POTSDAM. Matthias Platzeck hat die Geschichte schon oft erzählt: Auf der Liste der zu internierenden DDR-Oppositionellen im Bezirk Potsdam habe er nach der Wende auch seinen Namen gefunden. Unterzeichnet war das Papier vom ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung, Heinz Vietze. Das hat Platzeck gegruselt. Gestern nun hat sich eben dieser Heinz Vietze, Strippenzieher von PDS und heutiger Linkspartei, mit dem 60. Geburtstag aus der aktiven Tagespolitik zurück gezogen. Einer seiner Festredner war Brandenburgs Ministerpräsident und SPD-Chef Matthias Platzeck.
Heinz Vietze ist bundesweit ein Unikum. Er war FDJ-Funktionär, dann SED-Kreischef von Potsdam und in den Wendemonaten 1989 - im Alter von 42 Jahren - der letzte Bezirkschef der untergehenden Einheitspartei. Und er ist der einzige ranghohe DDR-Funktionär, der bis heute aktiv Politik treibt. Mittlerweile über Parteigrenzen geachtet bis hinein in die CDU.
Als Matthias Platzeck seine Geschichte seiner "schwierigen Annäherung" an Vietze erzählt, erwähnt er die Internierungslisten nicht. Aber er berichtet davon, wie schwer es ihm gefallen sei, mit ihm umzugehen. "Ich vergesse nicht, was war. Ich habe Jahre gebraucht, bis ich mit ihm das erste Mal quasi privat ein Bier trinken gehen konnte." Respekt und Achtung sei bei ihm gewachsen davor, wie sich Vietze mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt und auf welche Art er sich in die Politik eingebracht habe. "Ich habe zu ihm Vertrauen, bei allen unterschiedlichen Sichten."
Der zweite starke Mann in der SPD/CDU-Koalition, Finanzminister Rainer Speer, hat persönliche Erfahrungen mit dem FDJ-Sekretär Vietze gesammelt. In den 80er-Jahren musste Speer als Jugendclubleiter in Potsdam mehrfach bei Vietze vorsprechen. Mal verbot der ihm, ein Friedensfest mit kirchlichen Gruppen auf der Potsdamer Freundschaftsinsel abzuhalten. Mal untersagte er den Auftritt Speers bei einem Jugendtreffen. Zur Begründung zitierte der FDJ-Chef gerne Lenin. "Der hatte seine 42 Bände Lenin mit der Muttermilch eingesogen", sagt Speer. "Heute gilt das gleiche für das Grundgesetz."
Wegen der Gängelung durch die SED zog sich Speer damals frustriert aus der Jugendarbeit zurück und restaurierte Möbel. 1989 baute er die SPD in Potsdam mit auf. An diesem Tag sitzt er unter den 300 Gästen im Potsdamer Tagungshaus Blauart zwischen Nachwende-Politikern wie Hans Otto Bräutigam oder Klaus-Dieter Kühbacher, Minister im ersten Stolpe-Kabinett. Und Speer trifft auf alte SED-Kader wie den früheren Potsdamer Bezirkschef Günter Jahn. Der letzte Generalsekretär Egon Krenz fehlt nur, weil er gerade in Griechenland urlaubt.
Krenz, sagt Heinz Vietze vor seinen Gästen, sei ihm ein wichtiger Lehrmeister gewesen. Dennoch ha- be er ihn zum Rücktritt aufgefordert, damals. Vorwürfen, er habe für die Stasi gearbeitet, hält er entgegen: "Ich habe keine Berichte geschrieben. Für mich wurden sie geschrieben." Und offener, als Platzeck selbst es an diesem Tag zu tun bereit ist, beschreibt Vietze, wie tief die Kluft einst war: "Herr Ministerpräsident, 1989 waren Sie für mich Mitglied einer verfassungsfeindlichen Bewegung."
SPD-Politiker wie Platzeck oder Speer waren es, die 1999 erstmals die Koalition mit der CDU auf den Weg brachten. Beiden wurden stets auch emotionale Vorbehalte gegenüber Rot-Rot nachgesagt, zumal in der Brandenburger Linkspartei der DDR-Altkader Vietze auch ohne offizielles Amt die Fäden zog. "Unfug" nennt Speer solche Mutmaßungen heute. Ohne Heinz Vietze würde es eher schwieriger als leichter, ein Bündnis mit der Linken zu schmieden: "Er ist ein Garant für verlässliche Absprachen." Parteiämter hat Vietze trotz seines strategischen und politischen Talents seit dem Ende der DDR nicht mehr übernommen. "Ich hätte nie gedacht, was man alles aus der zweiten Reihe fingern kann", sagt dazu Gregor Gysi, Vorsitzender der Bundestagsfraktion. Vietze habe bewiesen: "Auf das Amt kommt es überhaupt nicht an."
In der Landtagsfraktion ist Vietze seit 17 Jahren stellvertretender Chef und parlamentarischer Geschäftsführer, beherrscht virtuos wie kein anderer die Geschäftsordnung. Beide Posten gibt er kommende Woche ab, will bis 2009 nur noch einfacher Abgeordneter sein, sich mehr um sein neues Ehrenamt als Vorstandschef der parteieigenen Rosa-Luxemburg-Stiftung kümmern.
"In meinen Kreisen weiß man, was man mit so einer Stiftung alles machen kann", gibt der Anwalt und CDU-Dissident Peter-Michael Diestel Vietze mit auf den Weg. "Wenn das auch bei euch begriffen wird, wirst du der wichtigste Mann in deiner Partei sein."
Pressemeldung | Lenin und das Grundgesetz
Vom SED-Funktionär zum Strippenzieher der Linken: Heinz Vietze gibt seine Ämter auf (Berliner Zeitung, 20.9.2007)