Pressemeldung | Bundesministerien sehen sich für dieses Problem nicht zuständig

Berliner Konferenz zur "Kinderarmut in Europa" (LinksZeitung, 24.06.2006)

Berlin (ppa). Nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gibt es derzeit in Deutschland rund 1,7 Millionen Kinder, die auf Sozialhilfeniveau leben müssen. Damit sei jedes vierte Kind im Land betroffen, sagte Rudolph Martens auf der Berliner Konferenz zur "Kinderarmut in Europa". Mit der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe würden den Bedarfsgemeinschaften jährlich rund vier Millionen Euro entzogen. Dies wäre exakt der Betrag, der gemäß den Ankündigungen im schwarz-roten Koalitionsvertrag, aus dem Bereich SGB II heraus gekürzt werden sollen. "Es wird wohl nicht überraschen, wenn sich der Trend zu immer mehr ungleichen Einkommen verstärken wird", sagte Martens. Zudem werde die Anzahl der Armutsbevölkerung weiter ansteigen.
Auf der zweitägigen gemeinsamen Konferenz der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken / Nordische Grüne Linke im Europäischen Parlament (GUE/NGL) und der Berliner Rosa-Luxemburg-Stiftung nahmen sowohl Wissenschaftler und Politiker als auch Praktiker teil, die ihre Ansichten zum Thema Kinderarmut austauschten. Kritik mussten sich Bundesregierung und Europäische Kommission gefallen lassen, die keinen Vertreter entsandt hatten. Keines der deutschen Ministerien sah sich für den Themenkomplex zuständig, berichtete etwa die Vorsitzende der deutschen PDS-Delegation im Europäischen Parlament, Gabriele Zimmer. Das Verhalten zeige allerdings, "welches Interesse und welchen Gesamtblick dem Problem entgegengebracht wird", sagte sie. Auch die Vertreterin der Europäischen Kommission habe es vorgezogen, am ersten Veranstaltungstag telefonisch ihren Verzicht mitzuteilen.

Koen Vleminckx vom belgischen Ministerium für Soziales, der zum Thema einige europäische Vergleichswerte vorstellte, versuchte eine Korrektur der bisherigen neoliberalen Ausrichtung, die Kinder als soziale Investitionen ansah, darzulegen. Es war ein Schuss in die falsche Richtung, sagte der belgische Wissenschaftler. Allkerdings hätten seinerzeit keine neoliberalen Gedankengänge unter Einschluss aller Facetten eine Rolle gespielt, versuchte er zu erklären. Vleminckx lobte die sozialen Modelle der nordischen Staaten, deren Kinderarmut unter fünf Prozent liege. Deutschland liege nach aktuellen Untersuchungen mit rund neun Prozent im Mittelfeld der EU-Staaten.