieu seit den 1980ern zerfallen ist. 

Das Eröffnungsplenum am 10.3.2006: Francois Houtart, Chico Whitaker, Heather Gautny, Nancy Fraser, Sabine Leidig, Thomas Poniah


Orte solcher Verknüpfungen sind bisher noch selten – lange übrigens nicht zuletzt ganz prosaisch auch als finanziellen Gründen, ein Faktor allerdings, der mittlerweile an Bedeutung sicherlich verloren hat. Betrachtet man die akademische Linke, so sind es in Europa die immer wichtiger werdenden großen Konferenzen der englischen und zentraleuropäischen Linken (Actuel Marx, Historical Materialism, Kapitalismus Reloaded, Inkrit-Jahrestagung) und vor allem linke (oft trotzkistische) Zeitschriften vor allem in England, aber auch in Deutschland, die Orte der Reflektion und Debatte der einschlägigen Analysen, Theorien und Konzepte in den USA waren und sind. Auch sozial- und kulturwissenschaftliche Publikationen der us-amerikanischen Linken von Rethinking Marxism bis zum Journal of World-Systems Research oder dem Monthly Review nehmen in allerdings sehr begrenztem Umfang theoretische Debatten in der europäischen Linken zur Kenntnis. Demgegenüber spielt in der nord-, ost- und südeuropäischen Linken diese Perspektive trotz des dort oftmals starken Amerikanismus keine große Rolle. Die soziale Linke in Europa - in Sonderheit die gewerkschaftliche Linke – hat demgegenüber nur minimale und flüchtige Beziehungen zu der amerikanischen globalisierungskritischen und gewerkschaftlichen Linken. Die Gemeinsamkeit der feministischen Linken in beiden Räumen besteht im wesentlichen darin, dass sie sich zeitgleich vaporisierte – wobei nicht übersehen werden sollte, dass die feministische Linke in Europa immer so stark beeinflusst war von den Entwicklungen in den USA, dass sie nach der 68er Generation zu einem weiteren, nachfolgenden starken kulturellen Repräsentanten des Amerikanismus wurde. Die kulturelle Linke endlich, soweit sie sich als solche überhaupt selbst identifiziert, hat demgegenüber weitaus weiterreichende, aber kaum organisierte und systematische transatlantische Beziehungen. Organisierte Orte und Medien endlich, die auf eine solche Kooperation der transatlantischen Linken spezialisiert sind, existieren überhaupt nicht.
Eines der wenigen regelmäßigen Ereignisse, die eine Möglichkeit des wechselseitigen Austauschs und der Vernetzung bereitstellen, ist das Left Forum (vormals Socialist Scholars Conference), das im Jahresturnus zumeist im März in der Cooper Union in New York stattfindet. In 2006 etwa ging es um Dangerous Times: Global Resistance & the Decline of Empire. In drei Tagen diskutierten in 75 Veranstaltungen fast 300 speakers mit über 1500 TeilnehmerInnen. Die Konferenz wird von einem guten Dutzend Organisationen unterstützt, darunter dem Brecht Forum, Monthly Review, Logos, Rethinking Marxism, Science and Society, Social Text, Social register und der URPE. Auch die Rosa Luxemburg Stiftung gehört seit Jahren zu den unterstützenden Organisationen, ist aber, was die internationale Kooperation angeht, eine deutliche Ausnahme. Die Konferenz hat ein Staff von einem weiteren guten halben Dutzend Personen und wird thematisch-inhaltlich und politisch von einer Kerngruppe gestaltet, zu denen überregional bekannte Linke wie Stanley Aaronowitz, Eric Canepa, William Tabb, Bill Fletcher, Richard Wolff oder Frances Fox Piven gehören. Zu einem Beirat gehören u.a. Gilbert Achcar, Tariq Ali, Luciana Castellina, Barbara Epstein, David Harvey, Michael Löwy, Manning Marable, Leo Panitch, Neil Smith oder Thomas Ponniah. Das Left Forum hat deutliche Grenzen: ein weites Feld der kulturellen und feministischen Linken in den USA hält dieses Projekt eher für ein orthodoxes Unternehmen der amerikanischen Traditionslinken und hält sich fern – eine Mutmassung, die hinsichtlich der Themen und ReferentInnen, nicht aber eines beträchtlichen Teils der Besucher wie auch der radikal textorientierten und bilderfeindlichen Veranstaltungskultur fehlgeht. 

