Bei fast allen früheren Konflikten in Kenia haben Politiker*innen, lokale Eliten und die Medien durch reißerische Kommentare und Gewalt zu einer Verschärfung der Spannungen beigetragen. Bis heute ist die Politik in Kenia von Spaltungen entlang ethnischer Trennlinien geprägt. Die kenianische Regierung hat mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft bedeutende Reformen von Politik, Justizsystem und Wahlrecht eingeführt und Gesetze zur Bewältigung ethnopolitischer Konflikte erlassen. Viele dieser Reformen gründen auf den Empfehlungen von Kommissionen, die im Rahmen des nationalen Dialogs für Aussöhnung in Kenia gegründet wurden. Die reformierte kenianische Verfassung schützt die Rechte traditionell marginalisierter Gruppen, wie Frauen und junge Menschen, erweitert die Möglichkeiten zur Durchsetzung der Menschenrechte und fördert eine demokratische Regierungsführung. Es liegt an der neuen Regierung, die dringenden Reformen im Bereich der Sicherheit umzusetzen und auszuweiten, ungelöste Probleme bei der Landreform anzugehen, die Verantwortlichen vergangener Verbrechen im eigenen Land zur Rechenschaft zu ziehen und für ein Ende der Bildung von politischen Lagern auf Grundlage ethnischer Zugehörigkeit zu sorgen.
Wenn ethnopolitische Gewalt ein Ende haben soll, sind glaubwürdige Wahlen unverzichtbar. Zu den dafür erforderlichen Maßnahmen zählen:
- die Herbeiführung eines Wandels in Kenias Wahlkommission und den Sicherheitsbehörden,
- die Eindämmung des Risikos von Gewalt zwischen verschiedenen Gemeinden, vor allem in umstrittenen Gebieten sowie
- die Stärkung zivilgesellschaftlicher Netzwerke in konfliktreichen Gebieten mit dem Ziel, der Mobilisierung und Instrumentalisierung von Jugendlichen entgegenzuwirken und damit gewaltsame Ausschreitungen bei den Wahlen zu verhindern.
Weiterhin würde das Vertrauen in Wahlprozesse steigen, wenn Zivilgesellschaft und Opposition Zugang zu allen Bereichen der Wahlvorbereitung hätten. Ob an der Regierung oder in der Opposition, alle Parteien sollten gleiche Ausgangsvoraussetzungen haben, vor allem in Bezug auf den Umgang mit staatlichen Ressourcen, konstruktives Monitoring, die Begleitung von Wahlprozessen und die Schaffung legaler Möglichkeiten zum Einreichen von Beschwerden. Dies erfordert eine unabhängige Justiz, die nicht unter dem Einfluss der Exekutive steht.
Die neue Verfassung und deren Gesetze im Bereich der Kommunikation bieten eine Definition von Hassverbrechen, ethnischen Säuberungen und Hetzreden und sehen Mechanismen für deren Ächtung vor. Zwar wurde ein nationaler Ausschuss für Zusammenhalt und Integration (National Cohesion and Integration Committee, NCIC) ins Leben gerufen, der durch das Schaffen von Bewusstsein, die Überwachung sozialer Medien und die Untersuchung und Einleitung von Gerichtsverfahren eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung von Hassreden gespielt hat. Dennoch ist der Unwille, Hindernisse auf dem Weg zu einem Wandel aus dem Weg zu räumen, deutlich spürbar. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass es selten zur Verurteilung von Straftäter*innen kommt, insbesondere dann, wenn diese politisch gut vernetzt sind. Dies fördert die gesellschaftliche Akzeptanz von Hassäußerungen und kann sich zudem negativ auf die Bildung einer nationalen Identität auswirken. Viele organisierte kriminelle Banden können überhaupt nur dank der Unterstützung durch Politiker*innen und ethnische Gemeinschaften bestehen und operieren. Die wichtigste politische Empfehlung, die aus dieser Studie folgt, ist daher die konsequente Untersuchung und strafrechtliche Verfolgung von Personen, die kriminelle Banden unterstützen oder deren Dienste nutzen, einschließlich der Anführer*innen dieser Banden. Das Gesetz muss alle Formen der Unterstützung von und der Beteiligung an organisierten Verbrechen durch Politiker*innen klar kriminalisieren, da eine solche Unterstützung oder Beteiligung bislang maßgeblich dafür verantwortlich war, dass kriminelle Banden fortbestehen und agieren konnten, vor allem im Umfeld von Wahlen. Die Überwachung illegaler Finanzgeschäfte und die Bekämpfung von Geldwäsche stellen für die kenianische Regierung noch immer eine große Herausforderung dar.
Aufgrund der durchlässigen internationalen Grenzen und der Homogenität von Gemeinden in den Grenzregionen zu Somalia und dem ugandischen Karamoja sowie in den Küstengebieten stellt das Thema Sicherheit, insbesondere bei grenzüberschreitenden Konflikten, die kenianische Regierung weiterhin vor Herausforderungen. Die Regierung hat verschiedene politische Programme zur effektiven Konfliktantizipation und -prävention in der Teilregion umgesetzt, so zum Beispiel Mechanismen wie die Organisation IGAD (Intergovernmental Authority on Development) und das Konfliktfrühwarnsystem CEWARN (Conflict Early Warning and Response Mechanism), – mit wechselndem Erfolg. Die Mitgliedsländer der IGAD sind zudem darum bemüht, die Grenzsicherheit zu verstärken. Ausschlaggebend bei der Bekämpfung der Unsicherheit an den Grenzen sind jedoch die lokalen Friedensausschüsse. Ihr Erfolg ist auf verschiedene wichtige Faktoren zurückzuführen: gute Arbeitsbeziehungen zu Regierungsbeamt*innen, ein hohes Maß an lokaler Eigenverantwortung, Kenntnis lokaler Konflikte, Engagement, flexible Beteiligung durch die Kombination von traditionellen Führungsinstrumenten und bürgerschaftlichem Engagement sowie internationale Unterstützung. Diese Arbeit gilt es mit Ressourcen zu unterstützen. Erstaunlicherweise führen Übertragungseffekte in allen Regionen und über die Grenzen hinweg zu einem Informationsaustausch sowie zu Ansätzen institutioneller Lernprozesse. Daher ist es dringend geboten, lokale Gemeinden so schnell wie möglich zu unterstützen, damit marginalisierte Gemeinschaften in die Stärkung ihrer Sicherheitskonzepte sowie bei der verbesserten Bereitstellung öffentlicher Leistungen involviert werden. Kenia wiederum muss gemeinsam mit Entwicklungspartnern und der internationalen Gemeinschaft die IGAD derart ausbauen, dass sie in die Lage versetzt wird, grenzüberschreitende Konflikte in den Mitgliedstaaten anzugehen und zu lösen.
Die geografischen Rahmenbedingungen, ethnische Zusammensetzung, politische Instabilität, unsicheren Beziehungen zu Nachbarländern, Armut, ein niedriger Bildungsstand, islamischer Fundamentalismus und die unzulängliche Durchsetzung der Gesetze in Kenia tragen dazu bei, dass das Land ein attraktives Ziel für Terrorismus ist. Terror hat in Kenia nicht nur Menschenleben gefordert und Leid und Schmerz verursacht, sondern auch zu wachsender Instabilität und Unsicherheit geführt – mit negativen Folgen für die Wirtschaft des Landes. Als Antwort auf drohende Terroranschläge entwickelte die kenianische Regierung eine nationale Anti-Terrorismus-Strategie, die vom Nationalen Terrorabwehrzentrum (National Counter Terrorism Centre, NCTC) umgesetzt wird. Darüber hinaus hat die Regierung gegen die al-Shabaab-Miliz die „Operation Linda Nchi“ eingeleitet, dem Codenamen für eine koordinierte Militäroffensive zwischen dem kenianischen und dem somalischen Militär. Leider hat diese Offensive zu starken Spannungen zwischen beiden Ländern und auch deren Bevölkerung geführt. Die Miliz verstärkte ihre Radikalisierungsbemühungen in Somalia und Kenia weiter und rekrutierte in den Gemeinden immer mehr Mitglieder. Besonders besorgniserregend ist der Trend, dass immer mehr Jugendliche, besonders muslimischen Glaubens, zur Annahme eines gewaltsamen Extremismus indoktriniert werden. Es gab verschiedene Initiativen, wie den Gipfel zur Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus sowie religions- und glaubensübergreifende Dialoge, doch müssen diese Ansätze intensiviert werden. Sie erfordern mehr Kooperation und eine bessere Koordinierung sowie konzertierte Anstrengungen. Unsere Untersuchung zeigt deutlich, dass die nationale Sicherheitspolitik überarbeitet werden muss. Sie ist derzeit vor allem auf Sicherheitsaspekte der Radikalisierung religiöser Minderheiten fokussiert, blendet dabei aber andere ebenso wichtige Aspekte aus – wie zum Beispiel politische, ideologische oder kriminelle Beweggründe oder ein nationales Zugehörigkeitsgefühl. Eine gut durchdachte Strategie zur Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus, die dessen Ursachen berücksichtigt und die Menschenrechte achtet, würde das Sicherheitsklima positiv beeinflussen. Der Fokus sollte hierbei auf der Bereitstellung hochwertiger sozioökonomischer Dienste in besonders schutzbedürftigen Gemeinschaften liegen – vor allem Bildung, Gesundheit und Arbeit –, da das Fehlen solcher Angebote viele Jugendliche den Extremist*innen in die Arme treibt.
