Nachricht | Staat / Demokratie - Partizipation / Bürgerrechte Schützt die Verfassung vor ihren falschen Hütern! Gegen die Kriminalisierung der Linken

Unter diesem Titel luden Friedens- und Zukunftswerkstatt und Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen zu einer Konferenz nach Frankfurt/Main im November letzten Jahres. Eine Dokumentation.


Inhalt:

Frank Deppe:
Zur Geschichte der Diffamierung der Linken in Deutschland und in Hessen

Martin Kutscha:
Die Rolle des Verfassungsschutzes bei der Diskreditierung der Linken

Andreas Fisahn:
Das Grundgesetz und der Wandel der Wirtschaftsverfassung

Alex Demirovic:
Karl Marx, die Verfassung und ihre Schützer

Peter Christian Walther:
Aufgaben für die Linken

Vorwort:

Sonntag, dem 23. November 2008, im Frankfurter Gewerkschaftshaus

Veranstalter: Friedens- und Zukunftswerkstatt und Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen, unterstützt vom Beirat der Partei DIE LINKE in Hessen.

Folgende Überlegungen führten dazu, diese Konferenz durchzuführen:

Einerseits ist es mit dem Einzug der Linken in einige westdeutsche Landesparlamente (Bremen, Niedersachsen, Hessen und Hamburg) gelungen, das Parteienspektrum nach links zu öffnen. Dies ist Ausdruck einer weit verbreiteten Unzufriedenheit breiter Kreise der Bevölkerung mit der herrschenden Politik.

Für die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche als
Ausdruck wachsender sozialer Ungerechtigkeit, verbunden mit der Angst vor der Zukunft, werden neben dem Wirtschafts- und Finanzkapital auch die etablierten Parteien verantwortlich gemacht.

Andererseits verschärfen die konservativen Kräfte ihre Angriffe auf alle fortschrittlichen und demokratischen Kräfte, seien es radikale Demokraten, Sozialisten, Marxisten oder Kommunisten.

Diese Angriffe zielen in letzter Instanz darauf, jede Alternative zur herrschenden Politik zu diskriminieren, zu diskreditieren und wenn möglich auch zu kriminalisieren.

Eine besondere Rolle spielt der Verfassungsschutz (siehe Beiträge von Kutscha und Demirovic). Entgegen der ursprünglichen Intention nach 1945, den Verfassungsschutz als “Zentralstelle” u.a. “zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes” einzurichten, wurde er sehr schnell zu einer Institution, die in die Politik eingreift. Sie bedient sich dabei eines interpretatorischen Tricks: der verfassungsrechtliche Rahmen für eine demokratische Gesellschaft wird gleichgesetzt mit den bestehenden Machtverhältnissen, ganz in der Tradition der konservativen Interpretation des Grundgesetzes. Polilitische Relevanz erhält diese Position dadurch, dass negative Wertungen der Verfassungsberichte von den Massenmedien und der Öffentlichkeit übernommen und kritische Positionen als “extremistisch” qualifiziert werden.

Im Verlaufe der Konferenz wird mehrfach darauf hingewiesen ( siehe Beiträge von Deppe und Fisahn), dass die Über- und Unterordnung von Wirtschaft und sozialer Gestaltung der Gesellschaft keineswegs im Grundgesetz und schon gar nicht in der Verfassung des Landes Hessen festgeschrieben ist. Ganz im Gegenteil wird insbesondere in der Hessischen Verfassung, aber auch im Grundgesetz, darauf hingewiesen, dass die “Ordnung unseres Gemeinwesens” darauf gründet, den Missbrauch der wirtschaftlichen Freiheit” (Art. 39 Hess-LVerf) zu untersagen und die Sozial- und Wirtschaftsordnung auf der Basis der Würde des Menschen zu entwickeln; insbesondere die Arbeitskraft des Menschen ist gegen Ausbeutung und die Risiken kapitalistischen Wachstums unter den Schutz des Staates zu stellen.(Art. 27/28 Hess-LVerf). Dies wird angesichts der sich entwickelnden Wirtschafts- und Finanzkrise immer wichtiger.

Bis in die Gegenwart hinein zieht sich die staatsrechtliche Kontroverse (siehe Beitrag von Fisahn) um das Sozialstaatsprinzip. Während in der einen Auffassung vertreten wird, dass die Bundesrepublik Deutschland gemäß dem Sozialstaatsprinzip einer demokratischen, solidarischen und sozialen Ökonomie verpflichtet sei (Abendroth), wird in der kontroversen Position die Auffassung vertreten, dass sich Rechtsstaat und Sozialstaat wechselseitig ausschließen (Forsthoff).

Beide Positionen haben sich in dieser Ausschließlichkeit nicht durchgesetzt.
In der Realität gegenwärtigen gesetzgeberischen Handelns wird eine Hierarchie von Staatsstrukturprinzipien wie Bundesstaat, Demokratie oder Rechtsstaat und die Staatszielbestimmung, wie das Sozialstaatsgebot vorgenommen, wobei die Staatszielbestimmung der Staatsstrukturbeziehungen untergeordnet wird. Die Folge ist, Wirtschafts- und Sozialpolitik werden entkoppelt und die Sozialpolitik wird zur Wohlfahrtsleistung, zur staatlichen Fürsorge, dort wo der Markt versagt. Dem Gesetzgeber ist damit freigestellt, in welchem Umfang der Sozialstaat verwirklicht werden soll.

Zwei Dinge werden daran deutlich: Im Grundgesetz ist erstens die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht festgelegt; und zweitens sind Sozialleistungen politisch verhandelba, also von Mehrheiten abhängig.

Die Kapitalmarktlogik beherrscht gegenwärtig auch die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Union. Die umfassende Liberalisierungspflicht droht die Formulierung der Ziele wirtschaftlichen Handelns nur in Richtung der Kapitalmarktlogik zu erlauben, und die Festlegung auf andere Logiken z.B. die Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheits-, Bildungs- oder öffentlichen Verkehrsleistungen
unmöglich zu machen.

Kritische Gesellschaftsanalyse, die den Kapitalismus als ein System der
Ausbeutung, der Entfremdung und der Klassenherrschaft thematisiert, ist nicht nur weltweit als ein Grundpfeiler sozialwissenschaftlichen Denkens akzeptiert, sondern ist auch eng mit der politischen und wissenschaftlichen Geschichte Hessens verbunden (siehe Beiträge von Demirovic und Deppe).

Die gegenwärtige Renaissance marxistischen Denkens beruht auf ihrer
Aktualität: Wenn Marx darauf hinweist, dass alle Verhältnisse überwunden werden sollen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist und im  Verfassungsschutzbericht dies zum Anlass genommen wird, die Partei die Linke zu beobachten und über sie zu berichten, so muss geschlossen werden, dass nicht Freiheit und Demokratie geschützt werden sollen, sondern die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

Zwischen der Partei die Linke und dem Verfassungsschutz besteht demzufolge kein polizeilicher, sondern ein politischer Widerspruch. Es geht um die Verteidigung der Verfassung, um die Freiheit der Wissenschaft und um die demokratische Sicherung der politischen Auseinandersetzung.

Frankfurt, im Dezember 2008

Ursula Schumm-Garling und Horst Trapp

 
Dokumentation zum Download: