Nachricht | International / Transnational - Europa Instrumentalisierte Erinnerung?

Ein tschechisch-deutscher Dialog über Hindernisse auf dem Weg zur europäischen Integration

Im September fand auf Initiative des Kurt-Eisner-Vereins (KEV) Bayerns, der RLS Warschau / Berlin sowie der tschechischen Organisation SPED (Společnost pro evropský Dialog – Gesellschaft für den europäischen Dialog) im tschechischen Český Krumlov eine Konferenz statt, die sich einem sensiblen Thema zu nähern versuchte: Der Rolle von Geschichtsbildern und Geschichtspolitik im Prozess der EU-Osterweiterung. Vertreter und Vertreterinnen aus Tschechien, Polen und Deutschland beteiligten sich mit Vorträgen und Diskussionen an diesem Dialog.

„Dies war nicht die erste gemeinsame Aktivität“ sagt Renate Hennecke vom KEV. Die Organisatoren können bereits auf eine Reihe von Veranstaltungen in den vergangenen Jahren zurückblicken. Als Referenten wurden František Žich, Professor am soziologischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Hans Henning Hahn und Dr. Eva Hahn von der der Universität Oldenburg, Miroslav Prokeš von SPED sowie Mag Wompel vom gewerkschaftslinken Netzwerk Labournet Germany gewonnen.

Während Herr Žich die Ergebnisse einer soziologischen Umfrage zur Grenzregionenproblematik (siehe auch borderland.cz) vorstellte, widmeten sich die Vorträge von Herrn und Frau Hahn der Herkunft und Funktion von stereotypen Geschichtsbildern sowie der gegenwärtigen deutschen Kulturpolitik in Tschechien und ihren revisionistischen Inhalten. Linke Gewerkschaftsarbeit war das Thema von Frau Wompel, über Wahrnehmungen tschechischer Jugendlicher in Grenzregionen referierte Herr Prokeš. Sowohl ReferentInnen als auch TeilnehmerInnen bezeichneten das Treffen als fruchtbar und wünschen sich eine Fortsetzung des Dialoges.

Am Rande des Treffens führte Roman Janouch, Journalist der Zeitung Haló Noviny, ein Gespräch mit Milan Neubert, dem Vorsitzenden der tschechischen Partei SDS und Vorstandsmitglied von SPED.

Unser Traum ist eine vereinigte Linke Milan Neubert, Vorsitzender der Partei des Demokratischen Sozialismus, im Gespräch mit Roman Janouch Haló noviny, 21.10.2006

In unserer politischen Landschaft ist zum Glück die KSCM bereits nicht mehr die einzige politische Linkspartei, mit der gerechnet werden muss. Zu den kleineren Parteien, die sehr aktiv sind, gehört die Partei des Demokratischen Sozialismus. Zu den Kommunalwahlen traten ihre Kandidaten auch auf den Listen der KSCM an. Immer mehr beteiligt sich die SDS, zusammen mit zahlreichen Bürgervereinen, auch an wichtigen Bildungsprojekten. So z.B. Ende September an dem internationalen tschechisch-deutsch-polnischen Seminar in Ceský Krumlov, an dessen Rande auch das folgende Gespräch stattfand.

RJ: Wo wurde der Gedanke geboren, dieses Seminar über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Einflüsse der Nachbarländer aufeinander durchzuführen?

Das Projekt des Seminars entstand vor ungefähr einem Jahr als Ergebnis der lockeren Zusammenarbeit zwischen unserer „Gesellschaft für Europäischen Dialog“ und dem bayerischen linken Kurt-Eisner-Verein. Gemeinsam machten wir uns Gedanken darüber, dass die Linke im Allgemeinen im Hinblick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht aktiv genug ist, dass sie im Unterschied zu der Rechten keine profilierten Themen aufzuweisen hat und demzufolge den Prozess der europäischen Integration nur wenig beeinflussen kann. Sie löscht mehr oder weniger nur die Brände, die von der Rechten gelegt werden. Wir waren uns einig, dass man Themen finden muss, die die Völker auf beiden Seiten der Grenze eher verbinden als trennen können.

RJ: Können Sie die Gesellschaft für Europäischen Dialog, die an der Organisation dieser Veranstaltung beteiligt war, etwas näher vorstellen?

Unsere Gesellschaft wurde im September vor fünf Jahren gegründet, das Seminar ist also so etwas wie eine kleine Geburtstagstorte. Die Gesellschaft für Europäischen Dialog (Spolećnost pro evropský dialog – SPED) entstand am Vorabend des Beitritts der CR zur EU; anfangs hatten wir uns das Ziel gesetzt, zu einer öffentlichen Diskussion über die EU-Erweiterung beizutragen. Wir waren sehr darum bemüht, die europäische Integration als einen komplizierten, vielschichtigen Prozess darzustellen, der also für die Öffentlichkeit nicht mit einer einfachen Kampagne abgetan werden kann, weder im positiven noch im negativen Sinne. In dieser Richtung setzt unsere Gesellschaft ihre Arbeit auch nach dem Beitritt der CR zur EU fort. Wir versuchen, den Dialog zwischen einer breiteren Linken im internationalen Rahmen zu unterstützen, der sich im Wesentlichen auf das Alltagsleben der Menschen konzentriert, und zwar in gesamteuropäischen Zusammenhängen.

RJ: Was nehmen Sie sich in nächster Zeit vor?

Wir haben angefangen, an einem Projekt zu arbeiten, das untersuchen soll, wie besonders in den neuen EU-Ländern die Europäische Sozialcharta untersetzt wird. Im Rahmen dieses Projektes wollen wir in Zusammenarbeit mit dem Seniorenbeirat der Tschechischen Republik erfassen, wie unter den derzeit immer schlechter werdenden Bedingungen ein vernünftiges Wohnen ermöglicht werden kann, und die Lage mit der Situation in den anderen EU-Ländern vergleichen. Ebenso möchten wir gern zusammen mit den Gewerkschaften die Problematik der Rechte der Beschäftigten zur Diskussion stellen. Ein Teil unserer Aktivitäten hat schon traditionell mit dem Sozialforum zu tun. Die Leser von Haló noviny werden wissen, dass diese neue, als Netzwerk organisierte Form des Widerstands gegen eine Gesellschaft, die sich ausschließlich auf Kapitalbeziehungen stützt, in den alten EU-Ländern Verbreitung gefunden hat. In den neuen Ländern sind solche informellen Strukturen erst im Entstehen begriffen und haben unsere volle Unterstützung. Ich möchte noch ein weiteres Projekt erwähnen: In diesem Jahr ist es 40 Jahre her, dass das geniale Buch „Zivilisation am Scheideweg“ erschienen ist, dessen Autorenkollektiv von Radovan Richta geleitet wurde. Wir würden dieses zeitübergreifende Buch dem tschechischen Publikum gern in Form eines Seminars oder einer Konferenz näher bringen.

RJ: Welche Wirkungen können solche Seminare in der Praxis haben, insbesondere in den tschechisch-deutschen Beziehungen?

Die Bedeutung dieses Seminars sollten wir in dieser Phase nicht überbewerten. Ich denke, die Ergebnisse des Seminars sind eine Art Leitfaden für die Linke auf beiden Seiten der Grenze, welche Themen man in Zukunft angehen sollte, wie man sie medienwirksam machen kann. Das ist eigentlich der Versuch der Linken, eine Plattform zu finden, die zusammenschweißt, die dazu beitragen kann, die Spannungen, die zwischen den Grenzgebieten historisch gewachsen sind, zu überwinden. Es wäre bestimmt nützlich, wenn sich auf beiden Seiten der Grenzen politische Kräfte solcher Themen annehmen würden, die sie in ihrer praktischen Tätigkeit dann weiter entwickeln können.

RJ: Besteht die Möglichkeit, dass die deutsche Seite aktiv wird, um die inhaltliche Diskussion der Themen dieses Seminars in Český Krumlov in den nächsten Jahren in Deutschland weiterzuführen?

Der dritte Partner, der einen großen Beitrag zur Realisierung des Seminars geleistet hat, ist die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Diese wird bestimmt in Anbetracht des Erfolgs des Seminars bestrebt sein, mindestens noch ein ähnliches Seminar an der deutsch-polnischen Grenze zu organisieren, und die Einzelergebnisse könnte dann eine breiter angelegte internationale Konferenz so gegen Ende des nächsten Jahres verallgemeinern, zu denen wir dann gern die entscheidenden Kräfte der europäischen Linken einladen.

RJ: Wie wird sich beispielsweise die SDS, deren Vorsitzender Sie sind, in die Tätigkeit der SPED einbringen?

Die Partei des Demokratischen Sozialismus ist eine außerparlamentarische Partei, und folglich ist die Teilnahme ihrer Mitglieder an der Tätigkeit von Nonprofit-Organiationen wie z.B. der Arbeitnehmervereinigung, verschiedener Gewerkschaftsorganisationen oder von örtlichen Kulturvereinen oder Umweltvereinen einer der Hauptwege, auf denen wir außer in der Kommunalpolitik unsere Vorstellungen realisieren können. Die SPED ist in diesem Spektrum eine gewisse Ausnahme. Ihre Entstehung und ihr weiteres Wirken hängt unmittelbar mit der innerparteilichen Diskussion zusammen, wie man sich in die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Strömungen der tschechischen Linken einbringen kann und wie nach und nach historisch entstandene Stereotype der verschiedensten Art überwunden werden können. Das ist auch der Grund, warum wir der SPED so viel Aufmerksamkeit schenken.

RJ: Was versprechen Sie sich davon, dass Kandidaten Ihrer Partei bei den Kommunalwahlen an mehr als einem Ort auf den Listen der KSCM antreten?

Der Traum eines jeden links denkenden Menschen ist mit Sicherheit eine vereinigte Linke. Dass das nicht so einfach ist, sehen wir nicht nur bei uns zu Hause, sondern auch anderwärts in Europa. Die objektiv existierenden gesellschaftlichen Mechanismen bewirken Auseinandersetzungen zwischen politisch unabhängigen Subjekten, deren Endziel es ist, den Gegner von der politischen Landkarte zu verdrängen – mit dem Nebeneffekt, dass das politische Meinungsspektrum nivelliert wird. Vom Bewusstwerden dieser Tatsache ist es nur ein Schritt bis zu der Entscheidung, auf die Ihre Frage abzielt. Hinzufügen möchte ich noch, dass es zum Antreten auf einer bestimmten Liste keine verbindliche Vorgabe eines zentralen Organs gibt, sondern dass solche Fragen in der innerparteilichen Diskussion vor Ort entschieden wurden.

RJ: Sehen Sie eine reale Chance zu einer baldigen Vereinigung der wirklich Linken in der CR? Und was muss dafür gegebenenfalls getan werden?

Ich bin von Haus aus ein vorsichtiger Optimist. Im tschechischen Umfeld sehe ich positive Signale, zugleich bin ich mir aber dieser historisch gewachsenen Stereotype bewusst. Persönlich kann ich mir angesichts der Buntheit der Welt eine erfolgreich vereinigte Linke nicht anders vorstellen als bezüglich der Anschauungen vielfältig strukturiert. Die Voraussetzungen dafür müssen meines Erachtens von allen nebeneinander wirkenden Subjekten geschaffen werden, wobei deren Verantwortung direkt proportional zu dem realen politischen Potenzial ist, über das sie verfügen. Ich denke, wir werden für die Vereinigung der Linken nirgends ein fertiges Rezept finden. Die Grundlage dieses Prozesses, meine ich, ist die Diskussion, die aber mit dem Wissen einhergeht, dass uns auch heftig geführte Debatten für den Kampf gegen die Rechten stärken werden. Persönlich würde ich mir wünschen, dass in diesem Prozess auch die Haló noviny endlich eine ausgeprägtere Rolle spielen müsste.