Nachricht | »AlternativMedien 2006/2007«

Das Verzeichnis ist zugleich eine Auseinandersetzung mit Geschichte und Zukunft der Alternativmedien. Gefördert durch die RLS.

»Alternative Medien sind tot« beginnt die Einführung des »Verzeichnis der AlternativMedien 2006/2007«. Sie haben sich "zu Tode gesiegt", indem ihre Anliegen zumindest teilweise in den Kapitalismus integriert wurden und sie werden – als Print-Medien – seit geraumer Zeit durch die verschiedenen Formen des elektronischen Kommunizierens und Publizierens abgelöst.

Dass dieses Projekt trotzdem Sinn macht, liegt daran, dass die Entwicklung einer zweiten Generation von Alternativmedien ohne Nutzung der vorliegenden Kompetenzen und Netzwerke nicht denkbar ist. Neben dem Publikationsverzeichnis bietet der redaktionelle Teil Übersichten und Einzelstudien zu Geschichte, gegenwärtiger Lage und Zukunft der Alternativmedien.

Herausgegeben wurde der Band von Bernd Hüttner, Mitarbeiter der Bremer Landesstiftung der RLS und des Archivs der sozialen Bewegungen Bremen. Die RLS hat die Publikation im Rahmen ihrer Projektförderung teilweise finanziert, für den Herausgeber ist dieser Umstand nicht ohne »eine gewisse Ironie, wenn heute die der aus den Runinen des Staatssozialismus entstandenen Partei nahestehende Stiftung ein solches Verzeichnis fördert«.

Kontakt und Bestellung:

http://www.leibi.de/alternativmedien/

Unter dieser Adresse findet sich als besonderer Service des Verlags auch ein Verzeichnis der Webadressen der im Buch aufgeführten Alternativmedien (soweit diese im Netz vertreten sind).

Inhaltsverzeichnis


Redaktioneller Teil

  • Bernd Hüttner: Alternative Medien sind tot, es leben die alternativen Medien. Zur Definition, Entwicklung und Zukunft alternativer Medien
  • Burghard Flieger: Politische Kultur(en) sichern Verlagsgenossenschaften als besondere Chance alternativer Printmedien
  • Gottfried Oy: Lebenswelt Gegenöffentlichkeit. Medienkritik und Alltag sozialer Bewegungen
  • Knud Andresen, Markus Mohr, Hartmut Rübner: „Aus der Kneipe Kreuzberger Vereinshaus (dröhnte) die Internationale oder ‚Der Osten ist rot’” Ein paar Schlaglichter zur Geschichte der Zeitschrift Agit 883 (1969 bis 1972)
  • Gisela Notz: Alternative Zeitungen und Zeitschriften der Neuen Frauenbewegungen. Entstehungsgeschichte(n) – Beispiele – politische Konzepte
  • Dieter Moldt: Andersdenken ist die Freiheit der Freien. mOAning star, die Zeitschrift der Offenen Arbeit und der Kirche von Unten in Ostberlin (1985 bis 1989)
  • Andi Kuttner: Do it yourself. Fanzines und die Geschichte ihrer Entstehung
  • Lena Laps: Ihrsinn allein unterm Regenbogen?
  • Redaktion IHRSINN: Schlussakkord. Abschied und Vorankündigung für eine letzte IHRSINN  
  • Lea Hagedorn: 300 Ausgaben gelebte Utopie. Ein Interview mit dem Graswurzelrevolution-Redakteur Bernd Drücke

Adressteil

  • Bernd Hüttner: Vorbemerkungen zum Adressteil
  • Adressteil, nach Postleitzahl sortiert
  • Bernd Hüttner: Statistische Auswertung
  • Bernd Hüttner: Materialien und Literaturhinweise zu alternativen Medien
  • Sachregister
  • Namensregister
  • Textnachweise
  • Zu den AutorInnen


