Dokumentation "Meine jüdischen Eltern, meine polnische Eltern"

Im Rahmen der Ausstellung sprachen Dr. Monika Nakath und Dr. Holger Politt zur NS-Judenverfolgung in Brandenburg und zum "Warschauer Ghetto"

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09.06.2018

23 Personen waren der Einladung vom Freundeskreis Schloss Freienwalde e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg e.V. gefolgt und am Samstagnachmittag zu einer aufschlussreichen und sehr bewegenden Veranstaltung ins Schloss Freienwalde gekommen.

Dr. Monika Nakath (Historikerin und Archivarin; Potsdam) illustrierte ihr Referat zur nationalsozialistischen Judenverfolgung in der Provinz Brandenburg mit ihren drei Phasen Boykott & Ausgrenzung, Novemberpogrom & Radikalisierung sowie Deportation & Vernichtung mit passenden Dokumenten aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, in dem sie viele Jahre tätig war und dessen Ausstellung „Aktenkundig: 'Jude!'. Nationalsozialistische Judenverfolgung in Brandenburg. Vertreibung – Ermordung – Erinnerung“ sie kuratiert und die Arbeit vieler Stolperstein-Gruppen in Brandenburg begleitet hat. Ihre detaillierte Bestandskenntnis erlaubte es auch, die Geschichte der Verfolgung jüdischer Bürger*innen in Brandenburg bis ins Lokale herunterzubrechen und so einen Blick auf die Akteure der NS-Judenverfolgung vor Ort zu werfen, zu denen neben Verwaltung- und Finanzbehörden, Banken, Versicherungsgesellschaften und Energiebetrieben auch Vermieter oder Nachbarn gehörten – ein Feld, das bisher noch viel zu wenig erforscht worden ist.

Bad Freienwalde hatte im Jahr 1932/33 78 jüdische Gemeindemitglieder und gehörte damit zu einer von insgesamt 53 jüdischen Gemeinden in den beiden Regierungsbezirken Potsdam und Frankfurt/Oder. Anhand der Familie Iskowitz aus Bad Freienwalde sowie der Firma Bloch aus Eberswalde erläuterte
Dr. Nakath beispielhaft die Auswirkungen der „Nürnberger Gesetze“ und den bürokratischen Umgang mit jüdischen Gewerbetreibenden, die entweder ausreisen wollten oder die schließlich deportiert wurden und deren Besitz in verschiedenen Stufen bis ins kleinste erfasst und arisiert wurde. Ihren Beitrag schloss Dr. Nakath mit Informationen zu den Deportationen von Jüdinnen und Juden aus Brandenburg. Fünf Transporte gab es aus dem Regierungsbezirk Frankfurt/Oder, die über Berlin in den Osten führten, so auch ins Warschauer Ghetto im April 1942.

Dr. Holger Politt (Leiter des Auslandsbüros der RLS in Warschau, das die Ausstellung mitverantwortet hat) veranschaulichte in seinem Beitrag die Situation im Warschauer Ghetto in dessen beiden Phasen, wobei er anhand von Zitaten (u.a. aus den von Emanuel Ringelblum im Untergrundarchiv gesammelten Berichten) deutlich machte, dass viele nicht ahnten, was ihnen nur wenige Zeit später passieren sollte. Auch wenn viele der Jüdinnen und Juden aus Deutschland kein Jiddisch sprachen, eher aus der bürgerlichen Schicht kamen und nun in Fabriken arbeiten und auf engstem Raum unter schlechten hygienischen Bedingungen leben mussten, war das Leben in der ersten Phase trotz aller Repressionen doch irgendwie vergleichbar mit dem Leben in einer realen Stadt.

Das änderte sich abrupt mit der Ausweisung und Deportation nichtarbeitsfähiger Menschen. Dadurch verschärfte sich insbesondere die Situation für kleine Kinder – sie waren dem sicheren Tod geweiht. Und ihre Eltern versuchten, sie, so lange es ging, zu verstecken oder entschlossen sich schließlich schweren Herzens dazu, sie aus dem Ghetto zu schmuggeln und in die Obhut polnischer Eltern zu geben. Die Ausstellung berichtet genau von diesen dramatischen Situationen und verzweifelten Entscheidungen.

Dr. Politt war es ein Anliegen, die deutschen Vernichtungslager im besetzten Polen, Treblinka, Belzec und Sobibor, vorzustellen, die noch immer relativ unbekannt sind. Im Unterschied zu Arbeits- und Konzentra-tionslagern gab es hier in aller Regel keine Baracken und auch kein Krematorium – diese Lager waren auf die fabrikmäßige Tötung angelegt – über 2 Mio. Menschen wurden in nur 16 Monaten von Juli 1942 bis Oktober 1943 direkt nach ihrer Ankunft umgebracht. Bis auf wenige, denen die Flucht gelang, gibt es keine Überlebende dieser Vernichtungslager, die von dem Grauen berichten konnten. Die ersten Menschen, die nach Treblinka deportiert wurden, kamen aus Warschau.

Dr. Politt verwies auf die ausgezeichnete, international hoch anerkannte Holocaust-Forschung in Polen, die sich intensiv auch mit den lokalen und regionalen Ebenen und den Verantwortlichkeiten der dortigen Akteure beschäftigte. Daher standen die deutschen Behörden eher weniger im Fokus. Auch hierauf zielt die als „Holocaust-Gesetz“ bezeichnete Novelle ab, in dem sie die Sondersituation der deutschen Besatzung hervorhebt und es eben auch verbietet, die Konzentrations- und Vernichtungslager im deutsch okkupierten Polen als „polnische Lager“ zu bezeichnen.

Und so ging es in der Diskussion neben Recherchemöglichkeiten zu einzelnen Personen auch um die aktuelle erinnerungspolitische Debatte in Polen sowie um konkrete Hilfsmaßnahmen für Jüdinnen und Juden. Im deutsch besetzten Polen stand als einzigem Land jegliche Hilfe für Jüdinnen und Juden unter Todesstrafe – und da es, wie Joanna Sobolewska-Pyz es bei der Eröffnung der Ausstellung sagte, leichter war, einen Panzer als ein jüdisches Kind zu verstecken, erklärt sich, dass es ein ganzes Netzwerk von etwa zehn Personen brauchte, um ein jüdisches Kind zu retten. Dass in einer durch den Besatzungszustand demoralisierten Gesellschaft dabei auch Geschäftemacher eine Rolle spielten, ist nachvollziehbar. Dennoch: ohne Mitgefühl, Haltung und Zivilcourage hätten zum Beispiel die etwa 5.000 jüdischen Kinder nicht gerettet werden können. So verwies Dr. Nakath am Ende auf das Beispiel von Tereska Lisiewska in der Ausstellung, die von einer Frau aufgenommen wurde, die eigentlich hatte Nonne werden wollen – und ihre gesamte Lebensplanung änderte, um ein Kind zu retten.

(Cathleen Bürgelt)