Heutigen Jura-Studenten ist Eduard Gans nicht geläufig, im Gegensatz zu dessen akademischen Widersacher an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin, den konservativen Staatsrechtler und Kronsyndikus Friedrich Carl von Savigny. Insofern sei zumindest der juristischen Fakultät der heutigen Humboldt-Universität empfohlen, Hermann Klenner eine Vorlesungsreihe anzubieten, die sich freilich nicht nur auf die Verdienste von Gans um die Hegelsche Rechtsphilosophie beschränken muss. Klenner (Leibniz-Sozietät) brillierte am Montagabend in Berlin wieder einmal – mit dem emanzipatorischen Marx. Vorgestellt wurde vom Berliner Dietz Verlag der erste Band der Neuausgabe der (dort schon) in der DDR ab 1956 erschienenen Marx-Engels-Werke, MEW, herausgegeben (jetzt) von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Da es eine große Nachfrage gibt und viele Bände vergriffen sind, habe man sich an das große Unternehmen gewagt, begründete Michael Brie von der Stiftung. Verleger Jörn Schütrumpf dankte allen, die den ersten Band durch Spenden ermöglichten. Über einst schwierige Editionsbedingungen (Mangel an qualifiziertem Personal, materielle Engpässe, Entscheidungshoheit des KPdSU-Ideologiesekretärs Suslow über die Herausgabe von Manuskripten aus dem Fundus in Moskau) berichtete Rolf Hecker. Damals wie heute kolportierte Vorwürfe ideologisch intendierter Ausklammerung gewisser Marx-Schriften konterte er mit dem Hinweis, die MEW sei als Studienausgabe konzipiert gewesen, habe keine Vollständigkeit beansprucht. In die Neuausgabe sollen Fortschritte der Forschung, so durch die Arbeit an der Marx-Engels-Gesamtausgabe, MEGA, einfließen – dies bei gleicher Seitennummerierung, zwecks kontinuierlicher Zitierbarkeit. Allein das ist ein Kunststück, das Respekt verdient. Wie auch der kulante Preis: 19,90 Euro.
Doch was nun hat Gans mit Marx zu tun? Ersterer, dem zunächst als Juden trotz preußischen Emanzipationsedikts von 1812 die Beamtenlaufbahn verwehrt, ja, für den gar eine spezielle »Lex Gans« geschaffen worden war und der erst nach dem Übertritt zum evangelischen Glauben zum Professor ernannt wurde, hat den Emanzipationsgedanken revolutioniert. Im Römischen Recht bedeutete »emancipare« nicht weniger und nicht mehr, als dass der Sohn aus der Herrschaftsgewalt des Vaters (der ihn auch in die Sklaverei verkaufen konnte) entlassen wird. Gegen die langlebige Vorstellung der gnädigen Gewährung der Freiheit von »oben« hat Gans, beeinflusst von den Saint-Simonisten, die »Emanzipation aller Unterdrückten« als ein Sich-selbst-Emanzipieren aus knechtenden Zuständen artikuliert. Unter den 1500 (!) Studenten, die in seine Lektionen strömten, saß 1836 ein junger Mann aus Trier, Jude wie er, der später »Zur Judenfrage« schrieb. Begierig sog dieser die Lehre von der Opposition auf, ohne die kein Staat sich entwickeln könne. Für den Rechtsphilosophen Klenner, der übrigens im März 1957 im SED-Theorie-Organ »Einheit« Band 1 MEW kühn kritisiert hatte, da dieser die »Ökonomisch-philosophischen Manuskripte« nicht beinhalte und das Vorwort nur »Phrasensalat« bot (z. B. »die alles besiegende Lehre des Marxismus« – alles, auch sich selbst?), sind Gans und Marx Beispiel dafür, dass sich jedes Denken auf vorheriges stützt, es korrigiert, ergänzt, weiterentwicklt. Kontinuität versus Diskontinuität.
Oder, wie Michael Brie zur »aktualisierten« MEW sagte: »Was bleiben will, muss sich verändern«.
Pressemeldung | Gans. Marx
Neuausgabe der MEW vorgestellt (Neues Deutschland, 9.5.2007)