Etwa 25 Mitglieder des Gesprächskreis Gewerkschaften der Rosa-Luxemburg-Stiftung kamen am 12. April in Erfurt zum 4. Treffen des GK zusammen. Es war das erste, dass in Ostdeutschland stattfand, und zwar in den Räumen der «Offenen Arbeit Erfurt», einem der wenigen bis heute bestehenden Orte, die direkt aus der DDR-Oppositionsbewegung hervorgegangen sind, wie Bernd Löffler (RLS Thüringen) eingangs erklärte.
Das Treffen diente der inhaltlichen Vorbereitung der am folgenden Tag in Erfurt stattfindenden Fachtagung «Streikrecht-Tarifeinheit-Gewerkschaftspluralismus». Auf der Tagesordnung stand daher zunächst das Thema «Einheitsgewerkschaft», zu dem Prof. Dr. Frank Deppe referierte. Er schilderte eingangs, wie das Modell der Einheitsgewerkschaft vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Faschismus und der Spaltung der Arbeiterbewegung nach 1945 großen Auftrieb erhielt. Dieses Modell sei aber heute in eine tiefe Krise geraten, der gegenüber die Anrufung der historischen Begründung der Einheitsgewerkschaft nicht mehr ausreichen würde. Heute würde die Herstellung von Einheit durch die Zersplitterung von Produktion und Arbeitswelt objektiv erschwert, was sich auch auf die Situation der Gewerkschaften niederschlage: das Modell der Branchengewerkschaft passt nicht mehr wirklich auf die aktuellen Produktionsformen, die Grenzen zwischen Industrie und Dienstleistungen werden fließender, Abgrenzungskonflikte zwischen den DGB-Gewerkschaften sind die Folge. Gleichzeitig erwachse aus der Erfahrung vieler Beschäftigter mit den negativen Folgen der Zersplitterung – Rückschritte bei Rente, Gesundheitswesen, stagnierende Löhne, etc. – das Bedürfnis nach Einheit, und aus diesen Erfahrungen entstünden neue Begründungen für gewerkschaftliche Einheit. Doch noch seien die Tendenzen der Auflösung bisher stärker als der neue Wunsch nach Einheit, was sich in unterschiedlichen Konflikten innerhalb der DGB-Gewerkschaften niederschlage. Aus linker Perspektive sei, so Deppe, die gewerkschaftliche Einheit und die Einheitsgewerkschaft zu befürworten. «Allerdings ist Einheit nicht per se progressiv. Progressiv ist nur die Einheit als Klasseneinheit der Arbeitenden gegen das Kapital». Aufgabe der Gewerkschaften sei daher immer auch die Verknüpfung konkreter Alltagsfragen der Klasse mit ihren allgemeinen Interessen (Frieden, Demokratie, soziale Sicherheit). Eine Stärkung des DGB sei auf absehbare Zeit wohl unrealistisch, seine weitere Schwächung müsse aber abgewehrt werden. Vor allem müsse eine Praxis inklusiver gewerkschaftlicher Solidarität entwickelt werden, die Differenzen anerkennt, statt wegbügelt. Konkret wäre die Aufgabe vor allem von IG Metall und ver.di, Mechanismen zur Konfliktregulierung zu finden und gemeinsam die weißen Flecken in der Arbeitswelt anzugehen und zu organisieren.
In der Debatte wurde der Mindestlohn als ein Beispiel für die Kraft einer einheitlichen gewerkschaftlichen Kampagne benannt und kritisiert, dass alle Einzelgewerkschaften an einer Schwächung des DGB mitgewirkt hätten. Es gab aber auch Stimmen, die einer Stärkung des DGB gegenüber kritisch blieben: «Was bringt uns eine Stärkung des DGB, solange sein Vorsitzender TTIP unterstützt?» «Was nutzt uns ein DGB, der seine eigenen Beschlüsse etwa zum Streikrecht nicht ernst nimmt?» Mehrere KollegInnen berichteten, dass mittlerweile auf vielen Ebenen regelrechter Hass zwischen sowohl Haupt- wie Ehrenamtlichen verschiedener DGB-Gewerkschaften aufeinander herrsche. Betont wurde demgegenüber, welch wichtige Bedeutung gewerkschaftsübergreifende Veranstaltungen wie dieser Gesprächskreis oder die «Erneuerung durch Streik»-Konferenzen hätten.
Anschließend schilderte Sarah Bormann (RLS) die Situation der anstehenden Aufwertungskampagne für die Sozial- und Erziehungsberufe und ihre strategische Bedeutung. In dieser Auseinandersetzung bestätige sich die These einer Feminisierung von Arbeitskämpfen, sie biete das Potenzial, eine gesellschaftliche Aufwertung von Sorgearbeit generell zu erstreiten. Der Konflikt stehe exemplarisch für den Versuch der Zurückdrängung (feminisierter) prekärer Arbeit. Der Ausgang der Tarifrunde hänge wesentlich von politischer Unterstützung ab. Denn einerseits seien die Beschäftigten von einem starken «Sorgeethos» geprägt, der einen Streik erschwere, andererseits fehle ihnen eine starke Produktionsmacht. Daher sei der öffentliche Druck, also die Mobilisierung von Unterstützung, zentral für den Ausgang des Konfliktes, und hier könnten KollegInnen aus anderen Branchen und Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen. Konkret stellte Sarah den für den 18. April in Kassel anstehenden Ratschlag «Gute Arbeit hat ihren Preis!» der LINKSFRAKTION im Bundestag und der RLS vor.
Abschließend diskutierte der Gesprächskreis, ausgehend von einem Referat Horst Schmitthenners (IG Metall), über Stand und Perspektiven gewerkschaftlicher Solidarität mit Griechenland. Schmitthenner betonte angesichts der medialen Stimmungsmache gegen die griechische Linksregierung die Bedeutung des gewerkschaftlichen Aufrufes «Griechenland: Keine Gefahr, sondern Chance für Europa!», der von fast allen Gewerkschaftsvorsitzenden unterschrieben wurde. Während er innergewerkschaftlich gut funktioniert und auch in die SPD hineingewirkt habe, sei er medial weitgehend untergegangen. Nun müsse es darum gehen, gewerkschaftliche Solidarität mit Griechenland auch auf den Straßen sichtbar zu machen. Eine wichtige Gelegenheit dazu sei der 1. Mai, auf dem die von GewerkschafterInnen mit erstellte Zeitung „Faktencheck Griechenland» verteilt werden könnte. Florian Wilde (RLS) schilderte bereits durchgeführte und geplante Aktivitäten der RLS zu Griechenland.
In der Debatte wurde betont, welch verheerende Auswirkungen ein Scheitern der Linksregierung in Griechenland für Linke und GewerkschafterInnen in ganz Europa hätte, und wie wichtig deshalb sichtbare Solidarität mit Griechenland sei. Es wurde sich darauf verständigt, innerhalb der Gewerkschaften auf eine stärkere Solidarisierung hinzuwirken und auch gemeinsam für eine bundesweite Solidaritätsaktion mit Griechenland zu mobilisieren, wenn zu einer solchen durch relevante Kräfte aufgerufen wird.