Liebe Nachbarinnen und liebe Nachbarn,
danke schön für Eure Einladung. Ich freue mich sehr, dass ich heute bei Euch sein kann.
Gerade hat mich eine Reporterin von RBB gefragt: «Frau Dziadek, warum sind Sie nach Deutschland gekommen, um zu protestieren? Sie haben doch viele Probleme in Polen!» Für mich war das eine komische Begrüßung.
Ja, es stimmt, wir haben viele Probleme in Polen, aber ich wohne in der Gemeinde Brody, und die liegt nur paar Kilometer vom Kraftwerk Jänschwalde. Deswegen bin ich gekommen.
Ich freue mich, dass Ihr die Stimme einer Bewohnerin eines Dorfes hören wollt, das in der Nähe des Kraftwerks und Tagebaus Jänschwalde liegt. Ich möchte Euch berichten, wie es sich in einer Gegend lebt, wo ein ganz fundamentales Thema wie Wasserversorgung zu einem Problem wird. Um Braunkohle ausbaggern zu können, pumpen die Energiekonzerne das Wasser ab.
In diesem Jahr haben wir deshalb drei Monate lang kaum Wasser in unseren Wasserleitungen gesehen. Aber natürlich hatte das überhaupt nichts damit zu tun, dass unsere Gemeinde nur vier Kilometer vom Tagebau Jänschwalde entfernt liegt. Dazwischen liegt doch die Staatsgrenze - und wie wir alle wissen, sind solche Grenzen für Umweltschäden absolut dicht. Dass in unserer Gemeinde sehr viele kranke Kinder aufwachsen, hat auch damit nichts zu tun. Krebs, Entwicklungsstörungen - reiner Zufall.
Ist das schon schlimm genug? Nein. Der polnische Staatskonzern PGE plant jetzt in unserer Gemeinde zusätzlich einen ganz neuen Tagebau, mindestens so groß wie der in Jänschwalde. Dann entsteht in der Niederlausitz, an der deutsch-polnische Grenze, ein Megaloch, das aus dem Kosmos zu sehen sein wird.
Die Betreiber der Braunkohleanlagen auf der deutschen Seite haben uns schon lange abgeschrieben, jetzt schreibt uns auch noch ein polnischer Staatskonzern ab. Wir sind zum Abfallprodukt der Kohleverstromung geworden.
Und das passiert nicht irgendwo weit weg von hier, das passiert 140 Kilometer von diesem Ort, mit dem Regionalexpress 1 in 80 Minuten vom Bahnhof Alexanderplatz, in der Mitte der Europäischen Union.
Aber was bedeutet all das in der Praxis?
Ich möchte noch kurz über die Niederlausitz sprechen, weil das Gebiet ein gutes Beispiel ist, warum wir unsere Heimaten nicht mehr «verstromen» sollen. Das Kraftwerk Jänschwalde ist unsere Nachbarin geworden, als ich geboren bin. Also für mich ist es immer da. Zusammen mit meiner jüngeren Schwester waren wir die ganze Kindheit in den 80er Jahren lungenkrank, der Arzt hat uns empfohlen zur Ostsee zu fahren, um frische Luft zu genießen. Warum zur Ostsee, wir leben doch in grünem Wald? 75% Fläche unserer Gemeinde ist doch ein Wald.
Sehr lang war den Einwohnern der polnischen Gemeinden Brody und Gubin nicht klar, was für eine Gesellschaft wir auf der anderen Seite der Neiße haben. Ich lebe in der Gemeinde Brody.
Nach den Problemen mit schmutziger Luft und Lungenkrankheiten haben wir Probleme mit Wasser bekommen. Grenzgemeinden haben noch immer Probleme, sauberes Wasser zu besorgen. Und das Loch von Jänschwalde wird größer und größer.
Aber wer interessiert sich schon für die Probleme der Nachbarn? Welche deutschen Politiker kümmern sich um die Auswirkungen von Jänschwalde auf die Nachbarn?
In die andere Richtung ist es auch nicht besser. Welche polnische Politiker und Regierende kümmern sich um den Einfluss des polnischen Kraftwerks Turów auf die deutschen und tschechischen Orte?
Für die große Energiekonzerne es ist sehr bequem, dass alle Umweltberichte an der Grenze zu enden. So ist es einfacher. Man nimmt einfach an, dass da drüben keiner wohnt.
Kohleland Polen
Ihr wollt auch sicherlich wissen, was in einem Land passiert, das 90 Prozent seines Energiebedarfs durch Kohle deckt. Es passiert viel. Ab dem neuen Jahr werden wir 30 Prozent mehr für unsere Stromrechnungen bezahlen. Die Regierung denkt darüber nach, dass die Ärmsten, vielleicht, Unterstützung kriegen sollen.
Ausbau von erneuerbaren Energien – Fehlanzeige . Wir subventionieren immer weiter Kohle. Wenn es nicht weiter geht, dann subventionieren wir Energiekonzerne, die dann wieder Kohle finanzieren können. Für den Ausbau von erneuerbaren Energien bleibt kaum Geld übrig.
Dazu importiert Polen immer mehr Steinkohle unter anderem aus der Krisenregion Donbas – keiner weiß so richtig, wer dabei an der Kohle verdient. Wie Ihr also seht, die sogenannte «billige Kohle» ist extrem teuer geworden.
Wird sich das nach der Klimakonferenz in Kattowitz ändern? Sicherlich nicht direkt. Aber weil wir wissen, dass steter Tropfen den Stein höhlt, muss man weiter erklären und überzeugen. Viel mehr würde eine Zusage der deutschen Bundesregierung helfen, dass man auf Kohle zukünftig verzichtet.
Umweltverschmutzung musste nie in den Schlangen vor den Grenzübergängen warten und wird auch nicht von der Diskussion über Sicherheit an unseren Grenzen betroffen sein. Es ist deshalb so wichtig, sich in einer gutnachbarschaftlichen Atmosphäre abzustimmen.
Liebe Freunde, ich hoffe, ich konnte Euch überzeugen, dass Umweltverschmutzung und Klimaauswirkungen keine politischen Grenzen kennen. Deshalb bin ich so froh, dass ich Euch berichten konnte, wie das Leben in der Nähe eines Tagebaus aussieht. Ich hoffe, dass auch die Bewohner der durch die polnischen Braunkohlekraftwerke betroffenen deutschen Ortschaften wie z.B. Zittau eine solche Möglichkeit in Polen bekommen, über ihre Erfahrungen zu berichten.
Weil es letztlich eigentlich ganz egal ist, ob jemand dadurch Lungenkrebs bekommt, dass ein deutsches, schwedisches, tschechisches oder polnisches Unternehmen menschliche Gesundheit verstromen will. Vielen Dank!
Anna Dziadek, 44, Mutter zweier Kinder, ist privat und beruflich in der deutsch-polnischen Zusammenarbeit engagiert, 2011-2014 Projektmanagerin beim Vorhaben «Turm der Stadt- und Hauptkirche in der Eurostadt Gubin-Guben», seit 2013 Redakteurin des Lebuser Info-Heftes «Pod prąd» («Gegen den Strom») und Chefin der Bürgerinitiative Gubin und Brody «Tagebau? Nein!»