Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Asien - Südasien Große Erwartungen und machtpolitisches Kalkül

Khagendra Prasai über die geplante Vereinigung der großen Linksparteien in Nepal

Aufnahme eines Plakats der Maoisten aus dem Herbst 2006, wenige Monate nach Beendigung des zehnjährigen Bürgerkriegs in Nepal: Das Plakat zeigt Pushpa Kama Dahal, genannt Prachanda, den Kommandanten der maoistischen Rebellen im Bürgerkrieg von 1996 bis 2006 und heutigen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Nepal – Maoistisches Zentrum. Von August 2006 bis Juni 2017 war Prachanda zudem Premierminister Nepals. Kathmandu, Nepal, September 2006. Foto: Stefan Mentschel

Khagendra Prasai ist Direktor des Zentrums für Nepal-Studien (Centre for Nepal Studies, CNS) mit Sitz in der Hauptstadt Kathmandu. Das linke Forschungsinstitut, das seit Jahren mit der Rosa Luxemburg Stiftung kooperiert, engagiert sich in der Bildungsarbeit und bietet Politikberatung sowie politische Analyse an. Mit Prasai sprach Stefan Mentschel, der das Regionalbüro der Stiftung in Südasien leitet.

Nepals Linke wollte an diesem Sonntag Geschichte schreiben. Nach jahrzehntelanger Rivalität war geplant, am symbolträchtigen Geburtstag Lenins, dem 22. April, die beiden großen kommunistischen Parteien zu vereinen. Warum wurde der Termin abgesagt?

Nach meinen Informationen konnten sich die Parteiführer der Kommunistischen Partei Nepals – Vereinigte Marxisten-Leninisten (CPN/UML) und der Kommunistische Partei – Maoistisches Zentrum (CPN/MC) bislang nicht darauf verständigen, wie viele Mitglieder der jeweiligen Partei dem Politbüro angehören sollen. Die Maoisten bestehen auf der Hälfte der Sitze, die Marxisten-Leninisten beanspruchen dagegen eine Mehrheit.

Woran liegt das?

Ein wesentlicher Grund ist das Ergebnis der Parlamentswahlen Ende vergangenen Jahres. Die CPN/UML konnte 121 der insgesamt 275 Mandate erringen, die CPN/MC kam auf nur 53 Sitze.

Dabei hatte diese Wahl erst den Boden für eine Vereinigung geebnet.

Das ist richtig. Nur gemeinsam können beide eine stabile linke Regierung bilden – und das haben sie auch vor.

Warum war das früher nicht möglich?

In Nepal gibt es seit Ende des bewaffneten Konflikts im Jahr 2006 viele Wählerinnen und Wähler, die links wählen und damit Marxisten-Leninisten und Maoisten immer wieder zu gemeinsamen Mehrheiten verholfen haben. Allerdings standen sich beide Parteien lange in geradezu feindseliger Konkurrenz gegenüber. Das hat die Konsolidierung einer linken Mehrheit geschweige denn gemeinsames Regieren unmöglich gemacht. Bei der Anhängerschaft hat das zu erheblicher Frustration geführt.

Was war nun anders?

Bereits im Wahlkampf hatten sich beide Parteien mit einem gemeinsamen Wahlprogramm einander angenähert. Für die bislang entlang von Parteigrenzen zersplitterte Wählerschaft kam das einem Aufbruchssignal gleich, denn dadurch gab es für die Linke erstmals eine realistische Machtoption. Diese Aussicht bewirkte einen Stimmungsumschwung bei Parteimitgliedern aber auch in Teilen der Bevölkerung, was zu dem guten Wahlergebnis geführt hat.

Khagendra Prasai, Direktor des Zentrums für Nepal-Studien, zusammen mit RLS Projektmanager für Süd- und Südostasien, Philip Degenhardt, und dem Leiter des RLS Südasienbüros, Stefan Mentschel (von rechts). Kathmandu, Nepal, März 2018. Foto: privat

Worin sehen Sie die Gründe für die Annäherung?

Angesichts der bisherigen Rivalität kommt die Entwicklung hin zu einer Vereinigung für viele Nepalesen überraschend. Dazu zähle ich auch Parteimitglieder sowie Teile der Parteiführungen. So standen sich einige der Protagonisten, die sich heute für den Zusammenschluss stark machen, gestern noch als politische Gegner gegenüber. Das ist für viele schwer nachvollziehbar. Allerdings kommt die Annährung keinesfalls aus dem Nichts.

Inwiefern?

Trotz der Gegensätze gab es immer wieder Bemühungen, den Boden für ein Zusammengehen der Parteien zu bereiten. Anfang 2016 – zwei Jahre vor dem 200. Geburtstag von Karl Marx – wurde in Nepal ein Komitee gebildet, um die Feierlichkeiten zu koordinieren. Dieses Gremium gehörten Kräfte aller linken Strömungen an. Die Arbeit des Komitees hat mit dazu beigetragen, ideologische und programmatische Gräben zu überwinden. Unter anderem gab es im Herbst 2017 eine Konferenz mit mehr als 500 Kadern aus allen Parteien, bei der eine Woche lang gemeinsam über linke Theorie und politische Praxis wie Fragen der Parteiorganisation diskutiert wurde. Dabei stand auch die Frage eines Zusammenschlusses der Parteien immer wieder im Raum.

Haben diese inhaltlichen Debatten letztlich den Ausschlag gegeben?

Leider nein. Der gegenwärtige Vereinigungsprozess basiert nicht auf der Erarbeitung gemeinsamer ideologischer Grundlagen und eines gemeinsamen politischen Programms, sondern vielmehr auf machtpolitischem Kalkül der Parteispitzen. Das wird auch durch den aktuellen Streit noch einmal sehr deutlich.

Das klingt ernüchternd.

Die Strategen haben sich die Wahlprognosen angeschaut und festgestellt, dass eine Partei allein keine Mehrheit bekommen wird und so letztlich beide verlieren werden. Deshalb entschieden sie sich, das Kriegsbeil zu begraben. Der Plan ging auf, und angesichts der Euphorie der Anhängerschaft ist der nächste Schritt nun die Vereinigung der Parteien.

Was ist dabei die größte Herausforderung?

Zunächst müssen die Parteiführungen die Differenzen aus dem Weg räumen. Ich gehe jedoch davon aus, dass as passiert und die Vereinigung kommen wird. Anschließend ist es unabdingbar, Räume für einen parteiinternen Diskurs zu allen strittigen Fragen zu öffnen und damit letztlich Strukturen innerparteilicher Demokratie zu entwickeln. Denn bislang gab es diese weder bei den Marxisten-Leninisten noch bei den Maoisten.

Welchen Aufgaben muss sich eine linke Regierung zuwenden?

Die Erwartungshaltung der Anhängerschaft ist groß. Daher werden politische Erfolge von größerer Bedeutung für die Stabilität der Regierung sein als die parlamentarische Arithmetik. Es wird darum gehen, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Nepals auf eine Art und Weise voranzutreiben, so dass alle gesellschaftlichen Gruppen davon profitieren. Dafür muss sich eine linke Regierung auch mit den dominierenden marktkapitalistischen Kräften auseinandersetzen, damit der Umbau einer Gesellschaft funktioniert. Ob das in Nepal letztlich gelingt, werden jedoch erst die kommenden Monate und Jahre zeigen.