Konflikte in Hirtengemeinschaften werden als Hauptgrund für Vertreibungen im Land betrachtet. Die Turkana, Pokot, Samburu sowie ethnische Gruppen aus dem Nordosten sind hauptsächlich nomadische Stämme, die von der Viehzucht leben. Viehdiebstahl, oft mit Waffengewalt durchgeführt und mit entsprechenden blutigen Auseinandersetzungen in der Folge, ist unter ihnen bereits seit Jahrhunderten ein weit verbreitetes Phänomen. Zu den Triebkräften der Konflikte gehören ebenso ungünstige klimatische Bedingungen, die Menschen häufig zur Migration zwingen. In den vergangenen Jahren waren Hirtengemeinden die größten Abnehmer von Kleinwaffen, die entweder dem eigenen Überleben, der Verteidigung der Tiere, der Viehzucht selbst, aber auch als Währung dienen. Der Konflikt fordert damit immer wieder Menschenleben, bis zu 500 pro Jahr. Erschwerend kommt hinzu, dass es weder Infrastruktur noch öffentliche Dienste gibt und dass Viehdiebe meist nicht strafrechtlich verfolgt werden, da es der Regierung an den erforderlichen Kapazitäten und Mitteln mangelt. Die Konkurrenz um Land und Wasser vor dem Hintergrund einer ständig abnehmenden landwirtschaftlichen Nutzfläche, die wachsende wirtschaftliche und politische Ausgrenzung, fehlende Antworten auf die sich stetig verschlechternde Sicherheitssituation und die Verbreitung von Waffen führen allesamt zu einer neuen Eskalation der Konflikte. Um diesen Trend umzukehren, hat die Regierung verschiedene Mechanismen eingeführt. Ein besonders erfolgreicher Ansatz sind die Friedensausschüsse auf Sub-County-Ebene, ein aus verschiedenen Organisationen bestehender Verbund, der sich für den Friedensaufbau und die Konfliktbewältigung in Viehzuchtgebieten einsetzt und traditionelle Streitbeilegungsmechanismen in das formale Rechts- und Justizsystem integriert. Die Governance-Systeme der Gemeinschaften sind stabil und werden von den Mitgliedern hoch geschätzt. Die Untersuchung zeigt, dass folgende Schritte von zentraler Bedeutung bei der Eindämmung von Konflikten in diesem Bereich sind: die Stärkung der Resilienz der Gemeinschaften sowie die verstärkte Anwendung von Armutsbekämpfungsstrategien, die Verbesserung der Sicherheitssituation für Viehzüchter*innen als Möglichkeit zur Eindämmung der Verbreitung von Handfeuerwaffen sowie die Klärung der Grundbesitzfrage für Gemeindeland. Es ist zwingend notwendig, die nationalen Rahmenbedingungen für Polizeikräfte (National Police Reserve Policy Framework, NPRPF) umzusetzen, um Abläufe zu regeln, Machtmissbrauch zu verhindern und eine bessere Koordination zwischen den Institutionen zu erreichen, die mit der Untersuchung, Einstellung, Schulung, Aufsicht und Kontrolle der kenianischen Polizei beauftragt sind.
Land ist unerlässlich für Kenias sozioökonomische Entwicklung. Der Lebensunterhalt des Großteils der Bevölkerung ist von Land und landbasierten Ressourcen abhängig. In der jüngeren Vergangenheit hat es in vielen Regionen Kenias jedoch fortwährende Konflikte gegeben. Um diese Konflikte zu bewältigen, hat die Regierung die nationale Bodenpolitik (National Land Policy, NLP) eingeführt, die Rahmenbedingungen für neue Gesetze und zentrale Maßnahmen festsetzt, um kritische Themen wie die Landverwaltung, Zugang zu und Nutzung von Land, Entschädigung für historische Ungerechtigkeiten und einem veralteten Rechtsrahmen anzugehen. Obgleich man sich in Kenia der Gründe, Triebkräfte und Lösungen für Landkonflikte bewusst ist, scheitert die Umsetzung der Landreformen zum Teil am fehlenden politischen Willen. Für weitreichende Landreformen ist unabdingbar, dass diese unter Beteiligung der Gemeinschaften und transparent realisiert und historische Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Zwar hat Kenia bereits fortschrittliche Maßnahmen ergriffen – zum Beispiel die Institutionalisierung traditioneller Landrechte –, doch stecken diese Strukturen und Richtlinien noch in den Kinderschuhen und müssen streng überwacht und abgesichert werden.
Anzumerken ist an der Stelle, dass die Regierung ihre Bemühungen verstärkt hat, der unkontrollierten Besetzung an der Küste beizukommen und Slums im ganzen Land zu sanieren. Die ungeplante Parzellierung von Land hat zu verheerenden Umweltkatastrophen im Land geführt, etwa in Form von Erdrutschen. Die Ausbreitung informeller Siedlungen gefährdet zusätzlich die Lebensmittelsicherheit. Die geplante Einrichtung einer Nationalen Geodaten-Infrastruktur (National Spatial Data Infrastructure) soll die Landverwaltung und Streitbeilegung verbessern – nicht nur durch eine Eignungsanalyse aller Landgrundstücke in Kenia, sondern auch durch die Bereitstellung der nötigen Planungswerkzeuge. Geodaten sollen dabei mit anderen relevanten Daten zusammengeführt werden, wie zum Beispiel Eigentumsrechte, Wasser- und Stromleitungen.
Kenias Verfassung verpflichtet den Staat, die Umwelt zu achten und schreibt die Beteiligung der Bevölkerung sowie die Nutzung natürlicher Ressourcen zugunsten aller Kenianer*innen fest. Sie verleiht dem Gerichtshof für Umwelt und Land die Zuständigkeit, über Anträge auf Entschädigung zu entscheiden, die auf Grundlage der Verweigerung, Verletzung oder Bedrohung fundamentaler Freiheiten und des Rechts auf eine saubere und gesunde Umgebung eingereicht wurden. Die kenianische Regierung arbeitet an der Entwicklung von Rahmenbedingungen für die Aufteilung der Einnahmen aus natürlichen Ressourcen (Natural Resources Benefits Sharing framework), die für eine gerechte Aufteilung der Einnahmen aus der Ausbeutung von Ressourcen zwischen Unternehmen, der nationalen Regierung, den Bezirksregierungen und lokalen Gemeinschaften sorgen soll. Das Umweltverwaltungs- und Koordinierungsgesetz (Environmental Management and Co-ordination Act) stellt die Rahmenbedingungen für eine fundierte Folgenabschätzung und Sanierung von Umweltschäden. Die Streitigkeiten über den Besitz, die Nutzung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen – ob Land, erneuerbare Ressourcen wie Holz und Wasser oder nicht erneuerbare Ressourcen wie Kohlenwasserstoffe und Mineralien – stehen Frieden und Sicherheit jedoch oft im Weg. Selbst wenn kein offener, gewaltsamer Konflikt vorherrscht, können Ressourcenstreitigkeiten potenziell schädliche Auswirkungen haben, die die Gemeinschaften schwächen. Bisher ist der kenianische Bergbausektor klein und unterentwickelt. Doch in der jüngeren Vergangenheit wurden mehrere Mineralvorkommen entdeckt. Dabei wurde die Beteiligung und Befragung lokaler Gemeinschaften allerdings oft verhindert. Diese bemängeln ihre marginalisierte Position sowie ihr mangelndes Mitspracherecht, wenn es um die Einnahmen geht, die aus der Ausbeutung dieser Ressourcen stammen.
Die kenianische Verfassung bietet ein starkes Fundament, auf dessen Grundlage ein gesellschaftspolitischer Wandel herbeigeführt und der Teufelskreis der Gewalt aufgebrochen werden kann. Eine weit verbreitete Herausforderung ist allerdings, dass die Bestimmungen eines Gesetzes oft auf die Bestimmungen in anderen Gesetzen verweisen. Ohne entsprechende Koordinierung führt dies unabdinglich zu Problemen und institutionellen Konflikten. Der Aufbau institutioneller Kapazitäten sowie eine gute Koordinierung sind eine wichtige Voraussetzung, starke und unabhängige Gerichte die andere. Die grundlegenden Reformen des Rechts- und Wahlsystems und der Institutionen dürfen jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass sie vorrangig als Top-down-Ansatz angelegt sind. Dieser Bericht unterstreicht daher die Bedeutung der Stärkung, Organisierung und Unterstützung transparenter und partizipativer Verfahren nach dem Bottom-up-Ansatz, um der stärksten Bedrohung der Sicherheit in Kenia entgegenzuwirken: der Verhärtung von Identitätskonstruktionen entlang ethnischer Trennlinien und deren Verbindungen zum Teufelskreis des «The Winner takes all»-Prinzips.