Kathrin Buhl, langjährige Geschäftsführerin und Projektleiterin der Stiftung Nord-Süd-Brücken, geht im August für die Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Brasilien. Auf der morgigen Jahresversammlung ihrer bisherigen Wirkungsstätte wird sie im wahrsten Sinne des Wortes mit allerlei Theater verabschiedet. Die Bilanz der Stiftung, Lebensspenderin der ostdeutschen Entwicklungsszene, kann sich sehen lassen.
Die Ich-Form sucht Kathrin Buhl möglichst zu vermeiden, aber als wir über ihre Jahre in der Stiftung Nord-Süd-Brücken sprechen, sagt sie plötzlich sehr bestimmt: »Ich war vom ersten Tag an dabei« – so als ob sie einen Punkt machen, aber zugleich ihre bisherige Lebensleistung pointieren wollte. Dreizehn Jahre sind schließlich kein Pappenstiel. Aber nun zieht es sie von Berlin ins brodelnde São Paulo. Sie mochte ihre Brücken-Arbeit, aber dann packte sie die Lust »auf etwas Neues, was inhaltlich nicht ganz so weit weg ist vom Bisherigen«. Und Brasilien? Nun ja, sie absolvierte in den 1980er Jahren ein Lateinamerikastudium in Rostock. Die Wendezeit erlebte sie ebenso ambivalent wie viele andere: Auf der einen Seite tolle Aufbruchstimmung, auf der anderen soziale Unsicherheit. Aber dann der Aufbruch im Umbruch: Sie findet einen Platz in der Nichtregierungsorganisation Oikos, die im portugiesischsprachigen Angola agiert. Sie beteiligt sich am legendären Entwicklungspolitischen Runden Tisch – ein prägendes Erlebnis: »Leute mit sehr unterschiedlicher Herkunft überwanden Misstrauen und Vorbehalte zugunsten einer Sache: Die deutsche Einheit sollte nicht zu Lasten der Dritten Welt gehen.« Und in einem langwierigen Prozess setzten sie – entgegen den Absichten des damaligen BRD-Finanzministers, die Gelder des DDR-Solidaritätskomitees einfach zu kassieren – die Gründung der Stiftung Nord-Süd-Brücken durch.
Ohne große Worte skizziert Kathrin Buhl die Stiftung als Erfolgsstory: »Sie hat die nach der Wende schnell aufgeblühte ostdeutsche entwicklungspolitische Szene trotz immer schwierigerer Rahmenbedingungen nicht schlechthin am Leben erhalten, sondern eine kontinuierliche Entfaltung ermöglicht.« Nicht allein durch Finanzspritzen – die Stiftung hat seit 1994 rund 1650 Projekte mit über 10 Millionen Euro gefördert – , sondern vor allem auch durch Begleitung, Vernetzung und Lobbyarbeit.
Schwerpunkte waren und sind die Förderung von Auslandsprojekten und die Aufklärung im »Entwicklungsland Deutschland«, wie sie spitz formuliert. Bislang finanzierte die Stiftung 383 Entwicklungsprojekte in 58 Ländern der Dritten Welt im Umfang von 5,1 Millionen Euro – aber die Anzahl der Auslandsprojekte geht zurück. Buhl erklärt das damit, dass das Stiftungskapital heute wesentlich weniger Zinsen abwerfe und dass »die Stiftung als lernende Organisation im Laufe der Jahre auch ihre qualitativen Ansprüche an Auslandsprojekte im Sinne von Nachhaltigkeit deutlich erhöht hat«.
Für die Inlandsarbeit sind die finanziellen Rahmenbedingungen ebenfalls deutlich enger geworden, konstatiert Buhl. Die anfangs üppig fließenden U-Mittel seien für ostdeutsche Gruppen jetzt praktisch unerreichbar, auch die anfangs vorhandenen Mittel vieler Bundesländer für Entwicklungsarbeit wurden »massiv zusammengestrichen«. Zwar konnte die Stiftung zusätzliche Fördermittel für drei Programme vom Entwicklungshilfe-Ministerium (BMZ) aquirieren, aber »verglichen mit anderen europäischen Ländern hinkt Deutschland hinterher und unsere Forderung, ein bis zwei Prozent der BMZ-Ausgaben für Inlandsarbeit zur Verfügung zu stellen, ist bei weitem nicht erfüllt.«
Einen Wermutstropfen allerdings sieht Buhl in der ansonsten wohl gefüllten Bilanz-Schale der Stiftung – ein Defizit an politischer Aktion innerhalb der ostdeutschen entwicklungspolitischen Szene. Zwar habe die Stiftung immer wieder versucht, sich einzumischen, oder die Vermittlung von Kampagnen wie »Deine Stimme für die Armut« übernommen. Aber die ostdeutsche Präsenz bei gesamtdeutschen Aktionen sei immer noch gering. Beispiel G8 Heiligendamm: Die Stiftung unterstützte zwar den Alternativkongress und unterbreitete den Gruppen Projektangebote. Einiges sei passiert, aber »der große Ansturm aus der ostdeutschen Szene blieb aus«. Und so legt sie ihrem Nachfolger Walter Hättig, bislang Geschäftsführer des Weltfriedensdienstes, ans Herz, das politische Engagement der Stiftung weiter zu schärfen und eine ersprießliche Dialogkultur aller entwicklungspolitischen Akteure zu entfalten – der Runde Tisch lässt grüßen.
Nun also Brasilien. Von Anfang an ist Kathrin Buhl begeistert von der dortigen »Vielfalt der sozialen Bewegungen«, mit denen sie künftig als Leiterin des regionalen Auslandsbüros São Paulo der Rosa-Luxemburg-Stiftung viel zu tun haben wird. Und morgen heißt es auf der Stiftungsversammlung Abschied nehmen von den bisherigen Mitstreitern – wobei das Thema »Theater in der Entwicklungszusammenarbeit« durchaus kein Zufall ist. Buhl betrachtet
das Theater als ein sehr wirkungsvolles emotionales Instrument der Aufklärung – sofern es, wie das von dem Brasilianer Augusto Boal kreierte »Theater der Unterdrückten«, die Welt nicht nur interpretiert, sondern Lösungswege für Veränderung aufzeigt. In diesem Sinne habe die Stiftung mehrere Theaterprojekte ostdeutscher Gruppen gefördert. Und gern erinnert sich Buhl daran, wie sie mit Spielszenen im Foyer des Berliner Abgeordnetenhauses vor Haushaltsberatungen die Beibehaltung des entwicklungspolitischen Etats einforderte.
»Ab August«, heißt es auf der Einladung zum morgigen Treffen, »wird Kathrin Buhl im Heimatland von Augusto Boal arbeiten und dort vielleicht auch Theater spielen.« Sie lacht. Theater, soviel weiß sie, spielt in Brasilien auch in der politischen Bildung eine große Rolle. »Von daher bin ich ziemlich sicher, dass ich die eine oder andere Gelegenheit finde...«
Theater in der Entwicklungszusammenarbeit – Show oder Bühne der Emanzipation, Jahresveranstaltung der Stiftung Nord-Süd-Brücken u.a. mit der Aktionstheatergruppe Halle und dem Teatro Trono aus Bolivien. Am 4. Juli um 17 Uhr im Haus der Demokratie, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin