Der Autor, 1964 geborener Babyboomer und Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, beschreibt in seinem bewegenden Buch die letzten Jahre seiner 1923 und 1925 geborenen Eltern, die dann im Alter von 90 und 91 Jahren versterben.
Das Buch hat so mindestens vier, immer wieder miteinander verwobene Stränge: Älterwerden, sprich das eigene des Autors und das seiner Eltern bzw. allgemein in der heutigen Gesellschaft, dann Krankheit und der Umgang damit, also z.B. drittens Pflege im «postfamilialen» Zeitalter und schließlich viertens Sterben. Immer wieder geht es auch um teilweise irrsinnige bürokratische Regularien und das Zurechtfinden im Labyrinth der Pflegeeinrichtungen. Hauptthema des lebendig geschriebenen Buches ist die emotionale Distanz zwischen Schoepp und seinen Eltern, die er auf deren kriegsbedingte Traumata zurückführt, und was daraus für sein bisheriges Leben und die Gegenwart mit ihnen folgt.
Angeregt durch das nahende Ende der Eltern erforscht Schoepp die Familiengeschichte. Sein Vater geriet als 21-jähriger 1944 in russische Gefangenschaft, aus der er erst 1949 entlassen wird. Gesprochen hat er darüber nie, und was er dort erlebt hat, findet sein Sohn erst nach seinem Tod heraus. So stellt sich der Sohn die Frage, ob er der Vater dies alles verdrängen musste, verschwiegen hat, oder ob er als Sohn nicht auch besser hätte nachfragen sollen. Typisch Kriegsenkel, hat er sich stattdessen in seiner akademischen Arbeit mit Antifaschismus bzw. Emigration beschäftigt, während er, wie er bestürzt feststellen muss, über seinen eigenen Vater buchstäblich nichts wusste. Für Schoepp ein Indiz dafür, dass, wie es auch anderweitig nachzulesen ist, die «Aufarbeitung» des Nationalsozialismus und der Kriegsfolgen, wenn überhaupt, vor allem distanziert-akademisch und eben nicht emotional erfolgte. Eine These, die nebenbei angesichts von «1968» weiter untersucht werden sollte.
Selbstverständlich geht es, neben vielem anderem, auch um die Wirtschaftswunderzeit, an deren nahendem Ende der Autor als Kind relativ alter Eltern zur Welt kommt; und das Aufstiegsversprechen, in dem seine Eltern - der Vater arbeitet über 25 Jahre bei Siemens ihr Leben nach einem Umzug anfangs der 1960er Jahre von Berlin nach München, die er deren persönliche «Westorientierung» nennt, organisieren. Schoepp stellt rückblickend und in Bezugnahme auf Heinz Bude fest, dass seine Generation in einem Klima der Risikovermeidung aufwachsen durfte, während nun im Zuge des Neoliberalismus die Exklusionsdrohung zum dominierenden gesellschaftlichen Integrationsmodus geworden sei.
Wer dieses Buch liest, wird sehr viel über die kollektive Psyche der Deutschen und vor allem die Prägungen, die die aktuelle Generation 50plus in sich trägt, erfahren. Es ist ein persönlicher und wegen seiner Offenheit Respekt abverlangender Beitrag zur gerade erst größere Wirkung zeigenden Kriegsenkel-Debatte, aus dem sich mehr historisch lernen lässt, als aus der Lektüre mehrerer Jahrgänge der allermeisten akademischen Geschichtszeitschriften.
Sebastian Schoepp: «Seht zu wie ihr zurechtkommt». Abschied von der Kriegsgeneration; Westend Verlag, Frankfurt/M. 2018, 288 Seiten, 22 EUR