Am 15. Mai 2015 hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko das «Dekommunisierungsgesetz» unterzeichnet, welches von der Werchowna Rada am 9. April 2015 verabschiedet wurde.
Zu diesem Paket mehrerer Gesetze gehört im Folgendenen das Gesetz «Über die Verurteilung des kommunistischen und des nationalsozialistischen Regimes in der Ukraine und das Verbot der Propaganda ihrer Symbole», das Gesetz «Über den Zugang zu den Archiven der repressiven Organe des kommunistischen totalitären Regimes 1917-1991», das Gesetz «Über die Verewigung des Sieges über den Nazismus im Zweiten Weltkrieg 1939-1945» und das Gesetz «Über den Rechtsstatus und die Verehrung der Kämpfer für die ukrainische Unabhängigkeit im 20.Jh.».
Mit diesen Gesetzen werden unter anderem kommunistische Symbole aus der Sowjetzeit verboten. Das kommunistische Regime wird dem nationalsozialistischen gleichgestellt. Die Archive der sowjetischen Sicherheitsdienste werden geöffnet und die Anhänger der Organisation der ukrainischen Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Aufstandsarmee von Stepan Bandera (UPA) werden zu Nationalhelden erklärt. (Die UPA kämpfte im 2. WK zunächst an der Seite der Deutschen Nazionalsoialisten gegen die Rote Armee und ermordete zahlreiche Polen und Juden. Erst später wechselte sie die Seite und bekämpfte auch die Nationalsozialisten.)
Die Gesetze sorgen für eine weitere tiefere Spaltung der ukrainischen Gesellschaft. Sie stehen für den Beginn der Eingrenzung der Meinungsfreiheit und werden auch außenpolitisch gravierende Folgen haben. Sie wurden nicht nur von Linken sondern auch von Liberalen, Menschenrechtlern und Wissenschaftlern scharf kritiesiert.
Die vorgesehenen Sanktionen bei Verletzung und Zuwiderhandlungen der Gesetze öffnen den Raum für eine stärkere Repression und eine Zunahme nationalistischer Einstellungen.
Die erste konkrete Auswirkung des Gesetzes ist ein Vorschlag, der zur Zeit im Kiewer Stadtrat diskutiert wird, zur Demontage der in verschiedenen U-Bahn-Stationen befindlichen Mosaike aus der Sowjetzeit.
Mehrere Menschenrechtler haben Klagen beim Europäischen Gerichtshof angekündigt.
Autor: Kyrylo Tkachenko - ukrainischer Soziologe, Mitglied der Ostukrainischen Menschenrechtsgruppe und Transformationsforscher. Er arbeitet eng mit der RLS in der Ukraine zusammen.
Eine weitere Einschätzung von ihm zu den Gesetzen findet sich in der «Jungle World» Ausgabe vom 16. April 2015.
Auch die Linke Opposition des Landes kritisiert die Gesetze scharf.
«Das Gesetz ‹Über die Verurteilung des kommunistischen und des nationalsozialistischen Regimes in der Ukraine und das Verbot der Propaganda ihrer Symbole› ist gegen einen demokratischen Sozialismus gerichtet. Auf der Liste der verbotenen Symbole stehen nicht nur die Fahnen der Sowjetunion und einzelner Republiken, sondern auch die der Staaten der sogenannten ‹Volksdemokratie› – der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, die der Politik des sowjetischen Kremls den Versuch gegenüberstellten, einen demokratischen Sozialismus aufzubauen.
Das Gesetz wird auch den Pseudokommunisten helfen. Das Verbot des Kommunismus ist pro forma gegen die Kommunistischen Parteien in der Ukraine und Russland gerichtet. Beide Parteien vertreten die konservative und imperialistische Politik Putins, nennen sich aber ungeachtet dessen weiterhin Kommunistisch. Sie werden sicher dieses Gesetz für die eigene Werbung nutzen. Die Kommunistische Partei der Ukraine wendete sich bereits an den Europäischen Gerichtshof und das Verfassungsgericht der Ukraine.»
Die beiden linken Soziologen Volodymyr Artiukh und Denis Pilash von der Zeitschrift Spilne/Commons merken an: «Die Folgen der umstrittenen Gesetze sind eindeutig. Die ukrainische Bevölkerung wird weiter gespalten und Gruppen, die die ultranationalistischen politischen Tendenzen nicht akzeptieren, werden ausgegrenzt.
Nach offizieller Einschätzung des wissenschaftlichen Beirates des Parlamentes widersprechen beide Gesetze dem Kriminalgesetzbuch und der Verfassung der Ukraine. In demokratischen Gesellschaften werden historische Ereignisse und Ideologien normalerweise von Wissenschaftlern bewertet und nicht von Staatsbürokraten. Der Anspruch beider Gesetze auf das ideologische Monopol des Staates bei der Deutung der Geschichte begünstigt das Verschweigen oder gar die Ausblendung der großen sozialistischen Tradition der Ukraine, vertreten nicht nur von Leo Trotzki und Nestor Machno, sondern auch von den Kulturschaffenden Lesja Ukrajinka, Iwan Franko, Mykola Skrypnyk, Mykola Chwyljowyj und anderen kommunistischen Künstlern aus der Generation der «erschossenen Renaissance» (eine große literarische und künstlerische Bewegung der 1930er Jahre, die unter den Repressionen von Stalinregimes litt). Die größte Gefahr besteht aber darin, dass diese Dokumente den rechten Konsens stärken, die Meinungsfreiheit eingrenzen und die Intoleranz gegenüber alle Linken vorantreiben.
Der linke Kiewer Journalist Vitalij Atanasov schreibt: «Die Initiatoren der ‹Dekommunisierung› tragen ganz bewusst zur Verschärfung der gesellschaftlichen Konfrontationen bei. Das Verbot kommunistischer Symbole wird Rechtsradikale und rechte Populisten stärken – sie werden gerne weitere restriktive und repressive Projekte umsetzen. Die bereits begonnene Vandalisierung der Denkmäler aus der Sowjetzeit tritt in eine neue Phase, wenn sie auf Staatsebene legitimiert wird. Für die ‹kommunistische Ideologie›, wie sie in der Ukraine verstanden wird, ist es ein schlechtes Omen. Im gesellschaftlichen Bewusstsein ist sie ohnehin ein Gespenst aus den alten Zeiten, demonisiert und ewig vergangen.»
Weiter Kommentare sind kritisch bis empört.
Menschenrechtler Volodymyr Chemerys, Konotop/Kiew schreibt: «Heute sind wir zurück in die UdSSR gestürzt – mit ihren Verboten und Repressionen.»
Der linke Aktivist Andrij Ishchenko, Odessa meint: «Willkommen im Polizeistaat?».
Und der linke Soziologe Taras Salamaniuk schreibt ebenfalls in Spilne/Commons: «Das Linkssein wird gefährlich. Ich hoffe, das bringt uns dazu, unsere Organisationsformen und Ideologie neu zu denken. Der gute alte ‹Aktivismus-in-sich› (in kleinen geschlossenen Gruppen) versagt, und wir müssen entweder ein größeres, aber ideologisch flexibles politisches Projekt wie andere linkspopulistische parlamentarische Parteien schaffen oder uns für radikale und internationale Formen des Kampfes gegen den Kapitalismus entscheiden.»
Zusammenstellung und Übersetzung Nelia Vakhovska.