Am 25. Oktober 1945 wird Robert Ley (1933-1945 Führer der nazistischen Deutschen Arbeitsfront) tot in seiner Zelle aufgefunden. Er war einer der 24 Angeklagten des Internationalen Militärtribunals IMT) der vier Alliierten in Nürnberg, das exakt eine Woche vorher eröffnet worden war.
Weinke schildert in ihrem in der Reihe Beck Wissen erschienenen Band Vorgeschichte, Verlauf und Nachwirkungen der insgesamt 13 Prozesse, die in Nürnberg bis zum April 1949 stattfanden. Sie beginnt mit der bis Anfang 1943 zurückreichenden Vorgeschichte: Die Alliierten mussten sich einigen, wer überhaupt mit welchen Anklagen vor diesem Gericht stehen sollte, es mussten Beweismittel gesichert und Personal beschafft werden. Plädierten z.B. die Briten dafür, möglichst wenige Nazis anzuklagen, befürworteten die USA auch Angehörige aus der Industrie und aus anderen Funktionsleiten zu bestrafen. Im Prozess waren es dann die Sowjets, die als einzige eine Vielzahl von Beweisen zur Ermordung von Juden und Jüdinnen präsentierten.
Wurde der sog. Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher von den vier Alliierten gemeinsam getragen, oblagen die zwölf sog. „Nachfolgeprozesse“ gegen verschiedene Angehörige der Säulen des Dritten Reiches alleine den Vereinigten Staaten. Das IMT war ein juristisches Novum, denn erstmals wurden z.B. auch Organisationen als verbrecherisch gebrandmarkt und war in Folge dessen alleine die Mitgliedschaft in ihnen (wie etwa der SS oder der Gestapo) strafbar.
In allen 13 Prozessen bekannte sich nur ein Angeklagter schuldig! In den juristischen Auseinandersetzungen und medialen Begleitdebatten, dies zeigt Weinke anschaulich, wurden bereits die Argumentationsmuster entwickelt, die im deutschen „Selbstentlastungsdiskurs“ der nachfolgenden 30 Jahren unermüdlich vorgebracht werden sollten. Die Nachfolgeprozesse gerieten bereits in den beginnenden „Kalten Krieg“ und die Deutschen wurden nun wieder gebraucht. Umerziehung und Besatzung wurden zusehends zu Selbstbestimmung und Partnerschaft. Ein besonders agiler Bestandteil der „Gnadenlobby“ (Weinke) waren die evangelischen Kirchen –und eine später hochgelobte liberale Journalistin und Mitherausgeberin der ZEIT, Marion Gräfin Dönhoff attackierte im Nazijargon den aus Deutschland emigrierten Ankläger Robert W. Kempner als „Schädling“ und „seelischen Krüppel“. Zwar werden etliche Angeklagte zum Tod verurteilt und auch hingerichtet, aber 1958 ist von den Verurteilten nur noch Rudolf Heß in Haft.
Weinke hat mit ihrem als Einstiegslektüre konzipierten Band diese vom Glauben an die zivilisierende Kraft des Rechts getragenen Prozesse gut zusammengefasst. Einige ihr in der ersten Auflage 2006 noch unterlaufenen kleinen Fehler (vgl. die Rezension hier auf HSozKult) wurden korrigiert. Ein Reihenband zum Thema „Entnazifizierung“ (verfasst von Irmtrud Wojak) erscheint demnächst.
Annette Weinke: Die Nürnberger Prozesse, Verlag C. H. Beck, 2. durchgesehene Auflage; München 2015; 128 Seiten, 8,95 EUR