Vorwort

Ob sich durch die Sozialproteste und die Bewegung gegen die Folgen der kapitalistisch-patriarchalen Globalisierung die Protestbewegungen wieder in einem Aufschwung befinden – manche reden schon im Zusammenhang mit den Sozialforen von der „Bewegung der Bewegungen" – oder ob sich derzeit angesichts ihrer relativ bescheidenen Erfolge Resignation und Frust breitmachen, soll und muss hier ungeklärt bleiben. Die Binnenkommunikation und die Ansprache der Öffentlichkeit findet heute auf anderen Wegen statt, als etwa zu Zeiten der Proteste gegen die Nachrüstung im Westdeutschland in den 1980er Jahre, was nicht zuletzt auch mit der Veränderung der sogenannten etablierten Medien zu tun hat. Hier ist zum einen die durch die Verluste aus dem Anzeigengeschäft herrührende Krise der Qualitäts-(tages-)zeitungen und die Integration der ehemals linksliberalen Leitmedien, wie etwa des SPIEGEL, in den deutschnationalen Mainstream zu nennen. Dies führt entgegen der manchmal zu lesenden These die Protestbewegungen seien in erster Linie ein Anhängsel, wenn nicht sogar ein Produkt der Medien, heute wieder zu einer Vertretungslücke für bestimmte politische Themen und Sichtweisen.

Alternative Printmedien, insbesondere Zeitungen und Zeitschriften, spielen weniger für die Information der breiten Öffentlichkeit eine Rolle, ihre Bedeutung liegt mehr in der internen programmatischen Debatte.

Nach 15 Jahren liegt mit diesem Buch wieder ein öffentlich zugängliches und gedrucktes Verzeichnis der alternativen Printmedien vor. Die Idee zu diesem Verzeichnis entstand Anfang 2005 im Anschluss an die Veröffentlichung Archive von unten (Neu-Ulm 2003).

Die Einwerbung von Beiträgen zum redaktionellen Teil erfolgte halböffentlich, über Mailinglisten und auf anderen Wegen. Die Resonanz war ernüchternd. So sehr die Beiträge zu begrüßen sind, kann doch als Ergebnis festgehalten werden, dass es derzeit keine weitergehende Beschäftigung mit alternativen Printmedien gibt – weder in der Wissenschaft, noch in den alternativen Printmedien selbst. Akademische Forschung und andere Auseinandersetzungen widmen sich eher den emanzipatorischen Möglichkeiten des Internet und anderer elektronischer Kommunikationsmittel. Was überhaupt heute alternative Printmedien sind, welche Bedeutung sie für Selbstverständigungsprozesse der (neuen) sozialen Bewegungen und das Erreichen einer größeren Öffentlichkeit spielen, scheint nirgendwo weitergehend reflektiert zu werden.
Für den vorliegenden Band konnten neun Beiträge eingeworben werden, davon befasst sich keiner mit der Zukunft alternativer Medien. Die Mehrheit thematisiert die Geschichte bestimmter Bewegungen bzw. die einzelner relevanter Medien.

Ob die veröffentlichten Adressen ein realistisches Abbild der real existierenden Landschaft der alternativen Printmedien darstellen, muss zwangsläufig offen bleiben, da niemand über ein vollständiges, geschweige objektives Bild verfügt, dies geht auch gar nicht. Mit dem Verzeichnis liegt aber auf jeden Fall eine aktuelle Annäherung vor. Zur Definition „Was ist überhaupt heute ein alternatives Printmedium?" und zur Debatte um gedruckte und neue Formen alternativer Kommunikation wie etwa Internetportale und Weblogs finden sich in der Einleitung zum Adressteil nähere Informationen und Thesen. Nicht zuletzt vermag niemand zu sagen, wie groß die Dunkelziffer existierender, aber hier nicht erfasster Medien ist. Die weite Szene der Musik-, Kultur- und anderen Fanzines ist vermutlich ebenso wenig in ihrer ganzen Breite erfasst wie die der selbstorganisierten studentischen Hochschulmedien oder die der linken Betriebszeitungen. Ob Knastzeitungen oder die allerorts erscheinenden Straßen- und Obdachlosenzeitungen überhaupt alternative Medien in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes sind, muss dahingestellt bleiben.