2017 jähren sich sowohl die bürgerliche Februarrevolution als auch die bolschewistische Oktoberrevolution zum 100. Mal, was bereits jetzt eine Vielzahl von Publikationen unterschiedlichster Art hervorgebracht hat. „Diktatur statt Sozialismus“ lautet der Titel von Jörn Schütrumpfs Beitrag zu diesem Themenkomplex.
Dabei gliedert sich sein 463-seitiges Werk in mehrere Abschnitte: Ein erfreulich kurzes Vorwort (S. 9) eröffnet den Band und verweist auf über 100 Einzelbeiträge, die vorwiegend in der „Sozialistischen Auslandspolitik“, der „Leipziger Volkszeitung“ und einer von Clara Zetkin publizierten periodisch erscheinenden „Frauen-Beilage“ sowie der „Roten Fahne“ und einigen mehr erschienen sind. Doch neben den hieraus zitierten Artikeln, die vielen bereits bekannt sein dürften, ergänzt Schütrumpf seine Edition um Beiträge aus dem „Sozialdemokrat“ von 1918 – einem Jahrgang, der bis vor kurzem als verschollen galt. Die spektakuläre Wiederentdeckung eines Exemplars im Berliner Bundesarchiv schildert der Autor schließlich in einem Nachwort, das er „Zankapfel Bolschewiki“ genannt hat (S. 441-448, hier S. 447, Anm. 38).
Zu Beginn des Werks geben die Dokumente in einem ersten kleineren Sinnabschnitt die Streitigkeiten zwischen Mathilde Jacob und Paul Levi sowie Clara Zetkin und einigen weiteren wieder, die es verhinderten, dass Paul Frölich später im Auftrag des Zentralkomitees der KPdSU den Band II aus Rosa Luxemburgs Nachlass veröffentlichen konnte[1] – denjenigen, in welchem es um die Russische Revolution gehen sollte und den Levi fragmentarisch bereits veröffentlicht hatte. Schütrumpf schreibt, dass „in den Monaten zwischen der Gründung der USPD und der Republikanisierung des Deutschen Reiches […] in der deutschen Linken alle Argumente pro und kontra Bolschewiki ausgetauscht [wurden]“ (S. 448). Eine letzte fulminante Ergänzung des Disputes böte höchstens noch der Ausgang des Zweiten Weltkrieges, der Sieg des Bolschewismus über den Nationalsozialismus.
Anschließend folgt der zweite, deutlich längere Sinnabschnitt, in welchem Schütrumpf einleuchtend diejenigen Dokumente aus dem „Sozialdemokrat“ den bereits bekannten Artikeln gegenüberstellt und somit stellenweise völlig ungekannte Perspektiven schafft. Hierbei wird der Herausgeber nicht müde, immer wieder mithilfe von Sekundärliteratur und eigenen Erklärungen im Fußnotenapparat wertvolle Zusatzinformationen einzustreuen. Dabei fällt erfreulich auf, dass sich Schütrumpfs Team gegen eine kritische Edition entschieden hat, was den Zugang für WissenschaftlerInnen nicht versperrt, ihn jedoch für viele interessierte Laien erst öffnet. Wenngleich die Abwesenheit eines zentralen Literaturverzeichnisses auffällt, was den Zugang zu lediglich einzelnen Dokumenten gewiss erschwert, fällt dafür das kommentierte Personenregister umso positiver auf, das Namen, die noch nicht in Fußnoten erläutert wurden, kurz einordnet. Auch ein Ortsregister fehlt nicht.
Besonders erfrischend sind Schütrumpfs gelegentliche Einwürfe in den Anmerkungen, die manchmal nur Wissen aus dem breiten Fundus des Herausgebers wiedergeben sollen, bisweilen jedoch auch mit verbreiteten und nie hinterfragten Gerüchten aufräumen. Schreibt beispielsweise Clara Zetkin 1922, Rosa Luxemburg hätte die Oktoberrevolution falsch beurteilt, weil ihr in Festungshaft nicht ausreichend Lektüre zur Verfügung gestanden hätte, so listet Schütrumpf sämtliche Tages- und Wochenzeitungen auf, die in Luxemburgs Zelle vorrätig waren, gibt Erklärungen über ihre BesucherInnen, die das Material besorgt hatten, und zitiert sie sogar aus Briefen an Franz Mehring, wo sie von ihren Abonnements berichtete (S. 52, Anm. 8).
Abschließend kann gesagt werden, dass die vorgelegte Publikation den wissenschaftlichen Fundus zum Komplex der Oktoberrevolution wie auch ihrer Rezeption im deutschen Lager der Linken für die Jahre 1917/18 vortrefflich ergänzt und künftig als Standardedition begriffen werden darf.
Jörn Schütrumpf (Hrsg.): Diktatur statt Sozialismus. Die russische Revolution und die deutsche Linke 1917/18 (464 Seiten, ISBN 978-3-320-02331-7, Karl Dietz Verlag Berlin 2017)
[1] Vgl. Alexandra Kemmerer, Rosakind, in: Zeitschrift für Ideengeschichte X (2016) 3, S. 44-52, hier S. 47, Anm. 8.