Eine Konferenz an der Erfurter Alma Mater beschäftigte sich am 7. und 8. Juli mit rechtsextremistischen Entwicklungen und möglichen Gegenstrategien auf kommunaler Ebene. Erstmals fand eine Veranstaltung dieser Größe in Kooperation von Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Kommunalpolitischem Forum Thüringens statt.
Am Freitagabend legten Vertreter der Landtagsfraktionen von CDU und Linkspartei sowie von kommunalen Bündnissen ihre Sicht auf das Problem dar. In der vom Jenaer Autor und Filmemacher Jens-Fietje Dwars geleiteten Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass die gemeinsame Erklärung aller Landtagsfraktionen gegen Extremismus bisher noch nicht ausreichend durch praktische Schritte untermauert wird. Nach wie vor ist noch nicht klar, ob die Arbeit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen durch eine entsprechende Kofinanzierung des Freistaates über das Jahr 2006 sichergestellt wird.
Am Samstag eröffnete der Jenaer Historiker Manfred Weißbecker die Tagung mit einem Beitrag über die Kommunalpolitik der NSDAP auf dem Weg an die Macht. Eine wirkliche Strategie der Nazipartei für den so genannten ländlichen Raum vermochte der Faschismusforscher nicht auszumachen, wohl aber die Tatsache, dass in Thüringen bis 1933 die NSDAP den ländlichen Gebieten höchste Aufmerksamkeit schenkte. Belegt werden konnte das auch an Hand der Wahlergebnisse zwischen 1927 und 1933. Im ländlichen und kleinstädtischen Raum, „wo Nachbarn einander besser kennen als in der Anonymität der Großstadt, wo traditionelles Gemeinschaftsdenken zu dominieren vermag, politischer Einfluss von Einzelpersonen sehr groß sein kann“, war die NSDAP demzufolge stärker als in der Urbanität von Ballungszentren. Auf dem Land verkraftete sie auch Rückschläge leichter.
Die Entwicklung der NPD sei gegenwärtig nicht mehr ohne die neonazistischen Kameradschaften denkbar. Das sagte der Hamburger Journalist und Publizist Andreas Speit. Dabei sei die kommunale Stärke und Verankerung von Rechtsextremisten nicht allein an der Zahl errungener Ratssitze festzumachen. Hier spielten einerseits strukturelle Netzwerke wie im Nazirock-Bereich genauso eine Rolle, wie feste Anlaufstellen in Form von Klubs, Veranstaltungshäusern und Szeneläden. Zum anderen habe sich die Szene politisiert: man warte mit eigenen Vereinen (z.B. zur so genannten „Brauchtumspflege) und mit seriös erscheinenden Bürgerinitiativen auf, welche an berechtigten Anliegen der Einwohner anzuknüpfen versuchten. Sichtbar wird eine immer stärkere personelle Übereinstimmung bei NPD-Funktionären und Kameradschaftsaktivisten. Der gewachsene Zulauf von Frauen bedeute eine Stabilisierung für die Szene. Es sei nicht mehr so, dass der Skinhead bei Gründung einer eigenen Familie „ausstiege“. Vielmehr würde bei einschlägigen Nazi-Veranstaltungen die Zahl geschlossen teilnehmender Familien steigen.
Das der Zusammenschluss von NPD und Kameradschaften in Thüringen vollendet sei, konstatierte Martina Renner. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Thüringer Linksparteifraktion sieht derzeit Antikapitalismus im Zentrum der inhaltlichen Ausrichtung der extremen Rechten im Freistaat. Organisatorisch und strukturell sei die extreme Rechte gestärkt. Es gibt nicht nur steigende Mitgliederzahlen bei der NPD, sondern trotz polizeilicher Überwachung auch eine erhöhte Konzertaktivität. Mit dem „Tag der nationalen Jugend“, „Rock für Deutschland“ und dem „Fest der Völker“ hat die Thüringer extreme Rechte drei überregional bedeutsame „Events“ im Jahreskalender der Szene. Ergänzt würde dies in jüngster Zeit mit entsprechenden Sportangeboten wie „nationalen Fußballturnieren“. Neu ist auch die Verteilung kostenloser Massenzeitungen mit deutlich regionalem Bezug.
Auf mögliche Gegenstrategien verwies anschließend Matthias Müller von der Mobilen Beratung in Thüringen für Demokratie - gegen Rechtsextremismus. Die Teams des Vereins könnten verschiedenste Beratungsangebote unterbreiten, allerdings immer nur auf Anfrage einer Privatperson, einer Kommune oder eines freien Trägers. Unter anderem würden Elternberatung und Schulungsveranstaltungen für Multiplikatoren, Jugendpfleger, Sozialarbeiter und Lehrer möglich gemacht. Müller verdeutlichte, das die Tätigkeit seines Vereins im Rahmen des Kampfes gegen Rechtsextremismus einen ganz spezifischen Beitrag darstelle. „Antifagruppen oder Kommunalpolitiker haben sicher andere Aufgaben“. Vehement warb Müller für die Bildung überparteilicher Bürgerbündnisse gegen Rechtsextremismus mit deutlich lokaler Orientierung. Seine Erfahrung sei, dass bei der Moderation solcher Bündnisse Kirchenvertreter eine wichtige Rolle spielen können.
Über die Erfahrungen mit einem Landesprogramm gegen Rechtsextremismus berichtete Bianca Klose. Die Referentin bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin schilderte den dortigen Umgang mit dem Problem. Das Landesprogramm sei beim Sozialministerium angesiedelt und knüpfe an das CIVITAS-Bundesprogramm an. Es herrschte im gegenwärtigen Senat eine klare Problemwahrnehmung und man verfolge keinen täterorientierten, sondern einen eindeutig zivilgesellschaftlichen Ansatz bei der Realisierung konkreter Projekte. Es gäbe unter der gegenwärtigen Rot-Rot-Konstellation eine enge Verknüpfung dieser Initiativen mit Aktivitäten von Landespolitik und Landesverwaltung. Alternativ zu den Aussagen des Landesamtes für Verfassungsschutz würden Landesregierung und Regierungsparteien bei der Mobilen Beratung zusätzlich eigene Auskünfte einholen. Auch in Berlin würden „lokale Aktionspläne“ existieren, beispielsweise, um mit Schulen zusammenzuarbeiten. Die Frage, ob die Teilnahme der Linkspartei an der Landesregierung sich positiv im Kampf gegen Rechtsextremismus bemerkbar mache, beantwortete Klose eindeutig mit ja.
Gerd Wiegel bezeichnete schließlich die extreme Rechte als die eigentlichen Verlierer der Fußball-WM in Deutschland. Entgegen massiver Androhungen kam es nur in Gelsenkirchen zu einem öffentlichkeitswirksamen Aufmarsch, bei massivem Gegenprotest. Spektakuläre Auftritte wie die angekündigte Unterstützung des iranischen Präsidenten, blieben aus. Der Politikwissenschaftler, nach seiner Tätigkeit als Leiter der MOBIT-Stelle in Gotha inzwischen wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Linken, warnte aber davor, den „gegenwärtigen schwarz-rot-goldenen Taumel zu unterschätzen“. Ein Text des NPD-Landtagsabgeordneten Gansel über so genannten „Normalisierungsnationalismus“ im Zuge des sportlichen Großevents zeige, das die extreme Rechte versuchen wird, in diese Hochstimmung einen völkisch basierten Nationalismus hinein zu interpretieren und für sich nutzbar zu machen. Wiegel ging in seiner Analyse des gegenwärtigen Zustandes der extremen Rechten auch auf Ergebnisse der letzten Wahlen ein. Dabei zeigte sich in Sachsen-Anhalt, dass die dortige DVU in ihrer Verfasstheit offenbar keine Wahlalternative für die starken neonazistischen Strukturen darstellte.
Dass sich wissenschaftliche Analyse, theoretische Vorbereitung und politisch-praktische Umsetzung nicht ausschließen, sondern in einem Wechselverhältnis stehen sollten, bewiesen Arbeitsgruppen zum Ende der Tagung.
In zwei Workshops wurden lokale Aktionsbündnisse vorgestellt. So flossen Erfahrungen aus Jena-Lobeda, Pößneck, Schleusingen und Berlin-Köpenick ein. An der Debatte beteiligten sich Wissenschaftler, Kommunalpolitiker und Bündnisaktivisten aus Berlin, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.
Bis zum Herbst sollen die einzelnen Redebeiträge auch in einem Protokollband vorgelegt werden. Der Band erscheint im Hildburghäuser Quer-Verlag und Vertrieb (www.verlag-quer.de ).
Nachricht | „Der Nazi vor der eigenen Tür“
Die Thüringer RLS beschäftigte sich mit rechtsextremistischen Entwicklungen in Kommunen