Eric Canepa, der langjährige Organisator des Forums.


Gleichwohl reflektiert es eine Fülle von Fragestellungen, die für die Linke in Europa relevant ist: gibt es eine neue Typologie der realen Welten des Kapitalismus? Warum ist die verbreitete Annahme von einer Dollarkrise falsch? Ist das amerikanische Empire tatsächlich in decline, wie die Tagungsüberschrift offenbar eher hoffnungsvoll als analysegesättigt formulierte? Wie organisiert man Arme, Obdachlose, Immigranten („Poor Peoples Organizing Campaigns“)? Wie lässt sich eine technisch hoch entwickelte linke Medienbewegung entwickeln („Media Reform Movement“, „Media Justice Movement“)?  Welche Rolle spielt die „Human Rights Movement“ als Basis für eine Organisierung der Linken? Wie steht es um Diskriminierungspraxen – hier: um den Rassismus - in der Linken? Welche Klassenstruktur bildet sich in den USA heraus? Welches Profil könnte das Projekt einer neuen linken Partei haben, welche die Situation einer zersplitterten und unvermittelten Linken überwindet?


Derlei Perspektiven zeigen, dass sich die US-Linke bereits ein großes Stück Wegs aus der tiefen Lähmung nach Nineeleven und ihrer Resignation nach dem erneuten Wahlsieg Bushs herausgearbeitet hat. Am Rande der New Yorker Wallstreet, unmittelbar an der Uferstraße entsteht seit zwei Jahren das linke Bildungs- und Kulturzentrum Brecht Forum. Es wird in diesem Jahr fertig gestellt sein und, so ist anzunehmen, ein neuer Ort für eine neue Kooperation der Linken sein.



Die RLS war bei folgenden Veranstaltungen dabei:

Opening Plenary: Challenges to Empire
Chair: Deepa Fernandes, WBAI
Chico Whitaker, World Social Forum, Brazil
François Houtart, Centre Tricontinental, Belgium
Bill Fletcher, Jr., TransAfrica Forum
Aníbal Quijano, Centro de Investigaciones Sociales, Peru
Sabine Leidig, ATTAC - Germany

After the "No" to the E.U. Treaty
Left Forum and Rosa Luxemburg Foundation, Berlin
Chair: Barbara Garson, author, MacBird!
Jörg Huffschmid, University of Bremen
François Houtart, Centre Tricontinental, Belgium
Gilbert Achcar, University of Paris VIII
Jonas Sjöstedt, Left Party ( Sweden ), European Parliament
Michael R. Krätke, University of Amsterdam


What's Happening to the Left of Social Democracy in Europe Today?: The Party Landscape

Left Forum and Rosa Luxemburg Foundation, Berlin,
Chair: Chair: Marta Petrusewicz, Hunter College, CUNY
Christoph Spehr, Rosa Luxemburg Foundation, Germany
Frieder Otto Wolf, "Sustainable Strategy" Freie Universität – Berlin
Sabine Leidig, attac Germany
N.N..

Coming to Terms With Nature
Socialist Register
Chair: Leo Panitch, York University
John Sanbonmatsu, Worcester Polytechnic Institute
Heather Rogers, author, Gone Tomorrow: The Hidden Life of Garbage,
Frieder Otto Wolf, "Sustainable Strategy" Freie Universität - Berlin
Minqi Li, York University

Do We Need A New Radical Party? Going Beyond Movement Coalitions
Left Forum and Rosa Luxemburg Foundation, Berlin,
Chair: Julia Wrigley, Graduate Center, CUNY

Stanley Aronowitz, Graduate Center, CUNY
Rainer Rilling, Rosa Luxemburg Foundation, Berlin
Eric Chester, Socialist Party
Cindy Milstein, Free Society Collective, Vermont
Dan Cantor, Working Families Party


Out-Cooperating the Empire

Rosa Luxemburg Foundation, Berlin,
Chair: TBA
Trebor Scholz, SUNY, Buffalo
Jim Fleming, Autonomedia,
Christoph Spehr, Rosa Luxemburg Foundation, Germany
Andrej Grubacic, University of Belgrade